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»Bitte jage nicht für mich diesem Traum nach. Ich glaube, es ist mehr Fluch als Segen. Opfere dich nicht in dieser sinnlosen Suche. Du hast zwei wunderbare Kinder. Sei für sie da, solange sie dich brauchen. Das wiegt schwerer als irgendein magischer Kristall.« Er trat zurück in den See, und wieder floh das Wasser vor ihm. Es teilte sich, und er schritt über den abschüssigen Grund tiefer, bis das Wasser schließlich über seinem Kopf zusammenschlug.

Mit klammen Gefühlen blieb Nandalee am Ufer stehen. »Ich werde nicht aufgeben, Eleborn«, sagte sie leise. »Ich werde dir zurückerobern, was du durch mich verloren hast.«

Sie wandte sich vom dunklen See ab. Blind für die Schönheit des Jadegartens im blassrosa Licht des frühen Abends, ging sie zur Stufenpyramide. Niemand stellte sich ihr in den Weg, als sie hinab zu jener weiten Höhle stieg, in der Nachtatem dem niemals verstummenden Flüstern der Gazala lauschte.

Der Drache schien sie erwartet zu haben. Die Seherinnen hatten die weite Grotte verlassen. Nur eine kleine weiße Ziege war noch zugegen, die an einem Eisenring an der Rückwand angebunden war.

Ihr habt lange gebraucht, um zu mir zu finden, meine Dame.

Dort, wo er auf seinem flachen Felsen über dem seichten Wasser lag, schien das Licht der Fackeln an den Wänden seine Strahlkraft zu verlieren. Ein Gespinst tanzender Schatten umgab ihn, verschmolz mit dem tiefen Schwarz seiner Schuppen und ließ ihn selbst zu einem Schattenriss werden. Er lag völlig reglos. Seine Stimme klang nur in Nandalees Kopf. Ein Schauder überlief sie bei seinen Worten. Sie spürte seine Gefühle. Er war enttäuscht von ihr.

Sie wappnete sich gegen die Emotionen, die der Drache in ihr weckte. »Der Weg zur Alten Veste ist nicht weit«, entgegnete sie spitz.

Genauso weit wie der Weg hier hinab.

Kurz war Nandalee versucht, von den Kindern zu sprechen. Von den schönen Stunden, die wie im Fluge vergangen waren, doch es mochte ein Fehler mit unabsehbaren Folgen sein, die beiden als ihren Schutzschild zu missbrauchen. Sie war vor allem deshalb nicht gekommen, weil sie ihm ihre Niederlage nicht eingestehen wollte.

Obwohl der Dunkle nicht in ihren Gedanken lesen konnte, entschied sie sich, die Wahrheit zu sagen. Er hatte ein zu feines Gespür für Lügen. »Ich habe versagt, mein Gebieter. Die Botschaft von Triumphen eilt auf Adlerflügeln, doch die Kunde von Niederlagen reist als Krähe mit gebrochenen Flügeln.«

Ihr solltet Euch nicht an poetischen Bildern versuchen, Dame Nandalee. Ihr habt viele Talente, doch eine Dichterin seid Ihr gewiss nicht. Auch muss ich sagen, dass mir die Kunde von Eurem Wagemut nicht gefallen hat. Es war leichtfertig, auf einem Wolkenschiff der Menschenkinder zu reisen. Und ich vermute, auch dieses Risiko wurde nicht von Erfolg belohnt.

»Wir werden nicht mehr an das Traumeis gelangen können, mein Gebieter. Die Devanthar haben es an sich genommen und nach Daia in den Gelben Turm gebracht.«

Sein Ärger stach wie glühende Klingen in ihr Bewusstsein.

»Allerdings kam es zu einem Aufstand der Wolkensammler. Die meisten dieser Kreaturen wollten sich nicht verwandeln lassen. Sie rebellierten gegen die Menschenkinder und haben ihre Schiffe abgeworfen. Ihre Himmelsflotte ist so schwach wie seit vielen Jahren nicht mehr.«

Wollt Ihr mir einen Angriff empfehlen, meine Dame?

Nandalee war sich bewusst, auf welch dünnem Eis sie stand. Nachtatem war wie ein Gott. Er brauchte ganz gewiss nicht den Rat einer Elfe. »Ich berichte nur, mein Gebieter. Welche Schlüsse Ihr aus meinen Worten zieht, liegt ganz bei Euch.«

So höflich? So bescheiden, meine Dame? Irre ich mich, wenn ich daraus den Schluss ziehe, dass Ihr mir noch eine Bitte vortragen wollt.

Er schnaubte, und Nandalee vermochte nicht zu deuten, ob er damit Ärger oder Herablassung ausdrückte.

Bevor Ihr mit mir zu feilschen beginnt, als wäre ich ein Koboldhändler auf einem schmierigen Basar, lasst mich doch bitte wissen, wie Ihr zu der Erkenntnis gelangt seid, dass das Traumeis zum Gelben Turm gebracht wurde.

Nandalee berichtete ihm, wie sie sich in den Palast des Unsterblichen Aaron geschlichen und in dessen Schlafgemach die Erinnerungen seiner Geliebten gelesen hatte. Doch sie verschwieg, dass diese Menschentochter eine Prinzessin aus dem Volk der Ischkuzaia war, der Išta nach dem Leben trachtete. Nandalee wollte nicht, dass Shaya zum Spielball der Interessen der Himmelsschlangen wurde. Das Opfer, das der geheimnisvolle Elf, der an ihrer Stelle in den Tod gegangen war, für Shaya gebracht hatte, sollte nicht vergebens sein. Allerdings verriet sie, dass Aaron nur ein Bauernsohn war.

Es war Aaron, aus dessen Gedanken sie wusste, wohin das Traumeis gebracht worden war. Doch viel wichtiger war, was sie durch Shaya erfahren hatte. Sie war den Männern begegnet, die das Traumeis gefunden hatten.

Lange schwieg Nachtatem, nachdem Nandalee gesprochen hatte. Er sah sie auf seltsame Art an. Lag da Trauer in seinem Blick? Oder sogar Enttäuschung? Als er endlich wieder sprach, tat er es ohne Emotion.

Diesen Zauber, Gedanken und Erinnerungen zu stehlen, habe ich Euch nicht gelehrt, meine Dame. Euch ist bewusst, dass Ihr damit den dunkleren Spielarten des Zauberwebens huldigt. Wie kamt Ihr dazu?

»Bidayn hat mir von diesem Zauber erzählt. Sie hat ihn von Lyvianne erlernt. Ich fürchte jedoch, dass ich ihn nur unvollkommen angewendet habe. Ich habe den Menschenkindern große Schmerzen bereitet.«

Nandalee war sich nicht einmal sicher, ob die beiden noch lebten. Als sie sich davongeschlichen hatte, waren beide noch im Schmerz gefangen gewesen. Ob sie die Grenze dessen, was Menschen ertragen konnten, überschritten hatte? Sie wusste es nicht. »Ich muss Euch gestehen, ich habe dies für Meliander und Eleborn getan und nicht für Euch, mein Gebieter. Die Beweggründe meines Handelns waren selbstsüchtig.«

So nah, wie sie vor Nachtatem stand, spürte sie die Gefühle des Erstgeschlüpften. Und sie war überrascht, dass er ihr nicht zürnte. Er empfand Mitgefühl.

Manchmal, meine Dame, vermag nichts in der Welt einen Schicksalsschlag ungeschehen zu machen. Es bleibt uns nur, mit ihm zu leben. Dies gilt selbst für uns Himmelsschlangen. Lernt zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die unabänderlich sind. Und Ihr werdet sehen, in dem Augenblick, in dem Ihr Euch fügt, wird Euch das Herz leichter werden.

»Noch kann ich den Pfad der Demut nicht beschreiten, mein Gebieter. Die Menschentochter im Schlafgemach des Unsterblichen war eine Heilerin. Und sie hat jene Wolkenschiffer behandelt, die das Traumeis gefunden haben. Es stammt aus einem Krater im höchsten Norden Nangogs. Bitte gestattet mir, dorthin zu reisen, mein allweiser Gebieter. Es ist gar nicht nötig, sich Gedanken über den Gelben Turm zu machen. Ich kenne die Quelle des Traumeises.«

Der Dunkle hob den großen Drachenkopf von seinen überkreuzten Pfoten. Die gelben Augen mit den geschlitzten Pupillen verengten sich. Ich bin geneigt, hinter zu außergewöhnlichen Zufällen eine Intrige der Devanthar zu vermuten.

»Wie hätten sie wissen können, dass ich in den Gedanken der Heilerin lesen werde?«, begehrte Nandalee auf.

Die Devanthar haben die Silberschale erschaffen. Sie wissen, wie man den Schleier der Zukunft zerreißt.

»Aber den Schleier der Zukunft zu zerreißen oder die Zukunft so zu formen, dass ein gewünschtes Ereignis eintrifft, sind zwei verschiedene Dinge. Es waren so viele Zufälle, die mich zu der Heilerin geführt haben. Das kann doch unmöglich geplant gewesen sein …«

Sie sind Götter, meine Dame, vergesst das nicht. Es ist ein Fehler, sie nach den Maßstäben Sterblicher zu messen.

»Ich werde gehen!«, sagte sie entschieden.

Was sonst? Die Stimme in ihren Gedanken klang resignierend. Womöglich ist es keine Falle … Vielleicht ist es wirklich ein glücklicher Zufall, der Euch auf diese Spur geführt hat. Doch wie dem auch sei, daran, Euch ziehen zu lassen, Nandalee, ist eine Bedingung geknüpft. Ihr reist nicht allein! Euch muss ein Drachenelf begleiten.