Und an welche Städte hattest du gedacht?, fragte der Frühlingsbringer.
Naga vielleicht. Eine Stadt in der Messergrassteppe. Von dort treiben sie Herden über einen Albenpfad zur Goldenen Stadt. Oder Asugar. Das ist ihr größter Flottenstützpunkt am Purpurnen Meer.
Der Goldene spürte, wie unentschlossen sein Bruder war. Er hatte lediglich geplant, wie sie ihre Schlachten schlagen sollten, doch offensichtlich nicht, wo.
Asugar ist ein Felsen im Meer, gab der Smaragdene zu bedenken. Eine halbe Meile vor der Küste. Wie sollen wir diesen Hafen angreifen, ohne selbst eine Flotte zu besitzen. Dieser Plan ist zu vermessen!
Gerade deshalb werden sich die Menschenkinder dort besonders sicher fühlen. Der Goldene trat einen Schritt aus seiner Höhle hervor. Es sind Orte wie Asugar, an denen wir sie überrumpeln können. Folgen wir dem Wort meines Bruders.
Und wen schicken wir dorthin?, fragte der Nachtblaue verächtlich. Einen Schwarm Apsaras, die die Menschenkinder mit ihren Prophezeiungen zu Tode quatschen?
Jemanden, der gut darin ist, einen Felsen zu erobern. Einen Krieger, der so berühmt ist wie kein zweiter in unseren Heeren …
Der Goldene fand mehr und mehr Gefallen an dieser Debatte. Bidayn würde ein wenig auf ihn warten müssen. Er kannte seine Brüder gut genug, um nicht darauf zu hoffen, dass sie sich an einem einzigen Tag auf zehn Angriffsziele und zehn Heerführer einigen würden.
Männergeschichten
Er war nicht gekommen. Bidayn stand am Fenster im Vorraum des Bades und sah hinauf zu dem vertrockneten Rosengarten. Es regnete, und die toten Blumen sahen noch trostloser aus als sonst. Dort würde er landen, der Goldene, das hatten alle im Palast gesagt.
Vorgestern Abend hatte er sein Versprechen gegeben. Was war geschehen? In den guten Momenten sagte sie sich, dass er sich mit seinen Brüdern traf. Sie berieten über den Krieg auf Nangog und die Geheimnisse, die sie aufgedeckt hatte. Das konnte dauern … In düsteren Momenten aber war sie überzeugt, ihn verärgert zu haben. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie getan haben mochte, aber wie anmaßend wäre es zu glauben, dass sie eine Himmelsschlange verstehen könnte.
»Er wird kommen«, sagte Anjali. Die Apsara trat hinter sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. Die Nymphe suchte bei jedem Gespräch auch Berührung. Das mochte in ihrem Volk vielleicht so üblich sein, Bidayn war es unangenehm.
Die Elfe wich ein Stück vor ihr zurück. Anjali war schön. Sie hatte große, braune Augen und verführerisch volle Lippen. Sie strahlte eine Sinnlichkeit aus, um die Bidayn sie beneidete. Vor allem, wenn sie auf das Rautenmuster aus Narben auf ihrer Haut sah. Die Haut der Apsara war sehr hell, aber sie hatte sich mit Bandag bemalt, dem braunroten Pflanzensaft, den die Maurawan so gerne benutzten. Ihr Leib war mit kryptischen Symbolen und Bildern von Meerestieren bedeckt. Wenn sie so eine makellose Haut hätte, würde sie sie ganz gewiss nicht mit irgendwelchen Schmierereien verschandeln, ging es Bidayn jedes Mal durch den Kopf, wenn sie Anjali sah.
»Komm, lass uns zusammen ein Mahl einnehmen. Du hast den ganzen Tag nichts gegessen.«
Sie war auch noch widerwärtig freundlich. Bidayn war sich bewusst, dass dies nicht der wirkliche Grund war, warum sie Anjali verabscheute.
Warum wohl war sie Gast im Palast des Goldenen? Ein ausgesucht schönes Albenkind. Zu allem Überfluss trug die Apsara auch noch ein rotes Kleid aus einem Stoff, der so durchscheinend war, dass sie auch gleich nackt herumlaufen könnte.
Die Elfe folgte der Einladung. Gemeinsam gingen sie in eine angrenzende Kammer, in der ein Feuer im Kamin brannte. Es war angenehm warm. Auf silbernen Tellern lagen Obst und Käse, frisches Brot war in ein Tuch eingeschlagen. In einer Kristallkaraffe funkelte tiefroter Wein.
Lustlos zupfte Bidayn einige Trauben ab und schob sie sich in den Mund. Warum kam er nicht? Bald würde es Nacht. Es drängte, eine Entscheidung wegen des Traumeises zu treffen. Wenn er bis morgen Abend nicht kam, würde sie dem Geheimnis selbst auf den Grund gehen.
»Wie hast du ihn kennengelernt?«
Bidayn bedachte die Apsara mit einem finsteren Blick. Das war nicht ihr Ernst! Glaubte Anjali wirklich, sie würde ihr das anvertrauen? »Er kam in meine Schule. Ich las in seinen Augen, dass er mich begehrte. Wir liebten uns schon in der ersten Nacht.«
»Wirklich!« Die Nymphe sah sie mit offenem Mund an.
Entweder war sie eine vollendete Schauspielerin oder sie glaubte den Unsinn wirklich, den Bidayn ihr aufgetischt hatte.
»Ich hatte dich immer für … etwas scheuer gehalten. Du wirkst so …« Sie wand die Hände.
»Diese Narben hatte ich nicht immer.« Bidayn zupfte noch einige Trauben ab. Diese dämliche Nymphe glaubte ihr tatsächlich. Damit schied leider auch aus, dass sie im Palast war, weil der Goldene gerne tiefschürfende Gespräche mit ihr führte. »Das war mein Preis dafür, einen der silbernen Löwen der Devanthar zerstört zu haben.«
»Du bist eine richtige Kriegerin!«, schwärmte Anjali. »Ich fürchte, ich bin das genaue Gegenteil.« Sie kicherte. »Ich habe ihn in der Lotussee gesehen. Er hatte Elfengestalt angenommen und schwamm im Meer. Zwei Tage habe ich ihn vom Wasser aus beobachtet. Dann erschien wie aus dem Nichts ein Hai. Einer von den großen Weißen. Wir nennen sie die Meergeister, denn wer ihnen begegnet, der wird zum Geist. Ich bin der Korallenküste entgegengeschwommen, so schnell ich konnte. Dort gibt es eine unterseeische Grotte. Ich konnte mich hineinflüchten. Aber der Hai blieb vor dem Eingang. Es gibt in der Grotte Luft. Ich habe geschlafen und dachte, er wäre verschwunden, wenn ich aufwachte. Ein Irrtum. Er blieb da. Nach zwei Tagen dachte ich, ich müsste in der Grotte verdursten. Dann kam er …« Sie schloss die Augen und schwelgte offensichtlich in Erinnerungen.
Widerlich, dachte Bidayn.
»Er hat den Hai vertrieben und mich gerettet.« Sie stieß einen schmachtenden Seufzer aus. »Wenn er einen allein ansieht, erstrahlt die ganze Welt in hellerem Licht. Er hat Wasser geholt, weil ich so erschöpft war. Und dann …« Sie lächelte versonnen.
Das durfte nicht wahr sein! Bidayn lief die Galle über. Dieses Flittchen war tatsächlich gleich am ersten Tag mit dem Goldenen leidenschaftlich geworden!
»Wie ich sehe, verstehen sich beide Damen hervorragend. Was für eine Freude, sie im vertrauten Gespräch zu sehen.«
Bidayn fuhr herum. Sie hatte den Eindruck, dass es heller wurde im Zimmer, als der Goldene eintrat. Er hatte Elfengestalt angenommen. Sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den schön geschwungenen Brauen versinnbildlichte Macht und Schönheit in vollkommener Harmonie. Blondes, leicht gelocktes Haar reichte ihm bis auf die Schultern. In seiner Nähe konnte es kein Dunkel geben. Er warf keinen Schatten. Es schien, als wäre er selbst ein Quell von Licht.
»Mein Gebieter«, hauchte Anjali in schmachtendem Ton.
Bidayn sah es ihr nach. Sie bemerkte, dass der Drache nur Augen für sie hatte. Beklommen dachte sie an die Narben. Ekelte sie ihn an? Es war sein Befehl gewesen, sich zu häuten.
Er trat vor sie und küsste sie sanft auf die Stirn. Ihr Herz wollte ihr vor Glück schier zerspringen.