Eine Flammensäule schoss etwa hundert Schritt links von ihnen vom Himmel. Ein breiter, blendender Feuerstrom. Deutlich sah Arcumenna den Drachen, der dort angriff. Es war ein großer roter.
Etwas westlich griffen weitere Drachen die Felsenstadt an.
»Die Bibliothek und das Spital«, sagte Horatius mit belegter Stimme.
Sie zerstören zuerst die Prachtbauten, dachte Arcumenna, und im selben Augenblick wurde ihm endgültig klar, warum die Drachen gekommen waren: Es ging nicht um die Stadt. Es ging um die Kriegsflotte, die unten im Grottenhafen vor Anker lag. Es war die mit Abstand größte Flotte auf dem Purpurnen Meer. Wer sie kontrollierte, der beherrschte die See.
Wie ein Schwarm Haie
Hornbori hielt sich am Kupferbogen fest, der auf den Rumpf der Wilden Sau genietet worden war, damit die Drachen den großen Aal tragen konnten. Sie liefen mit voller Geschwindigkeit in den Grottenhafen ein. Er staunte über die gewaltigen Ausmaße der natürlichen Höhle. Sie übertraf jeden Hafen, den er bislang in den Zwergenstädten gesehen hatte, bei Weitem. Die Einfahrt zur Höhle mochte an die dreißig Schritt hoch sein und fast hundert Schritt weit. Sie hatte etwas von einem gewaltigen Maul, in das sie sich nun freiwillig warfen.
Hornbori überlief ein Schauder. Es ist nur eine Höhle!
Ein seltsames blaues Zwielicht herrschte hier, obwohl draußen inzwischen die Nacht hereingebrochen war. Es ging von den Wänden und der Decke aus, schillerte an den Kais und einigen der Schiffsrümpfe. Als sie weiter in die Hafenhöhle fuhren, erhob sich ein wahrer Wald von Masten vor ihnen. Dickbauchige Lastschiffe lagen neben schlanken Fischerbooten. Hornbori war überrascht, wie variantenreich die Schiffe der Menschenkinder waren. Es gab doppelrümpfige Boote mit einem einzelnen Mast auf der Brücke, die die beiden Schiffskörper verband, schnittige Galeeren, deren bronzebeschlagene Rammsporne halb unter der Wasseroberfläche verborgen lagen, Segler, die so plump und unförmig aussahen wie ein durchgeschnittenes Fass oder kleine Boote, deren Rumpf aus Leder gefertigt war.
Und es waren überraschend wenig Menschen auf den Kais. Noch hatte niemand die seltsamen, nur knapp aus dem Wasser ragenden Gefährte bemerkt, die wie ein Schwarm Haie in den Hafen glitten.
Sein Plan ging auf, dachte Hornbori erleichtert und rief leise eine erste Kurskorrektur durch das Luk. Der Angriff der Drachen hatte die Menschenkinder abgelenkt. Sicherlich verbreitete sich die Nachricht darüber, dass sich die Stadt auf den Klippen in ein flammendes Inferno verwandelt hatte, bereits überall im Hafen.
Tatsächlich sah er etwas entfernt eine kleine Gruppe Menschenkinder bei einem Lastkran stehen und heftig diskutieren. Er hatte den Himmel in Flammen setzen müssen, um hier, tief unter der Klippe, seinen Angriff führen zu können.
Sie waren schon knapp eine Viertelmeile weit in den Hafen eingelaufen. Wieder rief er eine Kurskorrektur hinab, damit sie eine der großen, steinernen Säulen umrundeten, die aus dem Hafenbecken ragten. Es waren Bastionen aus gewachsenem Fels, die die Höhlendecke weit über ihnen trugen. Wieder wunderte sich der Heermeister über das seltsame Licht, das aus den Wänden sickerte. Glamir, der einbeinige Schmied, hatte ihm einmal erzählt, dass es Höhlen gab, die ganz und gar von Algen überwuchert waren, die ein seltsam diffuses Licht abgaben. Vielleicht war es hier ja genauso? Die Menschen hatten Glück, hier ohne Fackeln und Öllampen auszukommen.
Es gab noch etwas, worin sich dieser Hafen bereits auf den ersten Blick von jedem Zwergenhafen unterschied: Die Menschenkinder bauten gerne mit Holz. Die meisten der Kais waren einfache Holzstege, die von mit faulenden Algen überwucherten Pfählen getragen wurden. Die Plattformen, die an den Felssäulen klebten und wohl als Aussichtspunkte dienten, waren aus Holz. Die wenigen Wachtürme ebenso. Weiter hinten in der Höhle erkannte Hornbori Lagerhäuser und Quartiere für Schiffer. Alles war aus Holz gefertigt. Nicht für die Ewigkeit gebaut, wie Zwerge es taten.
Irgendwo weit hinten in der Grotte erklang ein Horn. Hornbori zuckte zusammen. Hatte man sie entdeckt? Ein weiteres Horn ertönte. Sein klagender Ruf wurde durch die Felswände gebrochen. Unmöglich zu sagen, wo der Hornbläser stand.
Als Menschen von den Schiffen liefen, die Kais entlangrannten und dort Trauben bildeten, ahnte Hornbori, dass der Alarm wegen des Drachenangriffs gegeben worden war. Dennoch schlug sein Herz immer noch wie eine Trommel in seiner Brust. Es konnte, es durfte nicht anders sein! Bestimmt wurden die Wachen vom Hafen abgezogen, um gegen die Drachen zu kämpfen.
Sollten sie nur gehen, diese verdammten Narren! Gegen Drachen kämpfte man nicht. Zumindest nicht mit Speeren und Schwertern. Wer das versuchte, wurde zu Asche. Er musste an die Kämpfe in der Tiefen Stadt zurückdenken, und ihm zog sich der Magen zusammen. Niemals hätte er sich träumen lassen, dass er eines Tages einen Drachenangriff auf eine Stadt befehligen würde. Ausgerechnet er, der das Grauen und das Leid so gut kannte.
Es waren nur Menschenkinder, ermahnte er sich in Gedanken. Und sie hatten den verdammten Krieg angefangen! Kurz fragte er sich, ob die Drachenelfen, die damals den Angriff auf die Tiefe Stadt unterstützt hatten, genauso gedacht hatten? Es sind nur Zwerge. Und sie haben den Krieg angefangen. Warum waren sie auch so dumm, Drachen zu ermorden?
»Was ist das für ein Lärm?«
Hornbori war dankbar, von Ulurs Stimme aus seinen Gedanken aufgeschreckt zu werden. »Die Drachen … sie tun ihr Werk und verbreiten Schrecken.«
Von unten kam ein undeutliches Gebrummel. Wahrscheinlich Ulurs Kommentar, was er davon hielt, mit Drachen zusammen zu kämpfen.
Ihr Boot steuerte eine breite Felssäule an, bei der es zu beiden Seiten eine lange Kaimauer gab, an der nur wenige Schiffe vertäut lagen. Ein guter Platz, um anzulegen. In regelmäßigen Abständen führten dort Steintreppen bis zur Wasserlinie hinab. Hornbori winkte den anderen Zwergen zu, die als Ausguck auf den Aalen standen, und deutete zu dem Kai.
Ihre Flotte teilte sich und umrundete rechts und links die fast dreißig Schritt breite Felssäule. Hornbori mochte diese riesige Grotte. Er stellte sich vor, was er ändern würde, wenn er der Fürst von Asugar wäre. Dieser Ort hier war wie geschaffen für eine Zwergenstadt. Ob die Himmelsschlangen ihm die Stadt überlassen würden? Der Goldene hatte mit keinem Wort erwähnt, was zu tun war, wenn sie Asugar erobert hatten. Sollten sie bleiben oder wieder abziehen?
Plötzlich ertönte fast direkt über ihnen ein Horn. Es klang anders als die übrigen. Der Wächter blies drei kurze Stöße. Hornbori fuhr herum. Keine fünf Schritt über ihnen standen zwei Männer auf einem Felssims. Der Linke, eine korpulente, pausbackige Gestalt, griff nach einem Bogen, zog einen Pfeil auf die Sehne und schoss. Er verfehlte Hornbori um mehrere Schritt. Der Zwerg sah, wie dem Menschensohn vor Aufregung die Hände zitterten, als er in seinen Köcher griff und einen weiteren Pfeil hervorzog.
Noch nahm kein weiterer Hornbläser das Signal auf. Der Alarm schien im Lärm, den die übrigen Signalbläser machten, untergegangen zu sein. Sie mussten jetzt schnell sein, dachte Hornbori, ohne die beiden auf dem Sims aus den Augen zu lassen. Sein ganzer Plan beruhte darauf, dass sie die Menschenkinder überraschten und zumindest den unterirdischen Teil der Stadt im Sturm eroberten.