Subai grinste breit. »Wir verehren den Weißen Wolf. Auf silbernen Löwen zu reiten hieße, unseren Gott zu beleidigen. Das hat auch Langarm verstanden, deshalb hat er uns geflügelte Wölfe erschaffen. Aber sei unbesorgt, sie stehen den silbernen Löwen in nichts nach.« Er sah zu Acoatl. »Vielleicht wird er für dich geflügelte Schlangen machen, wenn du ihn nett bittest.«
»Ich krieche in niemandes Arsch, nicht einmal in den eines Gottes«, erklärte Acoatl kühl.
»Wenn du die Bitte um einen Gefallen mit Arschkriecherei verwechselst, wirst du sicherlich noch mehr verlieren als nur den Quell deines weißen Goldes. Dein Volk tut mir leid. Wir sind unsterblich, wir genießen jeden Luxus, aber wir sind auch die ersten Diener unseres Volkes.«
Artax sah Subai verwundert an. Sprach da einer der vorherigen Unsterblichen aus der Herrscherlinie der Ischkuzaia durch seinen Mund? Diese Rede klang so gar nicht nach dem Subai, den er kannte.
»In zwei Tagen seid ihr alle in meinen Palast eingeladen. Ihr werdet dann meine neue, fliegende Leibgarde bewundern können: die Drachentöter!«
Artax dachte an den Verdacht Ormus, dass es nicht die Pfeile von Subais Reitern gewesen waren, die den großen roten Drachen in Wanu getötet hatten. Aber die seltsame Pfeilspitze, die hätte beweisen können, dass es eine unbekannte Macht gab, die ihnen im Kampf gegen die Drachen half, hatte Artax während des Angriffs des rot gewandeten Daimons verloren. Erneut an den Luftkampf erinnert, kamen ihm Zweifel, dass zwanzig silberne Wölfe ihre Feinde aufhalten könnten. Nein, sie bräuchten Hunderte davon oder weitere Wolkensammler wie diesen geheimnisvollen Himmelsrochen.
Himmelsrochen würde es nicht geben. Artax ballte die Fäuste. Also brauchten sie Schwärme von geflügelten Löwen!
Ansur fing wieder davon an, dass sie ihre Städte befestigen mussten. Er wollte mehr Krieger. Mehr Speerschleudern und einen Riesen, der die Adler der Daimonen zerquetschte wie Fliegen …
Artax sah überrascht auf. Das war mal etwas Neues! »Wir müssen die Devanthar rufen«, sagte er entschieden. »Vor allem Langarm. Wir müssen wissen, was möglich ist. Vielleicht kann er uns ja sogar einen silbernen Drachen bauen?« Er lächelte Ansur zu. »Du hast recht, Bruder. Wir müssen einfach größer denken. Warum sollten wir uns mit Löwen zufriedengeben, wenn Riesen möglich wären? Wenn es nur einen dieser Himmelsrochen gibt, warum sollten wir uns damit abfinden? Vielleicht kann Langarm auch Himmelsrochen bauen?«
Artax sah, wie dieser Gedanke alle begeisterte. Selbst Acoatl nickte ihm zu. »Ja, wir müssen als Erstes die Grenzen unseres eigenen Denkens überwinden. Wenn Langarm einem Löwen aus Metall Leben einhauchen kann, dann kann er alles bauen.«
»Mich verlässt mein Leben gleich«, murmelte Volodi. »Habt ihr auch Hunger? Großen Reden zuzuhören finde ich anstrengender, als große Schlachten zu schlagen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich könnte einen ganzen Ochsen verschlingen.«
Labarna klopfte ihm auf die Schulter. »Man sollte nie das Wesentliche aus dem Blick verlieren. Ich bin dabei. Und ich glaube, für heute gibt es nichts mehr zu besprechen, oder? Der nächste Schritt ist ein Treffen mit Langarm.« Er sah zu Acoatl. »Ich hoffe, dass es nicht selbst für einen Gott zu viel ist, wenn sieben Unsterbliche versuchen, ihm in den Arsch zu kriechen. Oder bist du nicht dabei, Bruder?«
Acoatl blieb ihm eine Antwort schuldig.
Volodi ging zur Tür und tuschelte kurz etwas mit jemandem, der draußen gewartet hatte.
»Ist es weise, wenn wir uns erneut alle an einem Ort wie diesem versammeln? Vor vielen Zeugen? Beim nächsten Mal sollten wir nicht in einem Palast zusammenkommen. Besser wäre ein Ort irgendwo in der Wildnis, den nur wir Unsterbliche auf unseren fliegenden Löwen erreichen können«, wandte Eloni, der neue Herrscher der Schwimmenden Inseln, ein. Es war das erste Mal, dass er während des Treffens sprach. Er war ein großer Mann mit bronzefarbener Haut voller dunkelblauer Tätowierungen. Sein Gesicht war so stark mit Schlangenlinien geschmückt, dass es schwerfiel, die Regungen darin abzulesen. Am auffälligsten jedoch waren seine Tätowierungen auf Brust und Bauch, die zwei Krokodile zeigten, die sich gegenseitig verschlangen.
»Dann kommen wir doch jeder auf unserem eigenen Palastschiff«, schlug Ansur vor. »So können die Daimonen uns nicht alle zugleich angreifen. Und die Kunstfertigkeit von fliegenden Steppenreitern lässt sich vielleicht auch am besten vom Himmel herab beurteilen.«
Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, und als Diener Böcke hereintrugen, auf die breite Holzplatten für das Festmahl gelegt wurden, herrschte eine gelöste Stimmung.
Quetzalli war mit dem Gefolge gekommen und beaufsichtigte persönlich, was aufgetragen wurde. Erst als alles zu ihrer Zufriedenheit war, nahm sie neben Volodi Platz. Es versetzte Artax einen Stich, die beiden in trauter Zweisamkeit zu sehen. So kurz war sein Glück mit Shaya gewesen.
Er sollte Langarm um einen Schwarm fliegender Löwen bitten. Auch er wollte am Himmel kämpfen und den Tod von Madyas rächen. Schließlich hatte er nichts mehr zu verlieren.
Ein wenig wunderte sich Artax, dass seine inneren Stimmen schwiegen. Aber vielleicht hofften auch sie auf seinen baldigen Tod. Er winkte einer Dienerin, einer üppigen Blondine, und ließ sich Met in sein Trinkhorn gießen. Eigentlich mochte er dieses süßliche Gebräu nicht, aber heute war er in der Stimmung, sich zu betrinken. Vielleicht würde ihm dann Shaya wenigstens in seinen Träumen begegnen.
Eine Leber voller Würmer
Quetzalli war erstaunt zu sehen, wie viel der Unsterbliche Aaron trank. Früher war er stets sehr zurückhaltend gewesen. Sie zerteilte ein Stück Rehbraten und schob es Volodi auf den Teller. Ihr Mann hatte sich verändert, seit er Kolja in den Heiligen Hain von Drei Eichen gebracht hatte. Er sprach nicht mit ihr darüber, was geschehen war. Dass er sich zudem kaum um Wanya kümmerte, war hingegen nicht schlecht. Der Kleine musste sich erholen …
Sie nahm einen Schluck von dem Honigbier, das die Drusnier so sehr liebten. Warm und klebrig war es. Sie konnte sich daran nicht begeistern. Der Reihe nach betrachtete sie die Unsterblichen. Für die mächtigsten Männer der Welt waren sie recht gewöhnlich. Es war gut, dass sie meist Masken trugen, wenn sie sich vor dem Volk zeigten.
Acoatl trank nicht, und er aß auch nicht von den Speisen, die ihm aufgetragen wurden. Keinen Herzschlag wichen seine Augen von ihr. Sie war unberührbar für ihn. Und sie verkörperte seine größte Demütigung. Quetzalli war sich sicher, dass er darüber nachsann, wie er sie in seine Hände bekommen könnte. Wenn es nach ihm ginge, würde sie noch heute auf dem Altar im verborgenen Tempel im Weltenmund liegen. Und Volodi neben ihr.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie diesen Tag nicht überlebt hätte. Sie war sich bewusst, dass viele Drusnier sie fürchteten. Doch ab und an einen schwarzen Hahn zu schlachten, um dessen Leber zu betrachten, schadete niemandem. Sie war eine Herrscherin! Es war ihre Pflicht, nach Vorzeichen für die Zukunft zu suchen, damit sie auf die Stürme, die da kommen würden, vorbereitet war.
Erst heute Morgen hatte sie erneut einen Hahn geschlachtet. In seiner Leber hatte sie Würmer gefunden. Das war ihr erst ein einziges Mal passiert. Eine Woche, bevor Volodi zum Tempel beim Blutsee gebracht worden war und man ihr befohlen hatte, ihm das Herz herauszuschneiden. Damals hatte Aaron sie gerettet. Und sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass auch noch eine andere Macht eingegriffen hatte. Vielleicht die Götter selbst.
Nun zog ein neues Unglück herauf. Sie wusste, dass es kommen würde. Eine Leber voller Würmer, das war eine überdeutliche Warnung.
Acoatl erhob sich. Seine Blicke waren wie Messerstiche. Er nickte Volodi zu. Sagte aber kein Wort. Auch Eloni stand jetzt auf. Wie es schien, hatte Acoatl im neuen Unsterblichen der Schwimmenden Inseln erneut einen Verbündeten gefunden. Zumindest besaß Eloni die Höflichkeit, sich wortreich von Volodi zu verabschieden.
Volodis Antwort war ein Rülpser und ein etwas unbeholfenes Gestammel. Er war betrunken. Dennoch hätte er zumindest versuchen sollen, die Form zu wahren. Jetzt winkte er schon wieder die neue Dienerin zu sich, damit sie ihm das Methorn auffüllte. Quetzalli gefiel nicht, wie Volodi diese Blondine ansah. Da war etwas Verträumtes in seinem Blick, das zwischen ihnen verloren gegangen war. Dieses Flittchen gefiel ihm. Und Quetzalli hatte den Eindruck, dass die kleine Hure sich bemühte, ihrem Mann zu gefallen. Wann immer sie ihm nachschenkte, beugte sie sich besonders weit vor, sodass ihr die drallen Brüste fast aus dem tief ausgeschnittenen Kleid quollen. Und Volodi starrte jedes Mal hin.