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Als mit Getöse das Stadttor hinter ihm zusammenstürzte, scheute seine Stute. Mit festem Schenkeldruck brachte er sie zur Räson. Die Riesen hinter ihm verfielen in röhrendes Triumphgeheul. Sie waren schlichte Gemüter. Einfache Aufgaben zu erfüllen, für die man nichts als Kraft benötigte, machte sie glücklich.

Nodon preschte auf seinem Fuchs heran. »Die Verwundeten und Kranken bilden die Spitze der Kolonne. Danach bringen wir den Belagerungstross durch den Albenstern«, berichtete er und ließ seinen Hengst neben Solaiyns Stute in den Trab wechseln. »Heermeister Hornbori hat seine Männer auf dem Hügelkamm nahe dem Tor postiert. Er wird als Letzter nach Albenmark gehen, zusammen mit deiner Elfengarde. Fürst Sekander patrouilliert mit seinen Kentauren am Strand, damit die Menschenkinder nicht noch im letzten Augenblick auf die Idee kommen, sich als Helden aufzuspielen.«

Solaiyn nickte beifällig. Alles lief also nach Plan. Sie hatten Übung darin, sich geordnet zurückzuziehen. Schweigend ritt er die Kolonne ab und erreichte schon bald den großen Maultiertreck. Nur wenige Tiere trugen Plündergut. Die meisten hatte man mit eigens während der Belagerung gefertigten Lastsätteln aufgeschirrt. Links und rechts der Sättel waren Tragen befestigt, über denen Bahnen aus zartem Gazestoff hingen, um die Stechmücken von den Kranken und Verwundeten fernzuhalten, die zu schwach waren, um auf eigenen Beinen den Rückzug anzutreten.

Diese verfluchten Mücken aus den nahen Sümpfen! Sie hatten seinem Heer einen höheren Blutzoll abverlangt als drei Sturmangriffe auf die Festungsmauern. Würde er nur Elfen befehligen, hätte er solche Sorgen nicht. Sie wurden so gut wie nie krank, und auch die störrischen Zwerge des Heermeisters Hornbori waren schwer umzubringen. Aber all die anderen … Am schlimmsten hatte es die Kobolde erwischt. Hunderte von ihnen waren an dem Fieber gestorben, das die Mücken verbreiteten.

Solaiyn hatte die breiten Schilfgürtel der Sümpfe niederbrennen lassen. Ohne Erfolg. Eine ganze Karawanenladung Weihrauch hatte er heranschaffen lassen und in kupfernen Räucherpfannen im Heerlager abbrennen lassen. Die Hälfte seiner Truppen war von den Wohlgerüchen so berauscht worden, dass sie kein Schwert mehr halten konnten, doch gegen die Mückenplage hatte es nicht geholfen. Nicht einmal mit Zauberweberei war diesen Viechern beizukommen gewesen. Die Menschenkinder hatten ihre Stadt verloren, die Albenkinder hatten ihren Stolz verloren und mussten aufgeben, was sie gerade erst erobert hatten. Einzig die Mücken waren unbesiegt. Vielleicht war dies die Rache Nangogs an ihnen. Womöglich hatte die gefesselte Göttin dieses Ungeziefer ausgebrütet.

Eines Tages, wenn diese endlosen Feldzüge vorüber waren und er wieder die Muße hatte, auf der Terrasse seines Winterpalastes in Tanthalia zu sitzen, die einen wunderbaren Blick auf das weite Meer bot, dann würde er ein Gedicht auf die winzigen blutsaugenden Recken ersinnen, die weder sein Heer noch sein Scharfsinn hatten besiegen können.

Der Fürst presste der Stute die Hacken in die Flanken und trieb sie zu einem leichten Galopp an. Von den fiebernden Kobolden auf den Tragen stieg übler Gestank auf. Der Geruch von saurem Schweiß und eingenässten Kleidern. Wolken schwarzer Fliegen tanzten über der Karawane der Leidenden.

In melancholischer Stimmung erreichte er den Torbogen aus schillerndem Licht, durch den seine geschlagenen Krieger das Goldene Netz betraten. Er sah den Schrecken in den Gesichtern der bocksbeinigen Faune, die gerade im Begriff waren, den magischen Weg zu betreten, der sich durch die Finsternis des Nichts spannte. Für die meisten seiner Krieger verlor die Reise zwischen den Welten niemals ihre Schrecken, obgleich sie ungleich sicherer als jede Seefahrt war, jedenfalls solange man den Goldenen Pfad nicht verließ.

Solaiyn saß ab. Er saß nicht gern lange im Sattel. Aloki hatte mit ihm mitgehalten. Doch jetzt blieb sie im Hintergrund. Die Schlangenfrau wusste, dass sie der Mehrzahl der Albenkinder unheimlich war.

Der Feldherr grüßte einige der Hauptleute, die ihre Truppen an ihm vorbeiführten. Hier und da ließ er ein aufmunterndes Wort für einen der Krieger fallen, deren Namen ihm vertraut waren. Allzu viele waren es nicht. Er mochte es nicht, sich mit den einfachen Männern gemeinzumachen. Es hatte keinen Zweck. Wenn er versuchte, mehr als zwei Sätze mit ihnen zu wechseln, würden sie nur bemerken, dass sie sich im Grunde nichts zu sagen hatten.

Würde er ein Heer von Elfenkriegern befehligen, wäre alles anders, dachte Solaiyn bitter. Sie wurden nicht krank, sie kämpften besser, ihre Moral war unerschütterlich. Fast – er sollte nicht träumen. Er wusste, dass die reichen Familien versuchten, ihre Söhne und Töchter freizukaufen, damit sie nicht nach Nangog mussten. Es wurde immer schwieriger, neue Rekruten für die nicht enden wollenden Feldzüge zu finden.

Nodon hatte ihm erzählt, dass Nandalee in den Norden geschickt worden war, um Kämpfer unter den Elfenvölkern der Normirga und Maurawan anzuwerben. Ein Unterfangen, das der Schwertmeister für aussichtslos hielt. Die eigenbrötlerischen Jäger und Krieger der beiden Völker kamen entweder freiwillig, oder sie kamen gar nicht.

Tief in Gedanken versunken, sah Solaiyn den abrückenden Truppen nach. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, als ihn ein plötzlicher Schmerz zusammenzucken ließ. Der Goldene! Er war wieder in ihm, sah durch seine Augen … Der Feldherr wusste, dass sich die Himmelsschlangen versammelt hatten, um über die nächsten Schlachten zu beraten. Wenn sie hier mit ihnen kämpfen würden, mochte der Krieg eine Wende zum Guten nehmen. Beratungen halfen nicht! Solaiyn war sich bewusst, dass der Goldene seine Gedanken wahrnahm, wenn er in ihm war. Sollte er nur! Es war die Wahrheit, dass sie diesen Krieg schon bald verlieren würden, wenn die Himmelsschlangen nicht mithalfen, eine Entscheidung herbeizuführen.

Solaiyn keuchte. Der Schmerz stach wie glühende Dolche in seinen Kopf. Plötzlich sah er nichts mehr. Aloki war an seiner Seite und stützte ihn. Es geschah nicht jedes Mal, dass seine Welt in Dunkelheit versank, wenn der Goldene sich seiner Augen bemächtigte. Vielleicht bestrafte ihn der Drache ja.

»Es ist an der Zeit, dass auch wir gehen«, flüsterte die Schlangenfrau.

Er hielt sich eng an ihrer Seite. Er war schon oft mit ihr auf den Goldenen Pfaden gegangen. Sie gab ihm das Gefühl von Sicherheit. Obwohl all seine anderen Sinne schärfer wurden, wenn er erblindete – als versuchte sein Leib, auf diese Weise auszugleichen, was ihm fehlte –, fühlte er sich ohne sie hilflos. Er spürte die warme Haut der Schlangenfrau. Sie hatte einen festen Leib. Manchmal stellte er sich vor, sie zu verführen. Dass seine Hände ihren Körper erkundeten, überall, auch an den verborgensten Stellen. Ihr haftete ein Duft an, der ihn erregte.

Um sich abzulenken, dachte er an die Heimkehr ins Feldlager in Albenmark. Vielleicht brauchten die Himmelsschlangen einige Tage, um die Truppen neu zu organisieren und die Verluste zu ersetzen. Falls sie Verstärkungen gefunden hatten … Es wäre schön, eine Woche in einem seiner Paläste zu verweilen. Mit Aloki …

Er spürte das Prickeln des machtvollen Zaubers, der das Tor zum Goldenen Netz geöffnet hatte. Sie schritten durch das Tor. Instinktiv drückte er sich ein wenig enger an die Schlangenfrau. Ein falscher Schritt, und er würde in die endlose Finsternis stürzen.

»Diesmal ist es ein langer Weg«, erklärte sie ihm. »Ein Stück vor uns gehen die Riesen. Trotz der Dunkelheit kann ich sie sehen.«

Solaiyn mochte es, wenn sie versuchte, ihm durch Worte die Bilder zu ersetzen, die seine Augen ihm nicht mehr schenkten.

»Die Zwerge treten hinter uns auf den Pfad. Ihr Heermeister führt sie an.«

Der Fürst war froh, dass sie ihn fest untergehakt hielt. Dieser Weg durch das Nichts war von einer seltsamen Beschaffenheit. Es fühlte sich an, als würde man über eine weiche Matratze schreiten. Jetzt, da er blind war, spürte er umso deutlicher, wie unsicher der Grund war.