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Vom Kampf um die Schönheit in einer unvollkommenen Welt

Mehr als drei Stunden waren vergangen, seit er gespürt hatte, dass jemand ins Tal gekommen war. Niemand hatte ihm Meldung gemacht, obwohl der Besucher direkt zur Alten Veste geflogen war. Also schienen seine Drachenelfen es für unbedeutend zu halten.

Ihm aber hatte es keine Ruhe gelassen. War es Neugier? Oder die Angst, dass ihm ganz langsam seine Macht entglitt? Er war sich seiner Gefühle nicht sicher. Er wusste, dass der Goldene Intrigen gegen ihn spann und ihm seinen Einfluss im Rat der Himmelsschlangen rauben wollte. Ein törichtes Unterfangen, würde er, Nachtatem, doch immer der Erstgeschlüpfte bleiben. Es sei denn, der Goldene beschloss, ihn zu töten …

Er sollte auf der Hut sein. Er traute es seinem Nestbruder zu, dass er mit diesem Gedanken spielte. Aber würde er es wagen, ihn in die Tat umzusetzen? Gewiss nur, wenn er sich sicher war, dass die anderen Himmelsschlangen den Mord dulden würden.

Begierig zu erfahren, was vor sich ging, hatte er schließlich Elfengestalt angenommen und war zur Alten Veste hinaufgestiegen. Nun stand er auf dem von Hufeisen zernarbten Felsplateau vor der Burg seiner Drachenelfen. Das große Tor stand einladend offen.

Er spürte die Gefühle seiner Drachenelfen. Sie staunten. Was ging dort vor sich?

Nachtatem trat in den Torweg. Die Dunkelheit vertiefte sich. Er war eins mit den Schatten. Unsichtbar für die im Hof. Verwundert sah er, wie sich eine gewundene Schlange aus Wasser und Licht aus dem Trog vor den Ställen erhob. Sie wiegte sich zu den Klängen einer unsichtbaren Flöte, streckte sich, verformte sich. Flügel wuchsen aus ihrem geschuppten Leib. Plötzlich schwebten zwei Tauben aus Wasser über dem Trog, schlugen mit ihren Flügeln und zerstoben plötzlich zu Gischt, unter der kurz zwei kleine Regenbögen aufleuchteten, bevor feiner Sprühregen auf den steinernen Trog niederging.

Alle seine Drachenelfen hatten sich auf dem Hof versammelt und sahen dem Spektakel zu. Selbst Nandalee war gekommen. Sie hatte Meliander und Emerelle mitgebracht, die auf einer Decke lagen und gebannt dem Spiel von Licht und Wasser folgten. Nachtatem erinnerte sich, seinen Bruder, den Himmlischen, von diesem Elfen sprechen gehört zu haben. Es musste Eleborn sein. Ein verschrobener Freigeist, mehr Künstler als Kämpfer, aber beherzt, wenn er sich für eine Sache einsetzte, die er zu der seinen gemacht hatte.

Aus der Tränke erhoben sich zwei Delphine aus schillerndem Wasser. Sie schwebten auf die Mitte des Hofes den beiden Kindern entgegen. Gespannt verfolgte der Dunkle, wie die Kleinen reagierten. Sie beobachteten das Zauberspiel mit weiten Augen, ohne das geringste Anzeichen von Angst. Plötzlich zerstoben die Delphine, und inmitten schillernder Lichtfontänen ging ein feiner Sprühregen auf die beiden nieder. Emerelle lachte auf. Meliander hingegen blieb ernst.

Der Dunkle klatschte. Die fröhliche Stimmung auf dem Hof war schlagartig verflogen. Alle Blicke wandten sich zum Tor.

Er trat vor, und mit ihm breitete sich ein Schatten über den Hof. »Ein erstaunliches Spektakel«, sagte er mit volltönender Stimme. »Was ist sein Nutzen?«

Der Fremde schritt auf ihn zu. Er zeigte keine Furcht, verbeugte sich allerdings respektvoll. »Ich bin Eleborn und stand einst im Dienst Eures Bruders, des Himmlischen, Erhabener. Was meine Zauber angeht: Sie dienen dazu, die Welt schöner zu machen.«

»Wie kann etwas ohne Bestand die Welt schöner machen? Was Ihr darbietet, ist nichts als ein paar sprühende Wassertropfen, ein wenig Licht und Schall. Amüsant vielleicht, doch ohne Gehalt.«

Nachtatem betrachtete den Elfen durch sein Verborgenes Auge. Die Aura, die Eleborn umspielte, war von leuchtendem Gold. Er brannte für das, was er tat, war voll und ganz davon überzeugt.

»Bitte vergebt mir, Erster unter den Mächtigsten, wenn ich die Torheit besitze, Euch zu widersprechen. Doch bitte lenkt Euren Blick tiefer. Meine Zauber vergehen, doch erschaffe ich Augenblicke, die die Herzen meiner Zuschauer berühren. Und jemand, dessen Herz von Schönheit berührt wurde, ist fortan verändert. Dies hat Bestand für ein ganzes Leben.«

Nachtatem musste schmunzeln. Auf den Mund gefallen war Eleborn nicht. »Ihr wollt also aus der Welt einen schöneren Ort machen? Damit stellt Ihr Euch in eine Reihe mit den Alben und uns Himmelsschlangen. Greift Ihr mit Eurem Streben nicht ein wenig hoch?«

Der Dunkle bemerkte, wie Nandalee ihm einen bösen Blick zuwarf. Bei ihr waren Eleborns Zauber und sein Charme ganz offensichtlich auf fruchtbaren Boden gefallen.

»Nichts läge mir ferner, als mich mit den Himmelsschlangen oder gar den Alben zu vergleichen, Quell aller Weisheit.«

Nachtatem schwankte, ob er verärgert oder amüsiert sein sollte. Die Anreden Eleborns waren ein wenig formal, und wenngleich sie auch höflich klangen, haftete ihnen ein Hauch von Ironie an. Hatte der Himmlische seine Drachenelfen ermutigt, auf diese Art mit ihm zu sprechen? Bei all seiner Weisheit war sein Bruder ein wenig seltsam gewesen. Er hatte an Distanz verloren, was ihm letztlich zum Verhängnis geworden war. Er hatte inmitten seiner Diener gelebt und mit ihnen sein Wissen und seine nie zu zügelnde Neugier geteilt.

»Ich bin nur ein Wassertropfen, verglichen mit Euch, der Ihr ein Ozean der Weisheit seid. Doch bitte bedenkt: Kann die Welt nicht nur dann ein Ort des Friedens und der Harmonie sein, wenn jeder Einzelne dieses Ziel verfolgt? Schöne Augenblicke erlebt zu haben, die zu wiederholen erstrebenswert erscheint, ist meine Saat, die ich in die Herzen der Albenkinder trage, um in ihnen das Bestreben keimen zu lassen, es mir gleichzutun und anderen ebenfalls schöne Augenblicke zu bescheren.«

»Was hielt mein Bruder, der Himmlische, von dieser Theorie, ehrenwerter Eleborn?«

»Er hielt mich für einen Träumer«, entgegnete der Elf frei heraus. »Doch gestand er mir zu, dass jede tiefgreifende Veränderung mit dem Traum von einer anderen Welt beginnt.«

»Und habt Ihr die Feinheiten in der Aussage meines Bruders beachtet? Anders ist nicht besser.«

Eleborn senkte das Haupt. »Die Gefahr zu scheitern ist mir wohl bewusst, Allerverständigster. Doch ist jener, der gar nichts wagt, nicht von Anfang an gescheitert? Macht sich nicht jeder, der sich fügt, nicht widerspricht und nicht gegen das ankämpft, was er als falsch erkennt, zum Diener und Befürworter all dessen, was unvollkommen in unserer Welt ist?«

Nachtatem spürte, dass Eleborn die Herzen der meisten Drachenelfen auf dem Hof bereits gewonnen hatte. Er konnte es sich nicht leisten, ihn fortzuschicken. Es wäre schlecht für die Moral. So hochtrabend die Pläne des Elfen auch sein mochten, er hatte tatsächlich die Herzen seiner Zuschauer berührt. Ihn nun davonzujagen wäre dumm. Ganz gewiss würde auch die Mauer zwischen ihm und Nandalee noch höher werden, wenn er Eleborn verweigerte, im Jadegarten zu bleiben. Er sollte diesem Träumer stattdessen Gelegenheit geben zu scheitern.

»Verwandelt den Jadegarten in einen besseren Ort, ehrenwerter Eleborn. Ich gebe Euch drei Jahre Zeit, mir zu beweisen, dass Eure Träume Wirklichkeit werden können. Bis dahin seid Ihr ein gern gesehener Gast in diesem Tal.«

Eleborn verbeugte sich tief. »Ich stehe auf ewig in Eurer Schuld, Erhabenster, dessen Weisheit, wie ich nun sehe, noch von seiner Güte übertroffen wird.« Der Elf richtete sich wieder auf und sah ihn geradewegs an. »Bitte entschuldigt meine Kühnheit, doch erwägt Ihr vielleicht die Gnade, mir mitzuteilen, was mit mir geschehen wird, sollte mein ehrgeiziger Traum meine Möglichkeiten übertroffen haben?«

»Dies, ehrenwerter Eleborn, hängt vom Ausmaß Eures Scheiterns ab. Erlaubt mir die Offenheit, Euch zu sagen, dass ich davon ausgehe, dass Ihr in Eurem Bestreben versagen werdet. Keiner weiß besser als ich, welche Last Ihr Euch aufgebürdet habt. Mein ganzes Leben lang versuche ich, gemeinsam mit meinen Brüdern, Albenmark vor Schaden zu bewahren und die Welt zum Besseren zu verändern. Ich bin erfahren darin, zu scheitern und selbst in vermeintlichen Siegen den Keim zukünftiger Niederlagen zu erkennen. Gerade weil es des Wirkens aller bedarf, die Welt zu einem vollkommenen Ort zu machen, wird sie dies niemals sein. Kleingeist, Neid und Gier sind Kräfte, die Ihr nicht unterschätzen dürft, Eleborn. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es weiser ist, alles, was einer erfreulichen Zukunft schadet, ohne Gnade auszumerzen. Ich halte nichts davon, vergängliche Schönheit um ihrer selbst willen zu erschaffen.« Er blickte nacheinander alle anwesenden Elfen an. »Ihr alle seid aus diesem Gedanken geboren. Ihr seid meine und meiner Brüder Schöpfung im Kampf um eine vollkommene Welt. Ihr seid unsere Klingen in diesem immerwährenden Kampf.«