Galar ließ sich fallen. Ihm war bewusst, dass es hier draußen auf dem Sims, ganz ohne Deckung gegen das Feuer, kaum helfen würde.
Ein zweiter Schrei erklang. Dunkler, kehliger. Der Bullenwürger drehte ab. Über dem Sims ruderte ein roter Sonnendrache mit ausgebreiteten Schwingen. Sein Schweif peitschte unruhig. Hatte er den Bullenwürger zurückgerufen?
»Ich schulde dir gar nichts«, murmelte Galar. »Gar nichts.« Er stemmte sich auf alle viere hoch. Links von ihm war eine steil abfallende Rampe in das Sims geschlagen. Wahrscheinlich wurde hier der Bruchstein aus der Werkstatt hinabgefegt.
»Huldigst du den Drachen, oder hat dich ihr Anblick einfach nur umgehauen, Schisser?«
Neben Galar erschien ein Paar stämmiger Beine in Wickelgamaschen. Der Schmied drehte sich zur Seite und sah zu Ginnar auf. Der vernarbte Zwerg streckte ihm eine Hand entgegen. »Dafür, dass du die Treppe gestürmt hast, spendier ich dir irgendwann einmal ein Fass Pilz. Aber nur, wenn du mir erzählst, wie du die Begegnung mit der Säulentrommel überlebt hast.«
Galar stand nicht der Sinn nach Verbrüderung. »Harter Schädel, das ist das ganze Geheimnis.«
Ginnars gehäutetes Gesicht verzog sich zu einem abstoßenden Grinsen. »Siehst wirklich so aus, als hättest du versucht, den Stein mit deiner Fresse aufzuhalten.« Er machte eine Geste zum Höhlengewölbe. »Wo sind die Toten?«
»Die hatten längere Beine als ich. Als sie gesehen haben, dass sie mich nicht umbringen konnten und ich stinksauer die Treppe hinaufkam, haben sie lieber das Weite gesucht.«
Ginnar strich sich nachdenklich über das rote Kinn. »Nicht dumm, die Menschenkinder. Nicht dumm.«
Galar erhob sich. Verscheißerte ihn Ginnar? Er konnte diesen Zwerg aus Ishaven überhaupt nicht einschätzen.
Als der Schmied vom Sims zurück in die Werkstatt humpelte, war auch Nyr dort. Sein Freund wirkte verlegen und wich seinem Blick aus. Sollte er sich ruhig noch etwas schämen.
»Wir ziehen uns zurück, Jungs.« Ginnar trat an den Durchgang zur Treppe nach unten.
»Was?« Galar traute seinen Ohren nicht. »Fünf deiner Männer sind tot … gestorben für diese Höhle.«
Ginnar zuckte mit den Schultern. »So ist das im Krieg. Als du hier heraufgelaufen bist, hat uns ein Bote des Heermeisters erreicht. Wir sollen uns sammeln, um mit geballter Kraft einen Durchbruch zu versuchen, statt uns im Labyrinth zu verzetteln.«
»Schön, dass du mir nichts zu befehlen hast, Ginnar.«
Der Bartlose sah zu dem Aufstieg, durch den die Menschen geflohen waren. »Zwei Mann sollten ausreichen, diesen Durchgang zu verteidigen. Irgendwelche Freiwilligen außer diesem Verrückten hier?«
Nyr trat vor. »Ich bleibe bei ihm.«
Galar war überrascht von dieser Wendung, blieb aber misstrauisch. »Brauchst du meinen Namen, um mich beim Heermeister zu melden?«
»Galar der Schmied hat einen gewissen Ruf, du brauchst dich nicht vorzustellen.« Er nickte Nyr zu. »Dann wäre also klar, wer die Freiwilligen sind.« Ginnar winkte seinen Männern. »Gehen wir, die Zeit drängt. Es ist heller Tag, und wir haben diese verfluchte Klippe noch immer nicht erobert. Wir, die Tunnelkämpfer, stecken in diesem verfluchten Labyrinth fest.«
Seine Krieger folgten dem Bartlosen ohne Widerworte, doch Galar konnte in ihren Augen den Zorn sehen. Fünf ihrer Kameraden waren gestorben. Zerquetscht! Wofür?
Ginnars schwere Schritte verhallten auf der Treppe nach unten.
»Wirst du aus ihm schlau?« Nyr lehnte seine Armbrust an die Wand und öffnete den Beutel mit den Bolzen.
»Muss ich das?«
Sein Freund sah ihn nachdenklich an. »Aus dir werde ich auch nicht mehr schlau. Du hast sie laufen lassen, die Mörder unserer Kameraden, nicht wahr?«
»Sie hatten längere Beine als ich. Und hinken taten sie auch nicht.« Er sah Nyr an, dass er ihm das nicht abnahm. »Also gut … Sie hatten es nicht drauf. Ein Trupp Steinmetze. Handwerker, keine Krieger. Ich hätte sie alle niedermachen können, aber … Ich konnte es nicht. Sie verteidigen doch nur ihre Stadt. So wie wir damals.« Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern gewesen. Er fühlte sich, als hätte er einen kopfgroßen Granitblock im Magen.
»Du hast also doch so etwas wie ein Gewissen.«
Galar schwieg. Was sollte er dazu sagen? Er hatte getan, was getan werden musste.
Angepisst
Nyr fand in einer Ecke eine zerfetzte Decke. Nur ein Lumpen, voller Dreck und Steinstaub, der ursprünglich einmal grau gewesen war. Genau so etwas brauchte er jetzt.
Er sah kurz zu Galar, der trotz seines lädierten Beins nervös auf und ab ging. Nyr hatte seinen Freund selten in so aufgekratzter Stimmung erlebt. Er war ein Veteran, sie hatten in zahllosen Kämpfen Seite an Seite gefochten. In einer Schlacht zu stehen sollte ihn also nicht so nervös machen. War es die Erinnerung an die Tiefe Stadt, die Galar den Frieden nahm?
Nyr hob die Decke auf, darauf bedacht, dass möglichst kein Schmutz abfiel.
»Was wird das?« Galar wirkte sichtlich irritiert und hielt in seinem endlosen Marsch inne.
»Deckung.«
»Versteh ich nicht.«
Nyr deutete auf den Durchgang. »Ich muss hinaus auf diese Rampe. Das ist ein idealer Ort, um auf einen Drachen zu warten, der unter mir vorbeifliegt.«
Galar runzelte die Stirn. »Ein beschissener Ort ist das. Du wirst da hinabrutschen, du hirnloser …«
»Ich seile mich an«, entgegnete Nyr ruhig. »Genau so, wie ich es mache, wenn ich in einem Baum auf der Lauer liege. Du wirst die Decke über mich breiten und Steinsplitter darauf streuen. Und dann wirst du dich unsichtbar machen. Hier drinnen muss alles ruhig und verlassen wirken. Denn wenn wir den ersten Drachen gemeuchelt haben, werden sie misstrauisch werden und alles noch genauer absuchen. Am besten gehst du ein Stück die Treppe hinab.«
Galar schnitt eine Grimasse. »Das ist nicht meine erste Drachenjagd. Ich …«
»Du führst dich aber so auf. Ich möchte hier lebend herauskommen, verstehst du?«
Der Schmied grummelte etwas vor sich hin.
Nyr entschied sich, ihn zu ignorieren. Galar konnte einem gelegentlich den letzten Nerv rauben, aber er war kein Idiot. Er würde es nicht vermasseln. Der Schütze löste das dünne Seil von seinem Gürtel, das er fast jedes Mal mit in die Schlacht nahm. Ein Ende schlang er um seinen rechten Knöchel, dann prüfte er die Schlinge und reichte Galar zufrieden das andere Ende des Seils. »Dort hinten ist eine Eisenstange in den Boden gerammt. Mach das Seil daran fest. Und tarne es mit Schutt und Dreck, sodass es unsichtbar wird.«
Galar drehte das Seilende unschlüssig in der Hand. »Bist du sicher, die Bolzen werden ausreichen, sie zu töten?«
»Bei den Alben! Natürlich sind die Bolzen tödlich! Hast du vergessen, was Glamir getan hat? Der Drache auf dem Marktplatz von Wanu? Was wäre ein besserer Beweis?«
»Er konnte ihn nicht verfehlen«, sagte Galar mit trübseliger Stimme. »Der Drache hat sich unmittelbar vor ihm aufgerichtet. Aber ein fliegender Drache … Und sie werden ein ganzes Stück entfernt sein.«
»Aus diesem Grund schieße ich und nicht du.« Nyr lächelte. »Du bist der Schmied, ich der Schütze. Wie kannst du den Bolzen misstrauen, die du selbst erschaffen hast?« Er zog eines der Geschosse aus dem ledernen Beutel an seinem Gürtel. »Wenn es dich beruhigt, werde ich keinen Bolzen mit einer Vierkantspitze nehmen, sondern einen von diesen hier.«
Ehrfürchtig betrachtete Nyr das kleine Geschoss. Wie Glamir und Galar das schier unzerstörbare Metall aus der geheimnisvollen Wand, tief unter Glamirs Turm, in diese Form gezwungen hatten, war ihm ein Rätsel. Die beiden hatten nie darüber reden wollen. Die Spitze des Bolzens war so beschaffen, dass, sobald sie aufschlug, seitlich Klingen ausklappten, die ein wenig länger als ein Fingernagel waren. Nichts hielt diese Geschosse auf. Sie durchschlugen sogar etliche Schritt dicke Felswände. »Weißt du, was das hier anrichten wird?«