»Du musst der Heermeister Hornbori sein!« Obwohl die Göttin mit seltsamer Satzmelodie sprach, konnte er ihre Worte klar verstehen. Sie nahmen ihm jedoch nicht seine Angst. Einige der Vipern auf ihrem Haupt hatten die Mäuler weit aufgerissen und zischten ihn an. Dabei sah er das Gift von ihren nadelspitzen Zähnen tropfen. »Ich habe gehört, du hast den Sohn der Göttin getötet. Den Meerwanderer.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Das war überaus freundlich von dir. Er hat etliche unserer Schiffe auf den Meeresgrund gezogen. Ein Mann wie du sollte wirklich keine Gelegenheit mehr haben, gegen unsere Krieger zu kämpfen. Es heißt, du allein ersetzt hundert Daimonen. Aus Respekt vor deinem Mord am Meerwanderer werde ich gnädig zu dir sein.« Sie lächelte ihn an.
Abgesehen von den Schlangen war sie nicht hässlich, ging es Hornbori durch den Kopf. Vielleicht sollte er die Sache ja ganz anders angehen. »Habt Ihr Erfahrung in der Minne, meine Holde?« Er bedachte sie mit einem Lächeln, das er hundertfach auf Siegesfeiern erprobt hatte. Ein Lächeln, dem kaum eine Zwergin widerstand.
Die Augen der Devanthar weiteten sich.
Es klappte, dachte Hornbori erleichtert. So fing es immer an. Jetzt noch ein Blick, der Frauenherzen dahinschmelzen ließ. »Ihr habt wirklich sinnliche Lippen …«
Die Stirn der Devanthar kräuselte sich. »Das ist nicht dein Ernst, Zwerg.« Sie lachte auf. »Glaubst du wirklich, ich würde mir so einen Halbmann ins Bett holen? Da könnte ich mich ja auch gleich auf Langarm einlassen.« Ihr Blick verdüsterte sich. Ihre Schlangen richteten sich auf und fauchten ihn an.
»Meine Gnade wird es sein, dir nur die Arme abzuhacken, du Held!« Ihr Speer schnellte vor.
Hornbori stieß einen gellenden Schrei aus. Im Reflex riss er die rechte Hand hoch, seine berühmte Drachenfaust. Das Speerblatt traf ihn mit einer Wucht, die ihm das Handgelenk brach, doch vermochte die Götterwaffe den flachen Handteller, auf den sie getroffen war, nicht einmal zu ritzen. Er wurde weggestoßen. Trieb durch die Wucht des Aufpralls davon.
Die Göttin sah ihm verwundert nach. »Diese Hand werde ich mit mir nehmen«, sagte sie ernst, hob erneut ihre Waffe und nahm die Verfolgung auf.
Der letzte Schuss
»Bei den Alben!«, keuchte Nyr.
Da war etwas Großes draußen im Dunkel. Erst sah er nur die Ahnung einer Bewegung. Dann manifestierte sich ein Schatten in der Finsternis. Ein Drache! Einer von den riesigen Roten, von denen er zwei während der Kämpfe um Asugar getötet hatte. Sie waren seit Jahren nicht mehr in die Schlacht gezogen. Hinter ihm folgte ein zweiter, ein dritter, und dort waren Quarzaugen! Diese Drachenart kannte Nyr nur aus den Bestiarien, die er in den letzten Jahren studiert hatte. Tückische, kleine Biester mit einem Körper etwa so groß wie ein Stierleib. Ihre Augen sahen aus wie Quarzkristalle. Auf gelbweißen Schwingen glitten sie aus dem Dunkel und griffen sich die vom Weg Gestoßenen. Warum konnten sie hier fliegen? War das ihrer Magie geschuldet? Quarzaugen galten als heimtückische Zauberweber, die zu jagen extrem gefährlich war. Und sie kamen jetzt als Retter? Das fühlte sich falsch an. Und doch war Nyr froh, sie zu sehen. Sie …
Er traute seinen Augen nicht. Inmitten des Schwarms von Quarzaugen flog ein riesiger Drache, dessen Schuppen wie poliertes Gold strahlten. Ja, sie schienen von innen heraus zu leuchten. Wo er war, wich die Finsternis. Der Goldene! Der Zweitgeschlüpfte unter den Himmelsschlangen!
Er war einer der Acht, die entschieden hatten, dass die Tiefe Stadt zerstört wurde. Nyr tastete nach dem Lederriemen, an dem seine Armbrust über seinem Rücken hing. Der Goldene … In all den Jahren waren Galar und er nie in die Lage gekommen, unbemerkt auf eine der Himmelsschlangen schießen zu können. Manchmal hatten sie die großen Drachen von ferne gesehen. Aber sie zeigten sich nicht auf einem Schlachtfeld.
Der Goldene glitt langsam durch das Nichts. Wachsam spähte er in die Dunkelheit. Er rettete niemanden, das überließ er den niederen Drachen.
Die Armbrust glitt in Nyrs Hand. Mit der Linken tastete er nach der breiten Lederkappe, die den Bolzenköcher an seiner Seite verschloss. Ein einziger Drachentöterbolzen war noch übrig. Galar hatte ihm das Geschoss vor drei Jahren überlassen, weil Nyr der bessere Schütze von ihnen beiden war. Damals hatten sie sich feierlich geschworen, dass sie diesen Bolzen für eine Himmelsschlange aufheben würden. Nun war der Augenblick gekommen, ihn zu nutzen.
Nyrs tastende Finger erkannten die Befiederung des Bolzens. Unzählige Male hatte er das Geschoss in Händen gehalten und davon geträumt, auf einen der Mörder anzulegen. Sachte legte er den Bolzen auf die Führungsschiene der Armbrust und begann, die Kurbel zu drehen. Noch immer hatte er das Gefühl zu stürzen, obwohl er nur langsam vom Goldenen Pfad forttrieb.
Der riesige Drache glitt zwischen den Gestürzten hindurch, ohne einen einzigen von ihnen zu berühren. Jetzt entdeckte Nyr eine zweite Himmelsschlange. Sie hatte leuchtend rote Schuppen. Und dahinter flog eine dritte Himmelsschlange von hellem Lindgrün. Waren sie etwa alle gekommen?
Die alten Drachen flogen etwa zweihundert Schritt über ihm. Alle hatten sie ihre Köpfe in Richtung des Pfads aus Licht gereckt. Von ihm nahmen sie keine Notiz. Perfekt!
Die Kurbel der Armbrust blockierte. Die Sehne war gespannt. Er hob die Waffe zum Schuss, als irgendwo unter ihm ein gellender Schrei erklang. Hornbori! Diese Stimme hätte er unter Hunderten erkannt. Nyr blickte hinab und sah, wie der Heermeister gegen eine Devanthar kämpfte. Mit bloßer Hand blockte er den Speer, der auf sein Herz zielte.
Hornbori glitt davon, doch dieses Biest setzte ihm nach. Sie würde ihn aufspießen! Ihn, den größten Helden der Zwerge! Das durfte nicht sein!
Nyr senkte seine Waffe und peilte über die Führungsschiene. Er würde seinen feierlichen Eid brechen, dachte er bedrückt. Dann zog er ab.
Davongekommen
Die Stirn der Göttin riss auf. Hirn spritzte Hornbori ins Gesicht.
»Heilige Albenscheiße!«
Die Devanthar sah mit glasigen Augen auf ihn herab. Sie kippte nicht um. Sie schwebte nach wie vor dicht vor ihm. Fast mit derselben Geschwindigkeit wie er. Nein, ein klein wenig schneller. Sie kam näher. Ihre Schlangen wanden sich, zischelten, reckten sich vor und versuchten, ihn zu beißen.
Hornbori griff nach der Axt an seinem Gürtel. Schlangen! Dem fühlte er sich gewachsen. »Kommt her, ihr Kriecher! Euch mach ich zu Hackfleisch!« Wütend drosch er in das angewachsene Schlangennest auf dem Kopf der Göttin. Binnen weniger Augenblicke trieben abgetrennte Schlangenleiber davon.
Brennendes Gift spritzte ihm über die Finger. Er ignorierte den Schmerz, schlug einfach immer weiter auf die Devanthar ein, und seine Axt machte ihrem Namen alle Ehre.
Er war davongekommen, dachte er erleichtert, als er schließlich die Waffe sinken ließ. Wieder einmal!
Ein wunderbarer Plan
»Die Sturmruferin ist tot!«, rief Langarm schockiert.
Der Gefiederte spürte das Entsetzen seiner Brüder und Schwestern. Sie waren Götter! Wie hatte es geschehen können, dass ihre Schwester gestorben war?
»Gewiss sind Himmelsschlangen gekommen«, stieß Langarm panisch hervor.
»Schweig!«, befahl ihm der Gefiederte. Solch Geschwätz war das Letzte, was sie nun brauchten. Sie alle hatten sich im Nichts versammelt, außer Sichtweite des Goldenen Pfades, über den das Heer der Albenkinder zog. Ihr Plan war ebenso einfach wie brillant. Sie stießen Hunderte Albenkinder ins Nichts. Natürlich hätten sie sie auch töten können, aber es ging hier nicht um ein paar Elfen und Zwerge – sie hofften darauf, dass die Himmelsschlangen magiebegabte Drachen schickten, um ihre Krieger zu retten. Drachen, die es vermochten, im Nichts zu fliegen. Die sich frei bewegten, wo einfachere Kreaturen verloren waren. Und sie würden diese Drachen töten. Alle! Seit Jahren hatten die Himmelsschlangen ihre niederen Brüder aus den Kämpfen herausgehalten. Sie waren ihre Reserve für die letzte Schlacht. Und nun würden sie diese Reserve vernichten.