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Arcumenna tupfte mit einem Stück trockenem Weißbrot durch die Lachen aus Olivenöl in seiner Holzschale. Horatius hatte sein Essen kaum angerührt. Der Hauptmann hatte die Arme über der Brust verschränkt. Sein verbliebenes Auge musterte rastlos die anderen Gestalten, die sich in der Schenke ein billiges Mahl gönnten.

»Die einfachen Freuden sind das Salz des Lebens, Horatius.«

Ein zynisches Lächeln war die einzige Antwort, die er bekam. Horatius bemühte sich nie darum, ihm gefällig zu sein, gerade deshalb mochte er ihn. Und wenn es darauf ankam, war er ohne Wenn und Aber zuverlässig.

»Du solltest wirklich von den Oliven kosten.«

Der Hauptmann schüttelte den Kopf und sah zum Himmel hinauf. »Da war etwas.«

»Sag bloß, dass du dir Sorgen machst, dass uns Möwen ins Essen scheißen.«

»Keine Möwen.« Horatius stand auf. Er tastete nach dem langen Messer an seinem Gürtel. Er legte Wert darauf, wenn möglich als Erster zuzuschlagen. Dass er ein Auge verloren hatte, machte ihn verwundbar. Er konnte Abstände nicht mehr so gut einschätzen. Ein tödliches Manko, wenn er auf einen guten Kämpfer traf. Deshalb war er meist der Erste, der die Klinge zog. Und wie zum Ausgleich für das fehlende Auge hatte er sich einen untrüglichen Instinkt dafür zugelegt, wann etwas nicht stimmte. Er irrte sich nur sehr selten.

Auch Arcumenna tastete kurz nach seinem Dolch.

»Stimmt etwas mit dem Essen nicht?« Nethun hatte die plötzliche Anspannung seiner beiden Gäste bemerkt.

Arcumenna vermutete schon seit einer Weile, dass der Wirt trotz der Maskerade durchschaut hatte, wer da gelegentlich seine bescheidene Stube beehrte. Aber offenbar hatte er es nicht weitererzählt, denn außer ihm warf ihnen hier niemand verstohlene Blicke zu. Nethun hatte sich zwar einigen Speck angefressen, doch war er unübersehbar einmal ein athletischer Mann gewesen. Narben auf seinem rechten Arm ließen vermuten, dass er einmal Krieger gewesen war. Sie sahen nach Schnitten aus, wie man sie sich einfing, wenn der Schwertarm aus dem Schildwall vorschnellte, um einem Gegner den Bauch aufzuschlitzen. Auch hatte er einen Adler auf den rechten Unterarm tätowiert. Das war beliebt unter den Kriegern Valesias. Vielleicht hatte Nethun sogar einmal unter ihm gedient.

Arcumenna wandte sich ihm zu und hob beschwichtigend die Hände. »Alles gut.« Kaum waren die Worte über seine Lippen, zerteilte ein gleißender Flammenstrahl den Himmel.

Für einige Herzschläge war Arcumenna sprachlos. Jetzt hatte der Himmel wieder die fahlblaue Farbe wie stets in den letzten Augenblicken, bevor die Nacht die Dämmerung besiegte. Für einen Moment war es, als wäre gar nichts geschehen. Vielleicht hatte er sich die Flammen nur eingebildet. Dann hörte er die Schreie, und weitere Flammenstrahlen zerteilten das Zwielicht.

Im nächsten Moment war Horatius an seiner Seite. »Was ist das?«

Arcumenna musste an den Angriff auf Selinunt denken. Hatte es so ausgesehen, als die großen Drachen gekommen waren? Es gab keine Überlebenden, die davon hätten berichten können, wie die Weiße Stadt binnen weniger Augenblicke zu einem Ruinenfeld geworden war.

Er wandte sich erneut an den Wirt. »Du nimmst all deine Gäste, sofort! Ihr sucht den nächsten Abstieg zu den Zisternen und versteckt euch dort. Nehmt jeden mit, den ihr unterwegs trefft. Wer hier oben in der Stadt bleibt, wird sterben.«

Nethun sah ihn völlig verdattert an. »Aber ich kann doch nicht …«

»Du weißt, wer ich bin!«, fuhr Arcumenna ihn an. »Folge meinen Befehlen, Krieger. Sofort! Dies hier ist eine Schlacht, und wir sind überrumpelt worden.« Der Fürst wandte sich an Horatius.

»Komm mit. Wir retten, was noch zu retten ist.« Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte er die Treppe hinauf, die aus der Felsspalte in die Oberstadt führte.

Arcumenna war dankbar dafür, dass Horatius nicht vorschlug, ebenfalls in die Zisternen zu fliehen. Als Fürst der Stadt musste er wissen, was vor sich ging. Wer griff an? Und wo?

Es war nicht wie in Selinunt, wo ein einziger mächtiger Flammenstrahl vom Himmel gefahren war und jeden hatte erblinden lassen, der ihn aus weniger als zwei Meilen Abstand gesehen hatte. Wäre dies hier wie der Angriff auf die Weiße Stadt, dann wären sie schon alle tot. Da es also anders war, konnte man auch dagegen ankämpfen.

Sie erreichten das Ende der Treppe. Arcumenna folgte der Straße der Safranhändler, an deren Ende sich die nächstgelegenen Ankertürme befanden. Nur wenige Passanten waren auf der Straße. Sie reckten die Köpfe, tuschelten, fühlten sich aber nicht bedroht, wie es schien. Sie hatten nicht begriffen, was sie sahen. Wie auch! Keiner von ihnen hatte, wie er aus der Ferne, den Untergang von Selinunt gesehen.

Die drei Wolkenschiffe, die über der Stadt vor Anker lagen, hatten bereits die Taue gekappt und ihre Tentakel von den dicken Eichenbalken gelöst. Eines stand in Flammen. Arcumenna sah, wie die Tentakel durch die Luft peitschten, um sich gegen die Angreifer zu wehren. Mehr als zwei Dutzend Drachen kreisten über der Stadt. Doch was geschah in der Stadt selbst? Die Häuser auf beiden Seiten versperrten ihm die Sicht. Er musste höher hinauf. Auf einen der Ankertürme, auch wenn das hieß, den Drachen entgegenzulaufen.

Rechts von ihnen glühte der Himmel in hellem Flammenschein.

»Der Palast«, sprach Horatius das Offensichtliche aus.

Natürlich war der Palast eines der ersten Angriffsziele. Sie wollten ihn, den Feldherrn und Provinzfürsten. Wäre er tot, würde es weniger Widerstand geben. Aber er würde diesen verfluchten Daimonenechsen in die Suppe spucken!

Jetzt strömten überall Menschen aus den Häusern. »Lauft zu den Zisternen!«, rief Arcumenna. »Ein großes Feuer ist ausgebrochen. Wir können es nicht löschen. Lauft! Rettet euer Leben.«

Sie sahen ihn an, als wäre er irre. Für sie war er irgendein Kerl in einem abgetragenen Chiton. Stünde er mit Prunkharnisch und einem Umhang aus Löwenfell hier, dann würden sie laufen. Nun, er hatte ihnen die Gelegenheit gegeben, ihr Leben zu retten. Zum ersten Mal war Arcumenna froh, dass es keine Kinder in der Stadt gab.

»Los, wir müssen zum nächstgelegenen Ankerturm«, rief er Horatius zu.

»Werden sie dort nicht zuerst angreifen?«

»Ich brauche einen Überblick, was geschieht.«

Sein Hauptmann schnitt eine Grimasse, sagte aber nichts mehr, sondern half ihm voranzukommen. Immer mehr Menschen strömten jetzt aus den Häusern, und plötzlich waren auch Schreie zu hören.

Von einem Augenblick zum anderen änderte sich alles. Sie hatten begriffen, dass dies kein Spektakel war, das man einfach angaffen konnte. Es betraf jeden. Jeder konnte in dieser Nacht sterben.

»Zu den Zisternen!«, rief Arcumenna noch einmal. »Zu den Zisternen! Dort seid ihr sicher vor den Flammen.«

Endlich erreichte der Feldherr den Fuß des Ankerturms. Weit und breit war keine Wache mehr zu sehen. Die hatten wohl früher begriffen, was hier geschah. Er sah nach oben, die gewundene Treppe an der Außenmauer des Turms hinauf.

Zwei Schritt entfernt klatschte etwas auf ein flaches Hausdach. Ein abgetrennter Tentakel. Er zuckte noch. Der brennende Wolkensammler über ihm stieß seltsam zischende Laute aus. Oder war es das Geräusch von heißem Fett, das die Haut aufplatzen ließ?

Die beiden anderen Himmelsschiffe standen noch nicht in Flammen, ihre Besatzungen versuchten, mit den Wolkensammlern zu entkommen. Aber wie sollte das gelingen? Es wehte nur eine sanfte Brise. Sie trieben mit dem Wind, konnten keine Ausweichmanöver fliegen, wie die Daimonenechsen. Arcumenna sah, wie sich die meisten Drachen nun oberhalb des aufgedunsenen Leibs der Wolkensammler hielten. Dort, wo die friedlichen Himmelswanderer keine Augen hatten. Voller Furcht schlugen sie mit ihren Tentakeln blind um sich, doch die Fangarme peitschten ins Leere. Die Flammenstrahlen der Drachen schnitten wie brennende Schwerter in das Fleisch der Wolkensammler.