Выбрать главу

Flügelschlagend rannte der Löwe los, als hinter ihnen metallisches Kreischen ertönte.

»Schneller!«, schrie Shaya auf.

Die hohe Sattellehne verhinderte, dass Artax hinter sich blicken konnte. Trümmer rauschten an ihnen vorbei, dann ein Fass, an dem sich ein schreckensstarrer Wolkenschiffer festklammerte.

Das Geräusch hinter ihnen wurde immer lauter. Es klang, als würden Riesen mit Schwertern aufeinander einschlagen.

Artax hielt die Zügel fest umklammert. Er konnte nichts tun, außer zu hoffen. Die Pranken des Löwen hämmerten auf das Flugdeck, und dann stürzten sie über die Kante in die Tiefe.

Der Löwe drehte sich wie ein Pfeil im Flug um seine eigene Achse. Diese Biester mochten das, das wusste Artax. Er hingegen hasste dieses Flugmanöver, bei dem ihm jedes Mal schwindelig wurde. Die silbernen Schwingen schlugen mit solcher Kraft, dass die Metallverbindungen knirschten.

Der Löwe schwenkte in eine horizontale Flugbahn und machte erneut eine wilde Rolle. Dicht neben ihnen stürzte ein silberner Bär dem Palasthof entgegen.

Sein Silberlöwe scherte zur Seite aus und nahm einen westlichen Kurs, fort vom Palast der Drusnier. Und nun sah Artax, was geschehen war. Wie eine Kaskade aus gehämmertem Silber stürzten die Löwen und Bären aus dem Flugdeck. Nicht eine der Kreaturen regte sich. Ihre massigen Leiber schlugen gegeneinander. Die Flügel verbogen. Das Gesicht eines Löwen war fortgerissen. Ohne ihre Reiter waren sie nicht mehr als leblose Skulpturen.

Scheppernd zerschellten sie auf dem Palasthof. Aus den Augenwinkeln sah Artax, wie zwischen dem Silber ein abgetrennter Tentakel aus dem Himmel fiel. Ein Fangarm, dick wie sein Oberkörper. Blut sprühte aus dem Himmel über ihnen. Der Angreifer hatte Wind vor regenschwerem Horizont bereits viele Wunden geschlagen. Und die beiden anderen Wolkensammler waren schon fast in Tentakelreichweite.

Artax überlegte, wie er Wind vor regenschwerem Horizont helfen könnte. Aber was für einen Unterschied machte ein einzelner Mensch schon, wenn vier Wolkensammler miteinander rangen? Sein Einsatz wäre nicht mehr als eine noble Geste. Entscheiden würde er nichts. Außer, dass er sich den Ärger des Löwenhäuptigen zuziehen würde. Er hatte dem Devanthar versprochen, auf allzu tollkühne Kämpfe zu verzichten.

Bring uns zu meinem Palast, dachte er. Der Löwe würde den Weg kennen, er war oft genug über der Goldenen Stadt geflogen.

Der Löwe reagierte sofort und änderte seinen Kurs ein wenig, sodass er nun auf den Palast von Aram zuhielt. Artax fühlte sich schlecht. Er kam sich wie ein Verräter an dem Wolkensammler vor. Er hätte zumindest versuchen sollen, ihm zu helfen. Ein letztes Mal sah er zu ihm zurück. Wind vor regenschwerem Horizont trennte sich gerade von dem Wolkenschiff, das er trug, um im Kampf besser manövrieren zu können. Der Palasthof lag schon jetzt voller abgetrennter Fangarme.

»Ich liebe diese neue Art zu fliegen!«, rief Shaya hinter ihm voller Begeisterung.

Er durfte jetzt nur an sie denken! Sie lebte, weil er ein Versprechen gegeben hatte. Wenn er es brach, dann würde sie sterben. Er änderte den Kurs des Löwen nicht, dachte mit aller Kraft an seinen Palast in dieser verwüsteten Stadt. Dann griff er nach hinten, fand Shayas Hand und drückte sie fest. Er wusste, wie sehr sie es liebte, am Himmel zu reisen. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie im Fluggeschirr unter einem jungen Wolkensammler gehangen und an der Spitze einer Schar von Ischkuzaia das herrenlose Wolkenschiff geentert, das er in Schlepp genommen hatte.

Er blickte zum weiten Himmel über der Goldenen Stadt. Überall trieben Wolkensammler davon. Doch zumindest kämpften sie nicht mehr gegeneinander wie anfangs. Sie hatten es nur noch auf Wind vor regenschwerem Horizont abgesehen.

Wracks von abgeworfenen Wolkenschiffen lagen in der Stadt. An mehreren Orten waren Brände ausgebrochen. Die Goldene Stadt am Rand des Weltenmunds war immer noch gezeichnet vom großen Beben. Wann würden ihre Bewohner endlich friedliche Zeiten erleben? Wie viele Schlachten mussten sie noch schlagen, bis der Krieg um Nangog endete? Wie viele zerstörte Städte wie Asugar würde er noch sehen?

Ein gleißendes Licht erweckte seine Aufmerksamkeit. Dann noch eins. Und noch eins. Sie alle leuchteten bei Volodis Palast auf. Die Devanthar kamen. Sie wollten das Traumeis, dachte Artax bitter. Sie waren ganz sicher nicht gekommen, um zu helfen. Das taten sie nie.

Der Löwe setzte zur Landung auf dem inneren Hof des Palastes des Statthalters von Aram an, den Artax nun so lange schon als seine Residenz nutzte. Nangog ließ ihn nicht mehr los. Wenn er in seine Welt zurückkehrte, dann nie länger als für wenige Tage, um drängende Staatsgeschäfte zu erledigen. Sein Platz war hier, ob er es wollte oder nicht.

Auf den Terrassen der weitläufigen Palastanlage drängten sich Hunderte Schaulustige, um das Spektakel am Himmel über der Stadt zu betrachten. Wut brandete in ihm auf. Statt zu helfen, gafften sie einfach nur. Doch dann ging ihm auf, dass auch er einen Teil Schuld daran trug. Er hatte Ashot, den Befehlshaber seiner Truppen, mitgenommen und Mataan, der die Verwaltung des Palastes führte.

Der Löwe landete hart im Sand des Hofes. Er lief noch ein paar Schritt aus, dann blieb er stehen. Einige Palastwachen eilten herbei, hielten jedoch respektvollen Abstand, als sie ihren Herrscher erkannten.

Artax stieg ab und wollte Shaya vom Rücken des Löwen helfen, doch sie hatte ihre Ledergurte bereits gelöst und sprang elegant ab. »Wunderbar! Ich brauche auch so einen Löwen!« Ihre Unterlippe blutete.

»Was …«

Sie machte eine wegwerfende Geste. »Nichts. Hab mir auf die Lippe gebissen, als wir gelandet sind. Bisschen ruppig, dein Löwe. Fast wie ein junger Hengst, der zugeritten werden muss.«

Er mochte diese Art an ihr. Raubeinig wie ein Krieger. In ihrer ersten Nacht hatten sie sich gegenseitig ihre Narben gezeigt und Geschichten von Kämpfen und Unfällen erzählt. Er musste lächeln. Sie waren nicht gerade ein gewöhnliches Liebespaar gewesen.

Plötzlich wirkte Shaya verändert. Sie versteifte sich.

Die Schaulustigen auf den Terrassen sahen nun auf den Hof. Wunderten sich, ihren Unsterblichen, der sonst so keusch wie ein Säulenheiliger lebte, an der Seite einer Frau zu sehen. Er konnte sehen, wie sie miteinander tuschelten.

Artax griff nach Shayas Hand. Er zog sie dicht an sich heran und gab ihr vor aller Augen einen langen Kuss. »Ich werde nie wieder dulden, dass du gehst. Es ist mir egal, was über uns geredet wird. Eher gebe ich mein Königreich auf, als dass ich dich noch einmal verliere. Du bist mein Leben.« Wie um seine Worte zu besiegeln, küsste er sie noch einmal, wilder jetzt, voller Leidenschaft.

Als sich ihre Lippen trennten, war ihr Blick weich. »Keine Sorge. Ich werde nie wieder gehen.« Plötzlich lächelte sie schelmisch. »Zumindest so lange nicht, wie du gutes Essen und ein ausreichend großes Bett zu bieten hast.«

Er musste lachen. Er wusste nicht, wie es dazu gekommen war, dass sie eine Heilerin in Asugar geworden war, aber die alte Shaya, die Kriegerin, die stets ein lockeres Mundwerk führte und unter Männern die derbsten Witze von allen machte, gab es noch. Jene Shaya, die so hart wie diese neue Welt war und ihn dann damit überraschte, dass sie nur für ihn unter dem Licht der Zwillingsmonde auf dem Rücken eines Wolkensammlers getanzt hatte.

Als er Seite an Seite mit ihr zum Portal des Palastes hinaufstieg, wurde er sich bewusst, dass er glücklich war. In diesem Augenblick, an dem die Wolkensammler am Himmel rebellierten und die Devanthar in die Stadt eilten, um ihren größten Schatz zu bergen, interessierte ihn nur noch eins. Ein paar Stunden mit Shaya allein zu sein.

Die Meuchlerin

Artax verfluchte sich stumm dafür, wie wenig er sich an seine eigenen Entscheidungen hielt. Ein paar Stunden nur hatte er mit Shaya verbracht, dann hatte es ihn aus seinen Gemächern in den kleinen Beratungssaal gezogen. Dort hatten nur die höchsten Befehlshaber und Hofbeamten Zugang. Er hatte wissen müssen, wie die Schlacht über der Goldenen Stadt geendet hatte, welcher Schaden entstanden war und wie viele seiner Männer hatten entkommen können Sosehr er die Stunden mit Shaya genossen hatte, plagte ihn sein schlechtes Gewissen. Er war mitten in der Schlacht desertiert.