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Er hielt dem Rotschimmel einen Apfel hin und kraulte ihn, als er fraß, zwischen den Ohren. Plötzlich deutete der Kaufherr mit ausgestrecktem Arm auf sie. »Dieses Weib hat mich getäuscht«, verkündete er mit Donnerstimme.

Shaya sah die Schadenfreude in den Augen der Männer, die den Hof säumten. Die Erwartung auf das grausame Spektakel, das nun folgen würde. Die Prinzessin stellte sich vor, wie sie sich ganz und gar an ihre kostbarsten Erinnerungen klammern würde, wenn der Stock ihr Fleisch schändete. Sie würde an die Nacht denken, in der sie für Aaron auf dem Rücken des Wolkensammlers getanzt hatte, und daran, wie er sie in seinem Thronsaal wiedererkannt hatte, obwohl ihr Gesicht gänzlich verändert gewesen war.

Bedrohliche Stille hatte sich über den Hof gesenkt. Eine Stille, die all ihre tröstenden Gedanken löschte. Sie wandte den Kopf. Sah den Kaufherrn an, dem sie ganz und gar ausgeliefert war.

Plötzlich kniete er sich neben die Stute und strich über die entzündete Sehne.

»Sie ist nicht geheilt, aber die Schwellung ist deutlich zurückgegangen. Erstaunlich! Dieses vorlaute Weibsstück hat wahr gesprochen. Ihre Blutegel haben meiner Stute geholfen. Sie mag aussehen wie eine windige Trosshure, aber sie ist tatsächlich eine Heilerin. Das Einzige, was ich ihr vorhalten kann, ist, dass sie mir einen völlig überzogenen Preis für ihre Künste abverlangt hat.« Pithana blickte in die Runde.

Shaya traute ihren Ohren nicht. Sie sah die Enttäuschung in den Gesichtern der Männer ringsherum.

»Mir bleibt nur, mich selbst zu schelten. Meine Schläfen sind grau, und doch bin ich nicht weise. Ich hätte wissen müssen, dass es für einen Mann immer kostspielig wird, wenn er eine Frau trifft, die ihm mit schönen Reden kommt und dabei frech in die Augen sieht.«

Damit hatte er sie rumgekriegt. Die meisten Zuschauer, die eben noch enttäuscht waren, grinsten nun.

Pithana öffnete mit großer Geste seinen Geldbeutel, trat zu ihr und zählte ihr drei Münzen in die Hand. Shaya war immer noch überwältigt und sprachlos. Sie sah zu dem Pfahl, zu dem Bambusstab, den Natan hielt. »Warum?«

»Komm mit mir mit, Weib. Teile Salz und Brot mit mir, und du wirst deine Antwort bekommen.«

Die Wachen öffneten das Tor der Karawanserei. Etliche Schaulustige verließen den Hof. Shayas Hand schloss sich um die Münzen.

»Du kannst gehen. Du bist frei.« Pithana lächelte selbstsicher. »Aber dann wirst du niemals erfahren, warum ich es tat.«

Ohne auf ihre Antwort zu warten, ging er zurück zum Gästehaus. Die übrigen Kaufherren wirkten nicht minder verblüfft, als sie es war. Ein tätowierter Händler in grellbunten Gewändern schimpfte sogar lautstark, als Pithana an ihm vorüberging.

Natan nahm den Rotschimmel beim Zügel und führte ihn zurück in die Stallungen. Er nickte ihr lächelnd zu. Im Gegensatz zu den Männern um Pithana wirkte er erleichtert über den Ausgang.

Shaya folgte dem Kaufherrn zum Gästehaus. Sie hatte das Gefühl, dass Pithana sein böses Spiel noch weiter treiben würde. Doch es war der tätowierte Kerl, der schon Pithana beleidigt hatte, der nun auch sie anfuhr. Er schien von den Schwimmenden Inseln zu kommen. Seine Zähne waren zugefeilt, sein Gesicht mit den Reißzähnen eines Hais bemalt. Als er nach ihr greifen wollte, bedachte Shaya ihn mit einem eisigen Blick, in den sie all ihren Zorn legte. Erschrocken wich der Händler einen Schritt vor ihr zurück und schlug mit der Linken ein Schutzzeichen gegen das Böse.

Shaya blieb zwei Herzschläge lang stehen, hielt ihn mit ihrem Blick gebannt. Doch er wagte es nicht mehr, ihr in die Augen zu sehen. Schweiß stand ihm auf der Stirn.

»Kantubo«, sagte sie mit fester Stimme. Das bedeutete nichts, aber sie genoss es, ihn erbleichen zu sehen, weil er sich nun verflucht wähnte. Eben noch hatte er sich an ihrem Elend ergötzt. Hatte sich gewünscht, sie wehrlos an einen Pfahl gefesselt zu sehen. Nun sollte er am eigenen Leibe erfahren, wie das war. Shaya wandte sich ab und trat ins Gästehaus. Im Halbdunkel der Eingangshalle stand Pithana. Er lächelte. Hatte er durchschaut, dass sie nur ein böses Spiel mit dem Tätowierten getrieben hatte?

»Du bist wirklich eine außergewöhnliche Frau. Ich wünschte, uns bliebe die Zeit, deine Geheimnisse zu ergründen.« Er öffnete eine Tür und winkte sie in eine Kammer, die mit prächtigen Teppichen und bunt bestickten Kissen ausgelegt war. Auf silbernen Platten dampften frisch gekochter Reis und köstlich duftende Brotfladen. Kaltes Fleisch lag aufgeschnitten in dunkler Sauce, Äpfel und Trauben türmten sich in weiten Schalen. Schneeweißer Käse schwamm in trübem Salzwasser.

Der Anblick des Essens verfehlte seine Wirkung nicht. Shaya knurrte der Magen so laut, dass der Kaufherr es gehört haben musste. Ärgerlich darüber, dass Pithana um ihren Hunger wusste, hob sie den Kopf und sah sich um. Sie würde ganz sicher nicht wie ein ausgehungerter Wolf über das Essen herfallen. Und so betrachtete sie, statt sich am Anblick der reichhaltigen Speisen zu erfreuen, die Wandgemälde. Sie zeigten eine Jagdszene. Bogenschützen streiften durch hohes Schilf auf der Suche nach einem Löwen. Auf dem Wasser schwammen Enten. Der Löwe hatte eine Gazelle gerissen und trug sie zu seinem Versteck.

»Hübsche Bilder, nicht wahr?« Pithana setzte sich, griff nach dem Reis, formte eine kleine Kugel und schob sie sich in den Mund. »Köstlich«, erklärte er kauend. »In Butter gekocht. Du solltest davon kosten. Ich kenne übrigens noch nicht einmal deinen Namen.«

»Ninwe«, log sie und setzte sich Pithana gegenüber auf einen Teppich. »Du wolltest mir etwas über die Vorstellung dort draußen erzählen.«

Der Kaufmann schob sich genüsslich noch eine weitere Reiskugel in den Mund. Er musterte sie aus dunklen Augen, sodass Shaya sich bald fühlte wie eine Stute auf dem Pferdemarkt. Statt zu antworten, formte er eine dritte Reiskugel und deutete einladend auf das Essen.

Warum nicht, dachte sie schließlich. Sie könnte so viel essen, dass sie den Rest des Tages nichts mehr brauchte. Vielleicht auch morgen nicht. Sie musste ihr Geld zusammenhalten. Sie würde ein neues Kleid brauchen, in dem sie besser aussah. Und ein Besuch in einem Badehaus würde auch nicht schaden. Das Gespräch, das sie in der ersten Nacht bei Pithana mitgehört hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie wollte nach Asugar und dort ein neues Leben als Heilerin beginnen.

Sie legte ihren Umhang ab, nahm drei Brotfladen und einige Äpfel und wickelte sie in den groben Stoff.

Der Kaufmann lachte leise. Es klang herzlich, nicht herablassend. »Einer Frau wie dir bin ich wahrlich noch nicht begegnet. Dein Umgang mit der Stute hat mich überzeugt. Ich habe noch nie gesehen, dass eine Entzündung so schnell zurückging.«

Shaya nahm sich von dem Reis. Er war wirklich köstlich. Sie schob sich Kugel auf Kugel in den Mund und trank zwischendurch etwas Wasser, das mit Zitronensaft und Honig veredelt worden war.

»Du machst nicht den Eindruck, als würde deine Kunst dich gut ernähren.«

Shaya blickte vom Essen auf. Sie mochte nicht, was er sagte, doch es war offensichtlich, dass er recht hatte.

»Ich habe überlegt, wie ich dich etwas bekannter machen könnte. Natürlich hätte ich dich einfach nur empfehlen können, doch Worte haften oft nicht allzu gut in unseren Erinnerungen. Und sich an dich erinnern, das sollten sie. Die Männer, die mit mir bei den Säulen standen, haben über hundert Pferde hier in der Karawanserei. Manche sind nur elende Lasttiere mit durchgehangenem Rücken, aber es gibt auch edlere Rösser in den Ställen. Ich habe ein paar Mal abends von unserem besonderen Handel erzählt, und ich habe den Ruf, ein gestrenger Zuchtmeister zu sein. Als ich heute Morgen den Pfahl aufstellen ließ, haben sich alle ein Spektakel versprochen.« Er hielt inne und stocherte mit seinen langen Fingernägeln zwischen seinen Zähnen.

»Der Pfahl war mein Köder, mit dem ich für dich die Fliegen gefangen habe. Alle sind sie gekommen, um zu sehen, was passiert.« Er hob entschuldigend die Hände. »Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe, aber für dein Geschäft wird es von Nutzen sein.«