Выбрать главу

»Du hast ihn gefunden.«

Dieser Blick aus seinen dunklen Augen. Als wollte er ihr damit das Kleid vom Leib reißen.

»Suchst du nach einem Kranken? Ich werde dir gerne helfen.«

Er schaffte es, allein durch seinen Tonfall diesen harmlosen Worten etwas Schlüpfriges zu geben. Shaya zwang sich zur Ruhe. Er war der Gebieter über den Palast der Kranken. Sie durfte ihn nicht verärgern, wenn sie hierbleiben wollte.

»Ich bin eine Heilerin. Ich möchte dir gerne meine Dienste anbieten.«

Er lächelte breit. »Deine Dienste anbieten … Das höre ich gerne aus dem Mund einer so hübschen Frau.«

Shaya zwang sich, ruhig zu atmen. Hattu war höchstens zwei Fingerbreit größer als sie. Er war schlank, hatte etwa ihr Gewicht. Ihr fielen seine Hände auf. Die Finger ungewöhnlich zierlich und lang. Dunkle Haare wucherten darauf. Ebenso auf seinem Handrücken. Die Hände erinnerten sie an große Spinnen. Shaya war sich sicher, dass sie ihn mit einem einzigen Fausthieb niederstrecken könnte. Sie sollte so etwas nicht mehr denken. Das Leben der Kriegerin hatte sie hinter sich gelassen. Sie war hier, um ein neues, anderes Leben zu beginnen. Sie war jetzt eine Heilerin. Ganz gleich, was geschah, sie würde dieser lüsternen Kreatur mit den Spinnenhänden nichts antun!

»Eine Heilerin?«, fuhr Hattu fort, als sie beharrlich schwieg. »Das heißt, du kannst ihnen den Schweiß von der Stirn tupfen und ihnen die Scheiße abwischen, wenn sie sich nachts besudelt haben?«

»Ich meine, ich kann Kranke wieder gesund werden lassen.«

Er hob die Brauen. »So? Nun gut, ein Mann liegt vor dir. Er hat eine stark blutende Schnittwunde im Bauch. Was tust du?«

»Ich knie nieder und presse beide Hände auf die Wunde, um die Blutung zu stillen. Ich prüfe, wie tief die Wunde ist. Ich taste mit meinen Fingern. Ist die große Ader im Bauch verletzt, bete ich für ihn. Quillt mir der Inhalt seiner Därme entgegen, bete ich für ihn und werde ihm ein Rauschmittel geben. Wann er dann sterben wird, hängt davon ab, wie stark er um sein Leben kämpft. Aber er wird sterben. Ist es nur ein oberflächlicher Schnitt, werde ich die Wunde säubern, sie vernähen und Moos darauf legen, damit keine üblen Säfte im geschundenen Fleisch entstehen.«

Der Blick Hattus veränderte sich, während sie sprach. Er war nicht mehr abfällig. Jetzt lag etwas Kaltes, Lauerndes darin.

»Wer hat dich geschickt, Weib?«

»Ich komme, weil ich vom Palast der Kranken gehört habe. Wie ich sagte: Ich will dem Wohl der Kranken dienen.«

Er schüttelte den Kopf. »Frauen wissen so etwas nicht. Kein Heiler würde sie so sehr ins Vertrauen ziehen … und dann dieses Kleid …«

»Ich werde es nicht im Dienst tragen.«

»Frauen wissen, wie man Kräutersud kocht und zu welchen Göttern man beten muss. Sie können Sterbenden die Hand halten. Sie verbreiten Hoffnung. Sie sind wichtig! Aber sie haben keine Ahnung von Schnittwunden …«

»Beruhigt es dich, wenn ich dir aufzähle, welche Kräuter ich in welcher Menge für einen fiebersenkenden Sud verwenden würde, wann ich kalte Wickel benutzen würde und wann nicht?«

Er kniff die Lippen zusammen. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. »Wo hast du das gelernt, Weib?«, blaffte er sie plötzlich an.

»Bei den Heilern vom Seidenfluss.«

Hattu schüttelte entschieden den Kopf. »Nicht einmal diese giftmischenden Schlitzaugen führen Weiber in die höheren Weihen ein.«

Zwei weitere Männer kamen in den Saal. Einer war fast noch ein Knabe, der andere alt und gebeugt. Er stützte sich auf einen Stock. Von seinem Haar war nur noch ein schütterer weißer Kranz geblieben. Seine Glatze war mit Leberflecken gesprenkelt.

»Hier steht eine Hochstaplerin, Herr!«, rief Hattu.

»Verbreitest du diese Lügen über mich, weil du mich nicht in eine dunkle Ecke drängen und betatschen konntest?«

»Hüte deine Zunge, Weib!« Der Alte näherte sich und hob drohend seinen Stock. »Hattu ist ein Mann von makellosem Ruf. Dich kenne ich nicht. Und deshalb bist du ein Nichts für mich.«

»Wer bist du, dass du mich verurteilst, ohne mich zu kennen?«

»Ich bin der Schöpfer dieses Spitals. Ich bin das Geld, das euch nährt. Ich bin euer Segen und eure Verdammnis. Mein Name ist Elias. Ich habe diese Stadt erschaffen. Arcumenna mag hier herrschen, aber es geschieht hier nur wenig ohne meine Billigung. Und ich billige nicht, dass sich in meinem Spital hergelaufene Flittchen anbiedern!«

»Stell mir eine Frage und prüfe mein Wissen!«, forderte Shaya ihn heraus.

»Oh, sie weiß viel. Zu viel für ein Weib. Sie muss bei den Leichenschändern gelernt haben, oder sie ist eine Hexe! Wir werfen sie hinaus!«, warf Hattu ein.

»Nein!«, sagte der Alte scharf. »Wenn wir das tun, dann läuft sie zu Arcumenna. Und du weißt, wie er entscheiden wird, wenn ein hübsches Weib vor ihn tritt und sich darauf versteht, schön zu reden. Sie soll sich beweisen.« Der Alte sah sie mit harten, müden Augen an, die zu viel Leid gesehen hatten. Shaya kannte solche Augen. Die Älteren unter ihren Veteranen hatten genau solche Augen gehabt.

»Hattu hat sieben Jahre seines Lebens gegeben, um dieses Spital aufzubauen, Weib. Er hat sich hier aufgeopfert. Er hat Hunderte geheilt. Keine Stunde verstreicht in dieser Provinz, ohne dass ein Gebet für ihn gesprochen wird. Wir führen hier Buch über die, die kommen, und die, die wieder gehen. Neun von zehn Kranken verlassen dieses Haus lebend. Dieses Maß werden wir an dich anlegen, Weib. Bist du so gut? Wirst du bestehen? Wenn nicht, dann verlasse nun das Spital.«

»Ich bin ganz gewiss keine schlechtere Heilerin als ihr«, entgegnete Shaya stolz.

»Bedenke deine Wahl, Weib. Wenn du scheiterst, werde ich zu Arcumenna gehen und Klage gegen dich erheben. Ich werde dich eine Hochstaplerin nennen und vielleicht auch eine Mörderin. Bist du ersteres, wird man dich an einen Schandpfahl binden, dir deinen Kopf kahl rasieren und dir das Mal der Lügnerin auf deine Stirn brennen. Bist du aber eine Mörderin …« Er sah sie drohend an. »Mörderinnen haben einen schweren Tod.«

»Ich werde mich eurer Prüfung stellen.« Sie hatte keine Wahl. Sollte sie versuchen, auf eigene Faust als Heilerin durchzukommen, würden der Alte und Hattu gegen sie hetzen. Sie würde hier in Asugar keinen Fuß auf den Boden bekommen, wenn die Heiler des Spitals schlecht über sie sprachen. Sie wollte nicht als Bettlerin in der Gosse landen.

»Mutig bist du.« Elias bedachte sie mit einem kalten Lächeln.

Es schien, als wollte Hattu gegen die Entscheidung aufbegehren, doch der Alte brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.

»Enak?« Elias wandte sich an den Jüngling, der mit ihm gekommen war. »Bring unseren Gast in den Saal der Fremden. Sie sollen nun ihrer Obhut unterstehen. Eine Woche lang, dann werden wir die Lebenden und die Toten zählen.«

»Herr, das könnt Ihr nicht …«

Der Alte stieß hart mit seinem Krückstock auf den Mosaikboden. »Du hast hier nichts zu sagen, Kleiner. Und von dir, Weib, erwarte ich, dass du ein anderes Kleid anlegst, wenn wir dich in unserem Palast dulden. Das hier ist ein Spital und kein Hurenhaus!«

Shaya entging der triumphierende Blick Hattus nicht. Ebenso wenig wie die Sorge des jungen Heilers. Was hatte es mit dem Saal der Fremden auf sich?

»Bring sie zu ihren Kranken!«, befahl Hattu dem Jüngling.

Shaya überkam ein mulmiges Gefühl. Sie wusste, sie hatte einen Fehler gemacht. Wieder einmal. Sie hätte sich unterordnen und die dummen Sprüche Hattus ertragen sollen. Aber sie konnte einfach nicht zurückstecken, wenn ihr Unrecht widerfuhr.

Der Saal der Fremden

Enak führte sie über Treppen immer tiefer in den Palast hinein, bis er sie schließlich durch eine Tür in einen dunklen Raum brachte. Shayas erster Eindruck war der Gestank. Ganz anders als die hohen Säle, die sie durchquert hatten, lag dieser Raum im Zwielicht und wurde wohl kaum belüftet. Räucherwerk brannte in flachen Kupferschalen. Ein alter Mann begrüßte die Steppenreiterin freundlich.