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Sicher verwahrten die Devanthar das Herz Nangogs im Gelben Turm, wo es nicht einmal für die Alben erreichbar war. Aber ihre Götter kämpften ohnehin nicht mehr. Ja, sie zeigten sich nicht einmal mehr. Es würden also Heere ihrer Kinder an ihrer Stelle kämpfen. Ströme von Blut würden fließen. Und es lag an ihm zu entscheiden, wer in diese mörderischen Schlachten ziehen sollte. Zu entscheiden, wer sterben sollte und wer leben. Er hasste diese Aufgabe und doch musste er sich ihr stellen! Er durfte nicht wie die Alben werden, die sich um nichts mehr kümmerten. Er war ihr Statthalter in Albenmark. Also würde er seine Nestbrüder zu einem Rat einberufen und mit ihnen das Unausweichliche besprechen.

Sie hatten den Menschenkindern und Devanthar eine demütigende Niederlage im ewigen Eis von Nangog beigebracht. Doch dabei durften sie es nicht bewenden lassen. Sie mussten weiter angreifen, sie durften ihren Feinden keine Zeit lassen, eine neue Strategie zu ersinnen. Schlag auf Schlag mussten sie ihnen versetzen, bis sie begriffen, dass es nur dann Frieden geben konnte, wenn sie Nangog wieder räumten. Diese Welt sollte keinem gehören außer den Kreaturen der schlafenden Riesin. So hatten es Alben und Devanthar entschieden, als die drei Welten noch jung waren. Er, Nachtatem, würde dafür sorgen, dass die Devanthar sich an den alten Vertrag erinnerten, der dem Zusammenleben der Götter und ihrer Geschöpfe feste Bahnen vorgegeben hatte. Er reckte sich und gähnte. Nicht heute. Er würde ein wenig schlummern. Einen Tag, vielleicht auch zwei. Er war so unendlich müde.

Er hatte noch nicht lange gedöst, als ein ungewohntes, flackerndes Licht selbst durch seine geschlossenen Lider drang. Hatten die Gazala die Fackeln entlang der Wände wieder entzündet? Er blähte die Nüstern. Atmete witternd ein. Es fehlte der Geruch der Seherinnen. Und auch der harzige Rauch der Fackeln.

Verwundert öffnete Nachtatem die Augen und erschrak zutiefst. An der Felswand ihm gegenüber prangten flammende Buchstaben. Eine Schrift, die er seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen hatte, befahl ihn und Nandalee ins Tal der Jahreszeiten in den Mondbergen. Ein Geheimnis, das er angerührt, aber nie aufgeklärt hatte, fiel auf ihn zurück.

Götterdämmerung

Der Dunkle hatte ihr nicht gesagt, wohin sie gehen würden, aber eindringlich darauf bestanden, dass sie mit ihm kam. Anfangs hatte Nandalee sich widersetzt, sie wollte die Kinder nicht alleine lassen. Aber als sie seinen Zorn gespürt hatte, war es ihr klüger erschienen einzulenken. So wütend hatte sie ihn in all den Jahren nie erlebt. Sie verstand auch nicht, warum er sich über den Grund der plötzlichen Reise in Schweigen hüllte.

Jetzt, als er sie durch das Goldene Netz führte, wirkte er ruhig. Er hatte seine Elfengestalt angenommen, wofür sie ihm dankbar war, auch wenn sie es nicht sagte. So erinnerte er nicht jeden Augenblick an ein Raubtier.

Ein Portal öffnete sich, und sie traten hinaus in eine Winterlandschaft. Unter ihnen aber lag ein Tal voller blühender Bäume. Obwohl Jahre vergangen waren, seit sie hierhergekommen war, erkannte Nandalee das Tal sofort wieder. Ja, sie erinnerte sich sogar noch, was der Dunkle damals gesagt hatte, als sie sich über die Bäume wunderte, von deren Ästen viel zu viele Eiszapfen hingen, so als hätte sie jemand geschmückt.

Dies hier ist wie eine romantische Idee vom Winter.

Damals hatte sie nicht ganz verstanden, was dies bedeutete. Nicht begriffen, dass die Albe, eine der Schöpferinnen dieser Welt, romantischen Ideen in der Abgeschiedenheit eines Tales nachhing, das nur über einen Albenpfad zu erreichen war. Das Leben musste einen verwundet haben, um so zu werden. Jetzt wusste Nandalee, wie das war …

Schweigend schritt sie an der Seite des Dunklen durch einen Winter, dessen Kälte nicht in die Glieder schnitt. Hier gab es nur seine schönen Seiten. Wahrscheinlich hätte sie nackt in der weißen Pracht schlafen können, ohne zu erfrieren. Der Schnee knirschte unter ihren Schritten. Wind heulte in den kahlen Ästen und ließ die Eiszapfen klirrend aneinanderschlagen.

Zwanzig Schritt später standen sie im Frühling. Alle vier Jahreszeiten bestanden zugleich in diesem Tal. Schmetterlinge tanzten über leuchtenden Blüten. Nicht ein einziger Grashalm war vertrocknet. Jede Pflanze stand in saftigem Grün. Obwohl es Schmetterlinge gab, zeigte kein Blatt die Spuren von Raupenfraß. Alles war vollkommen, alles war … Sie stutzte. Nein, etwas war anders. War es in ihr? Sie hatte das Gefühl, belauert zu werden. Bei ihrem ersten Besuch hier hatte sie nicht so empfunden. Im Gegenteil. Das Tal war verlassen gewesen. Nun war es das nicht mehr.

Sie sah zum Dunklen. Er nickte knapp. Ihn überraschte es nicht. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er ihr nicht sagen würde, wer sie hier erwartete. So war er schon bei ihrem ersten Besuch gewesen. Er hatte ihr nie den Namen der Albe genannt, die diesen Ort zu ihrer Zuflucht gemacht hatte. Nur gesagt, sie sei liebenswert und … ein wenig seltsam.

Sie folgten einem Wildwechsel. Roter Klatschmohn und blaue Kornblumen kündigten den Sommer an. Der Weg führte sie in den Wald. Er war dunkler und stiller, als Nandalee ihn in Erinnerung hatte. Sie spähte in die Schatten. Da war nichts. Sie kreuzten keine Tierfährte. Kein Vogel sang ihnen sein Lied. Nur der Wind wisperte in den Ästen. Es lag etwas Bedrohliches in dem Rauschen.

Nandalee war auf Befehl des Dunklen ohne Waffen auf diese Reise gegangen. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte nicht auf ihn gehört. Sie war kein Geschöpf so alt wie die Welt. Sie könnte sich nicht mit Klauen und Zähnen wehren. Und hier war etwas, das ihnen zürnte.

Unvermittelt endete der Weg auf einer Lichtung. Dort standen die Mohnblüten so dicht, dass kein Grashalm zwischen ihnen mehr zu sehen war. Sie waren von dunklerem Rot als der Klatschmohn, den sie eben noch gesehen hatten. Mit einem Mal erschien ihr die Lichtung wie ein blutüberströmter Richtplatz. Auch das geheimnisvolle Tor auf der anderen Seite des Mohnfeldes konnte diesen Eindruck nicht mildern. Es war eine Fläche aus silbernem Licht. Lockend, trügerisch Frieden verheißend.

Nandalee fröstelte es. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf und tauchten die Lichtung und das Tal in Schatten. Die Anwesenheit des Dunklen verstärkte den Effekt noch. Selbst im hellen Sonnenschein schien das Licht ihn zu meiden. Wo er war, gab es stets mehr Schatten, so wie umgekehrt sein Bruder, der Goldene, dem Licht durch seine Anwesenheit mehr Glanz verlieh. Böen fielen über den Wald her. Zerrten am Laub, brachen dünne Äste. Und plötzlich waren da Stimmen. Sie kamen von keinem bestimmten Ort. Sie waren überall um sie herum. In den Bäumen, im Klatschmohnfeld und in den Wolken über ihnen.

Warum habt ihr geschwiegen?

Der Dunkle trat in die Mitte der Lichtung. Er hob die Arme zum Himmel und blickte in die wirbelnden Wolken. »Was hätte ich sagen sollen?«

Das Grau der Wolken wurde zu Schwarz. Das letzte Tageslicht floh aus dem Tal. Nandalee schlang fröstelnd die Arme um den Leib. Diese Stimmen … Sie gingen durch und durch. Sie waren kälter als der Nordwind, der zu Mittwinter über die Snaiwamark regierte. Nandalee bewunderte den Dunklen für seine Haltung.

Du warst vor vielen Monden schon einmal hier und mit dir diese Elfe. Warum?

»Ich hatte einen Verdacht. Wir folgten einer Spur. Ich befahl der Dame Nandalee, mit mir zu gehen. Sie hatte keine Wahl. Sie trifft keine Schuld. Sie …«

In dieser Stunde entscheidest nicht du über Schuld oder Unschuld. Sprich von deinem Verdacht, Nachtatem!

Nandalee wollte an die Seite des Dunklen. Die Stimmen machten ihr Angst. Sie trat aus dem Schatten der Bäume, als Äste nach ihr griffen und sie zurückzerrten. Sie kämpfte dagegen an. Wurzelstränge umschlangen ihre Beine. Sie drückten zu, bis ihre Knochen knackten. Sie wand sich, biss in das Holz, als eine Dornenranke ihre Kehle umschloss.

Bleib zurück! Dich befragen wir, wenn die Zeit kommt.