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Gestern, in der großen Halle, war ihr zum ersten Mal aufgefallen, dass ihr Mann diesem Weibsbild nachsah. Vladi hatte ihr gesagt, dass sie Anisja hieß. Der Hofmeister hatte das Flittchen ebenfalls in höchsten Tönen gelobt. So sehr, dass sie ihm nicht hatte befehlen können, Anisja davonzujagen. Ihre Eifersucht wäre zu offensichtlich gewesen und hätte zu Gerede bei Hof geführt. Es reichte, dass man sie für eine Hexe hielt, sie brauchte nicht auch noch Tratsch darüber, dass Volodi seiner Hexe überdrüssig geworden war.

Lange würde es nicht mehr unbemerkt bleiben, wie der Unsterbliche diese Dienerin ansah. Vielleicht waren die Würmer in der Leber eine Warnung vor Anisja gewesen? Sie bewegte sich mit erstaunlicher Anmut, musste Quetzalli eingestehen.

»Ich werde nach Wanya sehen«, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Er nickte. »Ich komme sofort nach, wenn die Gäste gegangen sind.« Sein Atem stank nach Met. Ob er wohl ohne Hilfe ins Bett fand?

Als Quetzalli das Gästehaus verließ, hielt sie sich links und machte einen weiten Umweg durch den Heiligen Hain und an den Schweinepferchen vorbei zu den Quartieren der Würdenträger bei Hof. Dort wartete sie lange ab und beobachtete den Hof, bevor sie zu der Tür ging, neben der der Schild mit dem Eberkopfwappen hing. Sie hatte ihren dunklen Umhang über den Kopf gezogen. Von Ferne sah sie nicht anders aus als irgendeine Dienerin.

Sie klopfte leise. Drinnen hörte sie ein ärgerliches Murren, dann Schritte. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein verschlafenes Gesicht erschien.

Als er sie erkannte, war Oleg schlagartig hellwach. »Das ist keine gute Idee, Herrin. Man darf Euch hier nicht sehen. Der Unsterbliche wird mich …«

»Lass mich herein, wenn du nicht willst, dass ich gesehen werde.« Sie schob sich durch die Tür und schloss sie hinter sich.

Der Hauptmann wich vor ihr zurück, als fürchtete er, dass sie die Pest in sein Haus trage.

»Ihr solltet nicht hier sein.«

»Dir ist bewusst, dass du es meiner Fürsprache verdankst, dass du Hauptmann in der Leibwache des Unsterblichen bist?«

Oleg sah sie finster an. »Ihr habt mich bereits mehrfach erinnert, Herrin.«

»Du schuldest mir einen Gefallen.«

Er schnaubte ärgerlich. »Ja, ich weiß.«

»Du kennst die neue Dienerin in der Festhalle? Anisja? Sie ist blond. Und sie ist leidlich hübsch.«

»Sie ist mir durchaus aufgefallen, Herrin.«

»Ich wünsche, dass sie verschwindet. Ich möchte nicht wissen, wie oder wohin, aber diese kleine Hure darf nie wieder hier bei Hof erscheinen.«

Oleg konnte sich ein anzügliches Grinsen nicht verkneifen. »Ich verstehe.«

»Du wirst das noch in dieser Nacht erledigen.«

Er rollte mit den Augen.

»Ist dir das nicht möglich?«, fragte sie scharf.

»Die Kleine wird nie wieder das Sonnenlicht sehen.«

Quetzalli hielt den Hauptmann nicht für sonderlich fähig. Er hatte zwar zu den Zinnernen gehört, aber seine hervorstechende Leistung war es gewesen, alle Schlachten ohne die leichteste Wunde zu überstehen. Sie hatte sich mit Bedacht um seine Beförderung gekümmert. Sie brauchte Männer bei Hof, die ihr etwas schuldeten, denn außer Volodi hatte sie hier keinen Rückhalt. Aber ein schwaches Weib zu entführen sollte wohl im Rahmen seiner Möglichkeiten liegen.

Sie verabschiedete sich knapp, spähte durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür über den Hof und verschwand dann eilig in die tiefen Schatten des Heiligen Hains. Als sie wenig später in der großen Halle in den Flur trat, an dem ihre Gemächer lagen, war sie guter Dinge. Sie hatte die Gefahr, die ihrem Ehefrieden drohte, gebannt.

Die beiden Wachen grüßten sie freundlich.

»Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?«

»Nein, alles war ruhig. Wanya schläft. Man hört keinen Laut von ihm. Yuri war kurz bei ihm, um nach ihm zu sehen, wie Ihr es ihm aufgetragen hattet, Herrin.«

»Gut.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. Sie hatte diesen Scharlatan nicht geschickt! Quetzalli hielt den ehemaligen Leibarzt des Unsterblichen Iwar für ein dummes Großmaul und hatte dafür gesorgt, dass er nicht in Volodis Gunst stand. Was hatte er mit Wanya zu schaffen? Hatte er etwas bemerkt?

Sie trat in ihr Gemach, ganz darauf bedacht, ruhig zu wirken. Doch kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, stürzte sie zur Wiege. Wanya war wach. Er sah sie an, ohne zu blinzeln, ohne ein Zeichen des Erkennens. Er gab keinen Laut von sich. Sein kleines Gesicht war wie eine Maske. Und auf seiner Decke lag ein Dolch mit schwarzer Obsidianklinge und goldenem Griff. Ein Opfermesser ihres Volkes. Sie selbst hatte einst ein solches Messer benutzt, um den goldhaarigen Männern, die zur Gefiederten Schlange gingen, das Herz herauszuschneiden.

Acoatl musste einen seiner Jaguarmänner geschickt haben. Vielleicht sogar ihren eigenen Bruder Necahual? Sie zweifelte nicht daran, dass der Bote Acoatls zusammen mit dem ehemaligen Leibarzt gekommen war. Der Flur draußen war dunkel. Und Jaguarmänner vermochten durch die Schatten zu gehen. Nur so konnte der Dolch hierher gelangt sein. Es gab kein Fenster in diesem Zimmer. Wer herein wollte, musste durch die Tür.

Quetzalli nahm den Dolch aus der Wiege. Ihre Hand zitterte. Sie war von Feinden umstellt, und ihr Mann saß im Gästehaus und betrank sich. Die Götter hatten sie gewarnt. Eine Leber voller Würmer bedeutete Verderben.

Begehrt

Bidayn glaubte es nicht. Volodi hatte ihr die Hände um die Hüften gelegt und sie zu sich auf den Schoß gezogen! Er spielte mit ihrem Haar und stank entsetzlich nach Honigbier und Rauch. Der Unsterbliche Aaron legte den Kopf schief und beobachtete sie verwundert.

»Ein hübsches Mädchen hast du dir da geholt …«, lallte Labarna.

Bidayn spürte, wie Volodi sich versteifte. Er schob sie sanft von sich.

»Tja …« Schwankend erhob er sich. »Also ich glaube, ich habe genug für heute.« Er unterstrich seine Worte mit einem erstaunlich lang gezogenen Rülpser. »Saufen wir an einem anderen Tag.« Schwankend ging er zur Tür.

Subai maulte etwas über mangelnde Gastfreundschaft, die anderen Unsterblichen blieben friedlicher. Ansur musste von seinen beiden Übersetzern gestützt werden, weil ihn offensichtlich seine Beine nicht mehr trugen.

Bidayn zog sich zur Wand zurück, wo auf einer Holzplatte ein halb aufgeschnittenes, gebratenes Wildschwein lag, dem irgendein Scherzbold einen Hasenkopf ins Maul gesteckt hatte. Ihr Blick blieb auf dem Bronzemesser haften. Man brauchte keine Adler und Drachenelfen. In diesem Augenblick könnte sie mit diesem schlichten Bronzemesser fünf Unsterbliche ermorden, wenn sie es nur wollte. Volltrunken und ohne Leibwachen könnte sich höchstens Aaron zur Wehr setzen, der noch einigermaßen nüchtern wirkte.

Aber tot nutzte ihr Volodi nichts. Es ging um etwas Größeres. Sie musste sich beherrschen!

Der Drusnier verließ als Erster den kleinen Festsaal. Er sah zu ihr, bevor er ging. Sehnsucht und Schuldbewusstsein lagen in seinem Blick. Er würde zu ihr kommen! Der Zauber wirkte.

Sie war sich bewusst, dass auch Labarna sie anstarrte. Außerdem noch einige der Übersetzer. Der Raum war zu klein. Ihr Duft hatte nicht nur auf Volodi gewirkt.

Kaum dass Volodi sich zurückgezogen hatte, ging auch sie. Doch Bidayn hatte noch keine zehn Schritte getan, als hinter ihr die Stimme Vladis erklang. »Das Fest ist noch nicht beendet, Anisja. Deine Arbeit auch noch nicht.«

Sie wandte sich um und schenkte dem Hofmeister ihr bezauberndstes Lächeln. »Ich muss gehen, um das Eigentum des Unsterblichen Volodi zu schützen.«