Behutsam vorwärtsgehend gelangte sie an den Beckenrand und kniete nieder. Sie streckte die Hände vor, schöpfte Wasser und trank es aus den Handflächen. Auch benetzte sie ihr Gesicht und die Haare, um die Glut des Fiebers zu ersticken. Schließlich beugte sie sich vor, steckte den Kopf in das Wasser und trank in gierigen Zügen.
Das Wasser schmeckte leicht metallisch. Ein wenig wie Eisen. Bidayn hob ihr Haupt. Ihr Haar hing ihr in nassen Strähnen ins Gesicht. Ihr war schwindelig. Sie drehte sich herum und streckte sich lang auf den Steinboden des Bades, der angenehm warm war.
»Habt Ihr Euch gut erholt, Dame Bidayn?« Mit der Stimme kam das Licht. Es war so hell, dass sie ihre Augen schließen musste.
»Mein Gebieter«, flüsterte sie und setzte sich auf. Sie war nackt, schoss es ihr durch den Kopf, und dann wurde sie sich bewusst, wie albern dieser Gedanke war, nach all dem, was sie drei getan hatten.
Warum sagte er nichts mehr?
Vorsichtig öffnete Bidayn die Augen. Der Goldene hielt nur eine einfache Laterne in der Hand, doch ihr Licht erschien der Elfe unnatürlich hell. Eine goldene Aura umgab den Drachen in Elfengestalt. Er betrachtete sie mit leicht geneigtem Kopf und versonnenem Lächeln. Amüsierte ihn ihre Nacktheit? Er war angekleidet.
Sie wandte beschämt den Kopf und sah Anjali. Sie schwamm im Wasser und trug wieder ihr rotes Kleid. Das schwarze Haar umfing ihr Haupt wie eine dunkle Wolke. Ihr Gesicht war eingetaucht, Arme und Beine ausgestreckt. Sie trieb ruhig im Wasser, das einen seltsamen Farbton hatte. Sie … Bidayn blinzelte. Nein, Anjali trug diesmal nicht ihr Kleid. Ihre Haut war abgezogen. Das Wasser von ihrem Blut besudelt. »Ihr …«, keuchte Bidayn und wagte es nicht, den Goldenen anzusehen.
»Ich war so frei, Euch auf Eure nächste Mission vorzubereiten«, erklärte der Drache in so gewinnendem Tonfall, dass sie nun doch in sein Antlitz sah. Und sein Lächeln bannte das Grauen. Was immer er tat, es war richtig. Er war das Maß der Dinge, der Vertraute der Alben, Lenker dieser Welt.
»Ihr müsst für mich herausfinden, wo die Menschenkinder das Traumeis versteckt halten, meine Dame. Ihr seid die Erste unter meinen Spitzeln. Tollkühn und erfahren. Nur Ihr könnt es schaffen!«
Bidayn stand auf. Seine Worte waren ihr Labsal. Der Hunger und das Fieber waren vergessen. Sie fühlte sich stark. Und was war das für ein Funkeln in den Augen des Goldenen. Spiegelte sich dort Begehren? Er fand sie schön.
Sie sah an sich herab. Die Glyphen waren von der Haut gewaschen, die Anjali getragen hatte. Sie war glatt und makellos. Bidayn strich sich über die Arme. Ihre Finger wanderten hinauf zu den Schultern, dann zu ihren Brüsten. Sie stutzte. Ihre Brüste! Sie waren größer als zuvor, und das Haar, das ihr weit über die Schultern fiel, war nicht länger schwarz, sondern golden wie reifer Weizen.
»Ich musste Euch ein wenig verändern, meine Schöne. Habt Ihr es nicht bemerkt? Ich tat es, während ich die Ehre hatte, Eure Gunst zu genießen.« Er klang ehrlich überrascht.
Bidayn schüttelte den Kopf. Kritisch sah sie an sich herab. War sie auch größer?
»Ich wollte das Angenehme mit dem Nützlichen in Einklang bringen. Ihr werdet zurück in den Palast des Unsterblichen Volodi müssen. Dazu müsst Ihr aussehen wie ein Weib aus Drus.«
Erschrocken tastete Bidayn nach ihren Ohren. Sie waren plump und rund! Die Spitzen verschwunden.
»Davon, dass Ihr überzeugend seid, wird Euer Leben abhängen, meine Schöne. Ich habe all meine Kunstfertigkeit aufgeboten, um Euch wie eine Menschenfrau aus dem Norden aussehen zu lassen.«
Bidayn tastete über ihr Gesicht. Die meisten Weiber am Hof Volodis waren große, plumpe Kühe! Ihre Nase war verändert, stellte sie entsetzt fest. Ihre Lippen voller, die Stirn niedriger …
»Anjali habe ich wegen ihrer schönen, hellen Haut erwählt. Sie entspricht der Haut nordischer Frauen. Es gab allerdings einen weiteren Grund, warum sie uns zur Vorbereitung Eurer Mission von großem Nutzen war.«
Voller Schrecken erwartete Bidayn, was ihr der Goldene als Nächstes eröffnen würde.
»Ich weiß, die Dame Lyvianne hat Euch einen ersten Ausblick auf die hohe Kunst der leidenschaftlichen Liebe gegeben. Jener Liebe, die zu einer alles verzehrenden Flamme der Begierde wird und Männer jeglicher Vernunft beraubt. Sie selbst hat mir berichtet, wie Ihr Euch an einem Priester erprobt habt.«
Die Elfe erinnerte sich gut an den plumpen, schwitzenden Mann, der der Leiter der Archive im Tempel der Išta in der Goldenen Stadt gewesen war. Sie hatten versucht, ihm jenes Geheimnis zu entlocken, das sich um die tiefen Tempelgewölbe rankte und um die mit Ketten gesicherten Tore, hinter denen sie letztlich das makabre Gefängnis des Manawayn gefunden hatten. Lyvianne hatte sie gelehrt, wie man die Erinnerungen eines Menschenkindes stahl und den Zauber, den es zu weben galt, mit der Lebenskraft des Opfers nährte. Tuwatis war der Name des Priesters gewesen, dessen Leib unter ihnen beiden verwelkt war, als er um Jahrzehnte alterte.
»Ich weiß, dass es Lyvianne war, die das Begehren des Priesters erfüllte, nicht Ihr, meine Dame. Und ich erinnerte mich an Eure charmante jungfräuliche Unerfahrenheit, als ich die Ehre hatte, Euch beizuwohnen und Euch die letzten Weihen der Drachenelfen zu verleihen.«
Seine Worte waren freundlich, und nicht ein Hauch von Vorwurf schwang in seiner Stimme, doch war Bidayn sich wohl bewusst, wie unerfahren sie gewesen war. Asfahal hatte das geändert, aber …
»Die Dame Anjali war berühmt für ihre Kunstfertigkeit im Spiel der Liebe. Für ihre unerschöpfliche Vielfältigkeit darin, einen Mann oder eine Frau zu erfreuen.« Er lächelte, und ihr Herz schlug schneller. »Ich glaube, in den vergangenen drei Tagen habt Ihr vieles von ihr gelernt, meine Schöne.«
»Drei Tage! Das kann nicht …«
»Im Rausch der Leidenschaft vergeht die Zeit stets wie im Fluge. Ich war überaus erfreut zu erleben, wie hingebungsvoll Ihr sein könnt, meine Dame, und ich sehe voller Ungeduld Eurer Rückkehr entgegen, um erneut Eure Gunst zu genießen.«
Bidayn schämte sich und war zugleich auch überglücklich. Sie wusste, wie erfahren Lyvianne gewesen war, und hätte niemals gewagt, darauf zu hoffen, dass der Goldene sich nach ihrem Liebesspiel verzehrte. Was hatte sie in den letzten drei Tagen alles getan? Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft. Wie sie zu ihrer neuen Haut gekommen war und wie der Goldene ihren Leib verändert hatte, um sie wie eine Menschenfrau aussehen zu lassen – sie wusste es nicht mehr.
»Ich habe Euch einen Zauber gelehrt, meine Verehrte. Er beruht auf einer Veränderung Eures Körpers. Sorgt Euch nicht, meine Magie ist so gut mit Eurer natürlichen Aura verwoben, dass er allenfalls einem Betrachter auffallen wird, der schon Argwohn geschöpft hat. Ihr entfesselt die Kraft des Zaubers mit einem geflüsterten Wort der Macht.« Der Goldene schwieg kurz und sah sie aufmerksam an. »Wusstet Ihr, wie sehr unser Begehren von Düften gelenkt wird? Manche verströmen einen Körpergeruch, der sie spontan unsympathisch erscheinen lässt. Und ich meine keinen Gestank. Dieser Duft, der unser Begehren nach leidenschaftlichen Umarmungen weckt, ist so fein, dass unser Bewusstsein ihn kaum zu erfassen vermag. Er umgeht unseren Verstand und macht uns zu von Trieben beherrschten, animalischen Geschöpfen.«
Bidayn war sich nicht sicher, wohin das führen sollte und ob es wirklich ein Geschenk war, sollte ihr Leib nun diese Fähigkeit besitzen.
»Es ist Eile geboten, wenn wir das Traumeis finden wollen, meine bezaubernde Schöne.«
Meinte er das ironisch? Sie sah ihm in die Augen. Nein, da lag wirkliche Sehnsucht in seinem Blick. Wie hatte sie nur argwöhnisch sein können? Was für ein törichtes Geschöpf sie doch manchmal war!
»Der Zauber, den Euch Lyvianne gelehrt hat, ist machtvoll, doch lässt er seine Opfer als stammelnde, vergreiste Narren zurück. Es würde sofort auffallen, was Ihr getan habt. Das können wir uns nicht leisten. Heimlichkeit ist das Gebot der Stunde. Betört Volodi mit Eurem Duft und dann mit all dem, was Ihr in den letzten Tagen gelernt habt. Wenn Ihr dies tut, werdet Ihr ihm jedes Geheimnis entlocken.«