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Zum ersten Mal sah die Prinzessin ihm direkt in die Augen. Was für ein eingebildetes Arschloch! Sagen würde sie ihm das erst, wenn sie genug gegessen hatte.

»Ich bewundere dich. Du scheinst gut zurechtzukommen in dieser Welt der Männer. Ich schätze, du kannst auch Kehlen aufschneiden, wenn es sein muss. Ich habe dein Messer bemerkt.«

Shaya hielt im Kauen inne und sah ihn durchdringend an. Er hatte keine Angst vor ihr. Was erwartete er, dass sie sich ihm dankbar an den Hals warf?

»Ich muss noch einmal zurück zu meinen Herden auf der Messergrassteppe. Die Rotschimmelstute wird hierbleiben. Wenn du dich um sie kümmerst, zahle ich dir ein Silberstück in der Woche. Ein wahrlich fürstlicher Lohn, um nach einem Pferd zu sehen.«

Shaya kostete von dem Ziegenkäse im Salzwasser. Er war nicht so gut wie der, den sie aus ihrer Kindheit kannte, aber durchaus der beste, den sie seit Langem zu essen bekommen hatte. Salzig und ein wenig sauer, mit lang anhaltendem Aroma.

»Du bist nicht sehr gesprächig, Ninwe.« Der Kaufmann wirkte enttäuscht. »Ich schätze, du wirst wohl gehen. Du liebst deine Freiheit, nicht wahr? Aber Freiheit bedeutet, immerzu zu kämpfen. Wenn du eines Tages müde bist, dann komm nach Luwien. Es gibt dort eine große Tempelstadt. Sie heißt Isatami. Du hast gewiss schon von ihr gehört.«

Shaya verschluckte sich fast. Isatami! Nie würde sie diesen Namen vergessen. In der heiligen Stadt war sie vom Unsterblichen Muwatta vor den Augen Tausender jubelnder Pilger in der Nacht der Himmlischen Hochzeit vergewaltigt worden. Wenn es einen Ort gab, an den sie ganz gewiss nie mehr zurückkehren würde, dann war es diese verfluchte Stadt.

»Wenn du dort nach Pithana fragst, wird man dir den Weg zu meinem Gutshof weisen. Jeder kennt mich in Isatami. Mein Gestüt liegt etwa dreißig Meilen vor der Stadt.« Er erhob sich und verneigte sich knapp. »Es war mir eine Ehre, dich kennengelernt zu haben, Ninwe. Ich hoffe, wir werden uns wieder begegnen.«

An der Tür der Kammer drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Ich habe dich nicht allzu freundlich behandelt. Aber ich hoffe, du hast verstanden, dass es zu deinem Besten war. Unter dem Kissen dort vorne findest du ein kleines Abschiedsgeschenk. Vielleicht gewinne ich damit deine Gunst.«

Pithana verließ die Kammer. Shaya lauschte auf seine Schritte. Er ging hinaus auf den Hof. Kurz hörte sie seine Stimme, als er einem Diener einen Befehl zurief, dann war es still.

Neugierig hob sie das Kissen auf. Darunter lag ein gefalteter gelber Seidenschal, auf den rote Rosen gestickt waren. In den Schal eingeschlagen fand sie ein Goldstück. Wütend warf sie Schal und Gold von sich. Was bildete er sich ein? Dass er sie kaufen konnte? Sollte das ein Brautgeschenk sein? Was hatte er sich von diesem gemeinsamen Mahl versprochen?

Das Goldstück funkelte im Licht der Sonne, das durch ein schmales Fenster fiel. Sie atmete tief ein. Solch dummen Stolz konnte sie sich nicht leisten, dachte sie ruhig. Sie aß einige Oliven, konnte den Blick aber nicht vom Gold wenden.

Schließlich nahm sie alle Brotfladen und noch einige Äpfel, packte sie zu der Beute in ihrem Umhang und knotete ihn zu. Dann hob sie den Seidenschal auf und schlang ihn sich um den Nacken. Zuletzt nahm sie auch das Gold. Es würde ihr den Weg in ein neues Leben öffnen.

Hocherhobenen Hauptes verließ sie die Karawanserei, sich der Blicke der Wachen und Stallknechte wohl bewusst, die ihr folgten.

Himmlischer Frieden

Es war bereits später Nachmittag, als Shaya sich dem Palastviertel der Valesier näherte. Dort, so hoffte sie, würde sie eine Passage auf einem der Wolkenschiffe erhalten. Als sie sich durch die vielen Menschen schob, die die Straßen bevölkerten, musste sie an Aaron denken. Daran, wie oft er ihr von seinen Träumen von einer besseren Welt erzählt hatte. Vielleicht war es selbst für einen Unsterblichen zu kühn, gleich die ganze Welt verbessern zu wollen. Ob Arcumenna mehr Glück haben würde? Er wollte eine vollkommene Stadt. Danach eine Provinz. Kleine Schritte – so sollte auch ihr Leben künftig aussehen. Sie würde nur kleine Schritte machen, nichts Besonderes sein und unauffindbar für Aaron werden.

Schon am Mittag hatte sie damit begonnen. Sie hatte wieder einmal, wie eine Schlange, ihre Haut abgestreift. War eine andere geworden. Niemand hätte in der gut gekleideten, fast schon schönen Frau die armselige Pferdeheilerin vermutet. Shaya hatte für ihr Gold ein Kleid aus rot gefärbtem Leinen und ein paar weiche Stiefel gekauft. Auch für eine Tasche und einen kleinen Vorrat an Kräutern und Tinkturen hatte es noch gereicht.

Am Himmel über ihr ankerten unzählige Wolkensammler. Es war eine ganze Flotte, die an den hohen Türmen des Palastviertels versammelt lag. Hunderte Männer drängten sich vor den Wachposten. Shaya reihte sich geduldig in die lange Schlange und sah sich unauffällig um. Frauen gab es nur wenige. Sie wurde angepöbelt. Vielleicht war Rot nicht die klügste Wahl für das Kleid gewesen.

Die meisten Männer, die an Bord der Wolkenschiffe wollten, wurden abgewiesen. Shaya konnte sich vorstellen, warum. Gewiss wollte Arcumenna nur die jungen und kräftigen und jene, die ein Handwerk gelernt hatten. Mit harten Augen und zusammengekniffenem Mund gingen die Enttäuschten entlang der Menschenschlange zurück in die Stadt. Wieder einmal von Nangog um einen Traum betrogen.

Dann endlich stand sie vor einem schwitzenden Hauptmann mit kurz geschorenem, grauem Haar. »Wem gehörst du, Weib?«

»Mir!«, entgegnete sie verärgert.

Der Hauptmann musterte sie mit müdem Blick. »Was willst du in Asugar?«

»Ich bin eine Heilerin.«

Er nickte und wies auf einen der Ankertürme. »Du fliegst auf der Himmlischer Frieden. Steig dort den Turm aus gelblichen Ziegeln hinauf. An Bord wird man dir einen Platz zeigen, an dem du schlafen kannst.«

Ein wenig überrascht trat sie durch den Ring aus Wachen und sah dann unsicher noch einmal zu dem Hauptmann zurück. Der beschäftigte sich schon mit dem nächsten Träumer.

Sie konnte kaum glauben, dass es das schon gewesen war. Eilig strebte sie durch das Gedränge dem genannten Turm entgegen und erklomm die Treppe, die sich in weiten Spiralen entlang der Außenmauer wand. Auf der Treppe überholte sie etliche Männer, denen die Höhe zu schaffen machte. Sie hingegen konnte es kaum erwarten. So lange war sie schon nicht mehr geflogen! Mit festem Schritt passierte sie die breite Planke und war an Bord.

Einst hatte sie die Wolkensammler Kanitas befehligt, des Statthalters ihres Vaters Madyas. Eine Ewigkeit schien seitdem vergangen zu sein. Shaya suchte sich einen Platz an der Reling und genoss es, hinab auf die Stadt zu blicken. Endlich einmal hatte sie nicht kämpfen müssen, um ein Ziel zu erreichen. Es war fast unheimlich, wie leicht sie an Bord gekommen war. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, als sie auf die Menschenmenge blickte. Tausende warteten noch darauf, auf eines der Wolkenschiffe zu dürfen. Mehr als zwei Dutzend Menschenschlangen drängten sich in den Gassen des Viertels. Jeder Ankerturm wurde von Männern belagert, die an den Traum von Asugar glaubten. Der Stadt, die vollkommen sein würde.

Shaya beobachtete, wie Frachter mit Amphoren und lebendem Vieh beladen wurden. Einige Schiffe waren mit Kriegern gefüllt. Die Sonne funkelte auf ihren Bronzehelmen. Entlang der Reling hängten sie ihre großen Rundschilde auf. Ein jeder war mit einem anderen Bild bemalt. Einige zeigten die Schreckensgestalten, die sich aus dem Schoß Nangogs erhoben hatten. Frauenhäupter, auf denen sich Schlangen wanden, Kreaturen, halb Mensch, halb Vogel, oder Löwen und Pferde. Plante Arcumenna einen Feldzug? Es waren erstaunlich viele Bewaffnete, die ihm in seine Provinz folgten.

In der Abenddämmerung löste die Himmlischer Frieden endlich ihre Tentakel vom Ankerturm. Letzte Taue wurden eingeholt, die Segel an den Masten, die seitlich aus dem Rumpf des Schiffes ragten, gesetzt. Eine sanfte Brise trieb die Wolkenschiffe nach Süden.