»Wenn du mir Wind vor regenschwerem Horizont ausleihst, werde ich mich auf die Suche nach dem Vieh machen.«
»Du bist dich verrückt!« Volodi grinste. »Das warst du dich immer schon. War sich auch verrückt, du dich allein kämpfen mit Heer von Piraten, König Geisterschwert.«
»Es war das Risiko wert, Volodi, der über den Adlern schreitet. In jener Nacht habe ich einen guten Freund gewonnen.«
»Du meinst dich wohl dummen Freund, der sich jedes Mal, wenn du dich losläufst, um dich stürzen in Tod, kommt sich hinterher, um aus Scheiße holen dich.«
Artax schmunzelte. »Ich erinnere mich an jemanden, der nackt auf einem Opferstein lag, ein Messer über seinem Herzen.«
»Da wär ich mich schon wegkommen … Hättest du dich nix Aufstand …«
Artax glaubte das nicht, dennoch nickte er. »Du hast Talent darin, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.«
Volodi hob abwehrend die Hände. »Du kannst dich aufhören. Ich komme mich mit. Aber spüre ich mich, wir werden nicht nix zurückkehren. Nicht nix diesmal.«
»Das ist doch …«
Volodi hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen. »Nix sich schöne Worte. Ich dich bitten eins. Wenn ich mich sterbe, nimmst du dich Quetzalli und Wanya an Hof? Sie werden sich Schutz brauchen. Mögen meine Leute sie sich nicht sehr.«
»Dir wird nichts geschehen!«
Der Drusnier schüttelte den Kopf. »Ich hab mich etwas getan …« Seine Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Ich hab mich mein Glück wegmachen. Diesmal ich nix nicht komme zurück, wenn ich mir mich gehe in Schlacht mit dich.«
Artax wollte das nicht stehen lassen, doch plötzlich ging ihm eine Bauernweisheit durch den Kopf, die sein Vater gerne zitiert hatte: Trunkner Mund tut Wahrheit kund. Er sah seinen Freund an und musste an all die Tausende denken, die für seine Träume bereits gestorben waren.
Und genau um ihretwillen musste er gehen! Wenn er seinen Traum von einer besseren Welt jetzt aufgab, dann waren sie alle vergebens gestorben.
Ein ganz besonderes Mädchen
»Du solltest ihr nicht die Fesseln abnehmen. Sie ist gefährlich.«
»Keine Sorge, wir haben auch Gäste, die so etwas mögen.«
Bidayn war sich nicht sicher, ob sie noch träumte. Ihr war übel. Eiserne Fesseln schnitten in ihre Handgelenke. Sie war so hoch an eine feuchte Wand gekettet, dass sie gerade eben auf Zehenspitzen stehen konnte.
Das musste ein verdammter Albtraum sein!
Eine grobe Hand schloss sich um ihre linke Brust. »Fass doch mal an. Sie hat schöne, weiche Titten.«
Jetzt wusste sie, dass es kein Traum war. Ihr Kopf hing herab. Ihr Kinn ruhte auf ihrer Brust. Sie blinzelte, sah aus halb geschlossenen Lidern auf eine haarige Hand.
»Du musst sie nicht anpreisen wie einen alten Gaul auf einem Pferdemarkt. Ich sehe, was sie ist.«
»Nein, das siehst du nicht!«, zischte der andere, und seine Hand quetschte ihre Brust. »Sie hat zwei meiner Männer umgebracht. Du darfst ihr auf gar keinen Fall die Fesseln abnehmen!«
»Ich weiß vielleicht nicht, was sie jetzt ist, dafür weiß ich sehr genau, was sie in ein paar Monden sein wird. Wenn sie hier lange genug wie ein Schinken an einem Haken gehangen hat, dann wird sie alles dafür tun, ein vernünftiges Essen und ein richtiges Bett zu bekommen. Und nicht länger den Kerlen zu Willen sein zu müssen, die hier herunterkommen.«
»Die ist anders.«
»Du bist ein verdammt schlechter Geschäftsmann, Oleg. Du handelst mit deinem Gerede den Preis herunter, den ich dir für sie zahlen wollte.«
»Ich bin auch Teilhaber, du Idiot. Ich will nicht, dass es hier Ärger gibt. Halt sie weggeschlossen!«
Jemand strich ihr über das Haar. »Dabei sieht sie aus wie ein harmloses Blondchen.«
»Die hat einen meiner Männer an Schweine verfüttert. Jascha. Du kanntest ihn vielleicht.«
»Meinst du den glücklichen Jascha? Den, dem nie etwas passiert ist, egal, wie hart es zuging. Der beim Marschieren nicht einmal Blasen an den verdammten Füßen bekommen hat?«
»Als er sie getroffen hat, hat ihn sein Glück verlassen.«
Ihr Käufer pfiff leise. »Und die soll ihn umgebracht haben? Jascha ist doch zwei Köpfe größer als sie …«
»Er war zwei Köpfe größer. Sah nicht gut aus, was die Schweine von ihm übrig gelassen haben.«
Die beiden schwiegen jetzt. Bidayn rührte sich nicht. Es war besser, wenn sie nicht merkten, dass sie wieder bei Bewusstsein war. Oleg … Den Namen kannte sie. So hatte ein Hauptmann am Hof des Unsterblichen Volodi geheißen.
»Ich habe ein paar sehr eigenwillige Kunden«, sagte der Fremde schließlich. »Man kann sie nicht zu den normalen Mädchen lassen. Wie heißt sie denn, die kleine Hure?«
»Anisja.«
»Ich glaube, ich kenne jemanden, der zahlt mir doppelt so viel, wie ich dir jetzt geben werde, wenn er sich eine Nacht lang an ihr verausgaben kann.«
»Ich werde Jascha davon erzählen, wenn ich ihn im Geisterhain besuche«, sagte Oleg, und Bidayn konnte seiner Stimme anhören, dass er lächelte. »Ich bin sicher, er wird seine Freude daran haben.«
Die Elfe hörte ein Klopfen wie ein Knöchel, der auf Holz schlug. Das Geräusch eines Riegels, der zurückglitt, erklang. Eine Tür scharrte über steinernen Boden. Sie wurde wieder geschlossen. Jetzt erst wagte sie es, erneut zu blinzeln. Sie war allein in der Zelle. Ihr Gefängnis war nicht sonderlich groß. Vielleicht zwei mal drei Schritt. Durch ein Gitterfenster in der schweren Holztür fiel gelbes Licht herein. Direkt neben der Tür stand ein schmaler Tisch. Darunter ein Eimer, auf dem Gefangene wohl ihre Notdurft verrichten konnten, wenn sie nicht an die Wand gekettet waren.
Die Elfe versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Die Goldene Pforte. Sie hatte sie fast erreicht gehabt. Aber was hatte sie aufgehalten? Sie erinnerte sich nicht. Verzweifelt sah sie zu den engen Eisenringen hinauf. Sie versuchte, ihre Linke herauszuziehen, zerrte an der Fessel, bis Blut auf ihr Gesicht tropfte. Wütend schlug sie mit den Fäusten gegen die Wand. Sie würde hier nicht warten, bis dieser ganz besondere Kunde erschien. Eher würde sie sich ihren linken Daumen abbeißen, um die Hand aus der Fessel ziehen zu können.
Der Feldherr und die Kriegerin
Enak kam in den Saal der Fremden gelaufen, Panik lag in seinem Blick. »Er kommt, Herrin! Völlig unangemeldet. Und er ist auf dem Weg hierher! Er wollte von Hattu nichts hören. Er hat den Meister übergangen …«
Shaya erhob sich von dem Krankenlager, an dem sie kniete, und gab Saham ein Zeichen, den Verband zu erneuern, den sie entfernt hatte. Sie war überaus zufrieden mit den Amputationen, die sie durchgeführt hatte. Keiner der Kranken war verstorben, während sie Gliedmaßen abgetrennt hatte. Und keiner hatte danach Wundfieber bekommen. Sie erholten sich, aber sie war sich sehr wohl bewusst, dass Seelen langsamer heilten als Wunden. Einige hatten noch nicht verwunden, dass sie mit einem Arm oder einem Bein dafür hatten zahlen müssen, am Leben bleiben zu dürfen.
»Wer kommt denn so Bedeutendes, Enak?«
Der junge Heiler hob die Arme. »Bei den Göttern, habt Ihr es nicht verstanden, Herrin? Der Laris von Truria. Arcumenna, unser Fürst und Gebieter!«
Shaya wischte ihre Hände an der Schürze ab, die sie umgebunden hatte, um ihr Kleid zu schützen. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, den Palast der Kranken zu verlassen und sich ein neues Gewand zu kaufen. Immer noch trug sie das rote Kleid, in dem sie vor einer Woche angekommen war. Müde strich sie sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. Nun war es also so weit, es würde sich entscheiden, ob sie an diesem Ort bleiben durfte oder sich Hattus Wunsch erfüllen würde, sie öffentlich gedemütigt zu sehen.
Schritte hallten im angrenzenden Flur. Sie hörte die Stimme Hattus, der aufgeregt auf seinen Herrscher einredete. Shaya hatte von Arcumenna gehört. Er war der erfolgreichste Feldherr des Unsterblichen Ansur, und es war ihm gelungen, weite Teile von Drus zu erobern, bevor die beiden Reiche Frieden geschlossen hatten.