Groz stand auf und stapfte ohne ein weiteres Wort wieder den Hang hinab.
»Tja …« Che zog eine rote Wollmütze aus seiner Tasche und zog sie auf.
Galar betrachtete sie mit Abscheu. Rotmützen, so hatten die Zwerge von Ishaven die Schlimmsten unter den Koboldrebellen genannt. Es hieß, dass sie ihre Mützen im Blut ermordeter Zwerge gefärbt hatten.
»Wenn ich wiederkomme, darfst du mal meine neue Braut streicheln, Nyr.« Bei diesen Worten tätschelte Che über den Schaft seiner Armbrust. »Damit schießt du auf hundert Schritt einer Maus ein Auge weg.«
»Wenn man Kobold ist. Ich schätze, ich würde mit dem guten Stück auf hundert Schritt einer Fliege den Rüssel abschießen«, konterte Nyr.
Che lachte. »Eines Tages wetten wir darauf, Großmaul.« Er wandte sich an Galar. »Na, Flickenbart, froh, mich gleich von hinten zu sehen?«
»Verlass dich nicht darauf, dass ich gegenüber Zwergenmördern, die Witze über meinen Bart machen, die gleiche Langmut besitze wie gegenüber Trollen.«
Che umarmte ihn überraschend. »Ich mag dich auch, Flickenbart.«
Galar wollte ihm eine verpassen, aber der Kobold duckte sich unter dem Hieb weg und war mit zwei tänzelnden Schritten außer Reichweite. »Möge die Erinnerung an uns besser sein, als wir es sind, Zwerg.«
Bevor Galar etwas erwidern konnte, eilte Che bereits den Hang hinab.
»Ich hätte nicht gedacht, dass er so tiefsinnig ist«, sagte Nyr ergriffen.
Galar seufzte. Manchmal ging ihm sein Freund mit seiner Leichtgläubigkeit auf die Nerven. »Das hat der bestimmt irgendwo aufgeschnappt. Das ist nicht von ihm. Ganz sicher nicht.«
»Und wenn doch?«
»He, eher lernt mein Arsch Arien zu singen, als dass dieser kleine Mistkerl ein Dichter ist.«
»Wohin sie uns wohl schicken?«
Galar war froh, es noch nicht zu wissen. »Garantiert dahin, wo die Scheiße am höchsten über uns zusammenschlägt.«
Schädelspalter und Kalbsleberbällchen
Hornbori war nervös. Er war zu dem großen scharlachroten Zelt auf dem Hügel gerufen worden. Und es war wirklich groß! Mehr als achtzig Schritt lang und mit Hunderten von Tauen abgespannt, damit der Wind es nicht davontrug. Eine Himmelsschlange hätte sich vermutlich darin verstecken können, ohne dass auch nur die Schwanzspitze herausgelugt hätte. Nicht dass er je eine Himmelsschlange gesehen hätte. Oder vielleicht doch … Es hieß ja, sie konnten alle möglichen Gestalten annehmen.
Einige Elfen standen auf dem Hügel Wache. Ob es Drachenelfen waren? Er blickte verstohlen auf, in ihre Gesichter. Unnahbar wirkten sie. Ein eisiger Klumpen rollte in seinem Magen hin und her. Nicht jeder, der in dieses Zelt berufen worden war, war wieder zurückgekehrt. Und die, die es wieder verließen, redeten nicht darüber, was dort geschah.
»Du bist Hornbori?« Eine Elfenkriegerin war aus dem Zelt getreten und blickte auf ihn hinab, als wäre er nichts als ein interessanter Käfer.
»In der Tat, holde Maid, das bin ich, und es ist mir …«
»Ich bin weder hold noch eine Maid. Komm mit!«
Hornbori schluckte. Er fand, dass sie … er? … ziemlich weiblich aussah. Gut, die Brust war unter dem Kettenhemd verborgen, das ziemlich flach anlag … Verfluchte Elfen! Warum trugen sie auch keine Bärte wie vernünftige Männer!
Er trat durch die Zeltklappe und musste einen erstaunten Ausruf unterdrücken. Hier hätte ein Riese stehen können, ohne mit dem Kopf an die Zeltdecke zu stoßen. Der Zelthimmel war von dunklem Blau und mit Perlen und kleinen goldenen Sternen bestickt. Beklommen sah Hornbori sich um. Er fühlte sich klein und unbedeutend. Ein geflügelter Stier mit einem bärtigen Männerkopf starrte finster auf ihn herab, einige aufrecht gehende Echsen fixierten ihn mit geschlitzten Pupillen. Kobolde, die feierlich Räucherfässer schwangen, gingen zwischen den Wartenden hindurch. Hornbori sah eine Kreatur mit dem massigen Leib eines Trolls, doch auf dem Körper saß ein Stierkopf. Verwirrt sah er zurück zu dem geflügelten Stier mit dem Männerkopf. Die Alben hatten seltsame Dinge getan, dachte er mit mulmigem Gefühl.
»Hier entlang!«, befahl die Elfe mit langem Haar, die keine Maid war. Sie zog einen Seidenschleier zur Seite und winkte ihm, ihr tiefer in das riesige Zelt zu folgen.
In diesem Teil war es vollkommen leer bis auf eine andere Elfe. Diese saß auf einem grünen Teppich, spielte auf einem Zupfinstrument, das nur eine einzige Saite hatte, und entlockte ihm die schauerlichsten Töne. Neben ihr auf dem Teppich lag ein gezogenes Schwert.
Sein Führer legte warnend den Zeigefinger an die Lippen.
Überflüssig, dachte Hornbori. Er würde hier ganz gewiss niemanden ansprechen. Er hielt sogar den Atem an und war darauf bedacht, so lautlos wie möglich durch diesen Abschnitt zu huschen.
Ein weiteres Seidentuch wurde zur Seite gezogen, und helles Licht blendete Hornbori. In der neuen Zeltkammer war ein langer Tisch aufgestellt, der sich unter den köstlichsten Speisen bog. Ein einzelner Elf stand dort. Einer, wie ihn Hornbori noch nie gesehen hatte, mit schulterlangem, leicht gelocktem goldenen Haar. Er trug eine weiße Lederrüstung, auf deren Brustpanzer eine goldene Sonne geprägt war. Licht schien diesen Elf zu umspielen. Er nahm einen Apfel von der Festtafel und drehte ihn prüfend, als suchte er irgendeinen Makel.
»Du kannst gehen.« Der Elf entließ Hornboris Führer mit einer flüchtigen Geste.
»Ich habe einiges von dir gehört.« Sein Gegenüber biss in den Apfel und sah ihn durchdringend an. Der Elf hatte geschlitzte Pupillen!
Hornbori keuchte. Er wusste, was das bedeutete.
Sein Gegenüber grinste, und Saft troff ihm aus einem Mundwinkel. »Du hast mich also erkannt«, sagte er kauend. »Gut, das enthebt mich der Pflicht, mich vorzustellen. Ich finde es immer etwas peinlich, wenn ich das selbst tun muss. Was sollte ich sagen? Ich bin der Goldene, einer der Herren der Welt? Ich bin in der Stunde der Schöpfung geschlüpft. Die Alben selbst haben mich großgezogen.« Er lächelte schief. »Solches Geschwätz liegt mir nicht sonderlich.«
Er biss erneut in den Apfel und ließ sich Zeit, Hornbori eingehend zu betrachten. Der Zwerg fragte sich, ob der alte Drache wohl in seinen Gedanken las. Fand er dort die Wahrheit über die Schlacht im Eis? Besser nicht daran denken. Hornbori versuchte, sich einen köstlichen Braten vorzustellen. Er sah zu der Festtafel. Dort stand alles, was ein Zwergenherz begehren mochte.
»Du bist also unser Held aus dem ewigen Eis«, sagte der Goldene schließlich. »Ich hab von der Geschichte gehört, wie du todesmutig, mit der Standarte in der Hand, als letzter Überlebender den Menschenkindern entgegengestürmt bist. Die Geschichte macht im ganzen Heerlager die Runde. Du bist ein berühmter Krieger, Hornbori.«
Der Zwerg strich sich über seinen üppigen, leicht geölten schwarzen Bart und entschied, alles zu wagen. »Mut und der Wille zur Aufopferung sind die Voraussetzungen, den großen Krieg um Nangog für Albenmark zu entscheiden.«
Der Drache sah ihn durchdringend an. »Ganz genau so sehe ich das auch.«
Seine Stimme war Balsam in Hornboris Ohren. Das Lob des Goldenen gab ihm das Gefühl, vom hintersten Härchen in seinem Nacken bis zur Spitze des kleinen Zehs in Wohlgenuss zu baden. Es war besser als jedes andere Vergnügen, das er bislang genossen hatte. Ein leichter Seufzer entfuhr ihm. Und dann stieg ihm ein Duft in die Nase, den er seit Jahren nicht mehr gerochen hatte. »Liegen dort Kalbsleberbällchen auf der Festtafel?«
»Gleich neben den überbackenen Bananen. Bedien dich nur. Einem Helden, der sein Leben zum Wohle Albenmarks wagt, sollte nichts verwehrt bleiben.«
Hornbori hatte zwar keine Ahnung, was Bananen waren, war aber fest entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen. Er fand die Kalbsleberbällchen auch so. Sie schwammen in köstlicher Sauce. Ein Stück weiter lag frisches, helles Brot, das er in die Sauce tunkte. Für einen Moment vergaß er, wo er war, und schwelgte ganz in dem lang vermissten Genuss.