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Sie trat in einzelne Verschläge, betrachtete die Tiere, so gut es im schwindenden Licht möglich war. Beim fünften fand sie, wonach sie gesucht hatte. Sie ging in die Knie und betastete vorsichtig das linke hintere Bein. Knapp über dem Huf war es geschwollen. Die Stute reagierte mit einem Schnauben auf leichten Druck. Shayas tastende Fingerspitzen spürten die Wärme. Ein weiteres Zeichen für eine Entzündung.

»Wer bist du?«, erklang hinter ihr eine ärgerliche, tiefe Stimme.

Sie lächelte. Die beiden Wachen waren also keine arglosen Tröpfe. Sie hatten ihren Herrn unterrichtet, dass die Heilerin gekommen war, nach der er nie geschickt hatte.

Die Prinzessin richtete sich auf und sah dem hochgewachsenen Mann, der sich nun vor ihr aufbaute, in seine dunkelbraunen Augen. »Ich schätze, Eure Rotschimmelstute liegt Euch am Herzen, Herr. Sie bekommt Hafer zu fressen und steht in einem guten Stall. Wahrscheinlich habt Ihr für Sattel und Zaumzeug mehr ausgegeben, als eine zehnköpfige Bauernfamilie in einem ganzen Jahr erwirtschaften kann. Habt Ihr bemerkt, dass sie lahmt? Oder hat sie es bis zuletzt vor Euch verborgen?«

»Wovon redest du, Weib?«

»Von der entzündeten Beugesehne Eurer Stute. Kommt und seht. Seid Ihr lange durch tiefen Grund geritten? Grasland im Regen, aufgewühlt durch die Hufe einer Herde?«

Der Handelsherr trat neben die Stute. Er strich ihr sanft über die Nüstern und flüsterte ihr kurz etwas ins Ohr. Er mochte sein Pferd, ganz wie Shaya vermutet hatte.

Ohne auf den Schmutz zu achten, der seinen kostbar bestickten Umhang besudelte, ging er in die Hocke und betrachtete die Schwellung.

»Du hast recht, Weib. Sie sollte Bandagen bekommen …«

»Nein, bei allem Respekt, aber das wird nicht genügen. Ihr werdet sie zuschanden reiten, wenn Ihr es nur mit Bandagen versucht und sie zu schnell wieder bewegt.«

Er sah ärgerlich zu ihr auf. Seine Brauen waren über der Nase zusammengewachsen. Er konnte wahrlich finster dreinblicken. Sein schmales Gesicht mit der langen, leicht gebogenen Nase und dem kurz geschorenen Bart hatte etwas Raubvogelhaftes. Ganz offensichtlich war er es nicht gewohnt, dass Frauen ihm widersprachen. »Und was schlägst du vor, Quell aller Weisheit?«

»Blutegel. Und Ihr solltet sie einen Mond lang nur wenig bewegen, auch wenn dies vermutlich Eure Pläne durchkreuzt.«

»Blutegel?« Er runzelte die Stirn.

»Schockiert? Wenn Ihr mir gestattet, sie zu verwenden, wird die Entzündung deutlich schneller abheilen.«

Er strich sich nachdenklich über den Bart. »Ich habe davon gehört. Die Ischkuzaia verwenden Blutegel … Kommst du aus der Steppe?«

Shaya war sich des schlechten Rufes, den ihr Volk genoss, durchaus bewusst. Insbesondere Handelsherren schätzten die räuberischen Steppenreiter nicht. »Sehe ich so aus?«, entgegnete sie selbstsicher. Der Daimon, der sie im Bergkloster gerettet hatte, war sehr gründlich gewesen, als er ihr Gesicht veränderte.

Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Aber warum sollte ich dir das Wohl eines Pferdes anvertrauen, das doppelt so viel wert ist, wie ich für dich bekäme, würde ich dich auf einem Sklavenmarkt verkaufen.«

Shaya musste lächeln. Sie dachte daran, wie der Unsterbliche Muwatta einst tausend Pferde aus den königlichen Gestüten als Kaufpreis für sie gezahlt hatte. Und nun schätzte man sie nur noch auf ein halbes Pferd.

»Was amüsiert dich?«

»Dass Ihr Pferde besser einschätzen könnt als Frauen, Herr. Ihr könnt meine Hilfe annehmen oder einem Heiler vertrauen, der Euch nach dem Mund redet. Eine straffe Bandage wird für kurze Zeit helfen. Und wenn Eure Stute dann ruiniert ist, werdet Ihr so weit von der Goldenen Stadt entfernt sein, dass Ihr nicht mehr umkehren könnt, nur um einen Quacksalber zur Verantwortung zu ziehen.«

Er lachte leise, wobei sich tiefe Fältchen um seine Augen bildeten. »Das könnte wohl geschehen. Du bist ungewöhnlich, Weib. Du redest offener als die meisten Männer, die ich kenne.«

»Dann umgebt Ihr Euch mit den falschen Männern, Herr.«

Sein Lächeln gefror. »Du sollst Gelegenheit haben zu beweisen, ob du eine Maulheldin bist oder eine Heilerin. Ich gebe dir drei Tage, um meine Stute zu heilen. Gelingt es dir, wirst du drei Silberstücke bekommen, solltest du aber …«

»Wenn Ihr Wunder erwartet, betet zu Išta, Herr. In meiner Macht liegt es, dafür zu sorgen, dass die Schwellung infolge der üblen Säfte, die sich dort gesammelt haben, deutlich zurückgeht. Geheilt ist sie dann aber noch lange nicht. Außerdem brauche ich ein Silberstück sofort, um die richtigen Blutegel kaufen zu können.«

Zwei tiefe Falten erschienen im Dickicht seiner Brauen oberhalb der Nasenwurzel. »Du führst den Namen der Göttin leichtfertig im Munde, Weib.«

»Išta gefällt es, wenn wahr gesprochen wird. Was also hätte ich zu befürchten?«

»Du bist wohl nie um eine Antwort verlegen.« Er erhob sich und strich der Stute durch die Mähne. »Du bekommst drei Tage, um die üblen Säfte aus dem Bein der Stute zu holen. Bist du erfolgreich, erhältst du drei Silberstücke, abzüglich des einen, das du für deine unverschämt teuren Blutegel ausgibst. Tritt keine sichtbare Verbesserung ein, betrachte ich dich als Betrügerin. Dann lasse ich dich nackt an eine der Säulen draußen auf dem Markt binden, und ich werde dir höchstselbst dreißig Stockhiebe verabreichen.«

Der harte Zug um seine Lippen ließ sie ahnen, dass er es genießen würde, sie öffentlich zu demütigen. Er war ein Mann, der von Frauen Demut erwartete. Aber so sehr verstellen konnte sie sich nicht. Shaya war sich bewusst, dass sie ein besseres Angebot nicht bekommen würde. Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Der Handel gilt, Herr … Wie heißt Ihr?«

»Pithana ist mein Name. Wenn du Pferde so gut kennst, wie du vorgibst, solltest du schon von mir gehört haben. Ich beliefere die Gestüte des Unsterblichen Labarna.« Er schlug nicht ein. Stattdessen drückte er einem der beiden Wächter ein Silberstück in die Hand. »Natan, du gehst mit ihr. Du zahlst an ihrer Stelle, und du lässt sie keinen Augenblick aus den Augen. Sie erinnert mich an eine Diebin, deren Hinrichtung ich im letzten Sommer beiwohnte. Versucht sie mit dem Geld zu fliehen, verfährst du mit ihr, wie mit der Diebin verfahren wurde.«

Der Traum von einer besseren Welt

Sie zog das kleine Messer über den Wetzstein und prüfte dann mit dem Daumen die Schärfe der Klinge. Dies war der einzige Schatz, den sie aus dem ewigen Eis gerettet hatte. Ein gutes Eisenmesser, das sie einem erfrorenen Krieger aus Truria abgenommen hatte.

»Haltet die Stute still«, befahl sie den beiden Kriegern, die sie auf Pithanas Geheiß keinen Moment aus den Augen ließen.

Shaya strich der Stute über die Kruppe. »Ruhig, meine Schöne. Ich werde dir helfen.«

Der Rotschimmel peitschte nervös mit dem Schwanz, als sie niederkniete. Vorsichtig rasierte sie eine Stelle an der geschwollenen Hinterröhre. Die Blutegel würden besseren Halt finden, wenn sie das Fell entfernte.

Die Stute schnaubte. Jede Berührung an der Schwellung musste sie schmerzen. Natan redete auf sie ein und hielt dabei die Zügel. Mit Pferden konnte er ganz gut umgehen, dachte Shaya. Wie er sie ansah, gefiel ihr hingegen weniger. Sein Blick war wie der eines ausgehungerten Wolfs.

Wenig später hatte sie sechs kleine Flecken auf beiden Seiten der Schwellung freirasiert. Sie säuberte die Klinge an ihrem Hosenbein und steckte sie weg. Dann griff sie in die Schale mit den sich windenden Blutegeln. Sie glänzten feucht und waren von braunschwarzer Farbe. Mit spitzen Fingern nahm sie eines der kleinen Biester und setzte es an das Pferdebein, wo es sich augenblicklich festsaugte. Die Stute spürte nichts. Das war eines der Mysterien der Egel, dass ihr Biss, obwohl er blutige Wunden verursachte, nicht von Schmerzen begleitet wurde.

Nach und nach setzte sie alle sechs Blutegel an die rasierten Stellen und beobachtete, wie die Leiber der Würmer anschwollen.

Bald ließ sich der erste vollgesogen zu Boden fallen. Shaya las ihn aus dem Streu und gab ihn in die Schale zurück. Als auch der letzte Egel von der Stute abgelassen hatte, streckte sie sich.