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Der Fels war unangenehm warm unter seinen Handflächen. Der Feldherr richtete sich auf. Ihm war wohl bewusst, dass der Sieg noch in weiter Ferne war. Alles, was sie sich erkämpft hatten, war eine Atempause. Er ignorierte die Schwäche und ging mit weit ausgreifenden Schritten bis zu der Stelle, an der sich der Tunnel in drei Gänge aufteilte. Er nahm den linken, stieg über einen toten Krieger hinweg und erreichte nach zwanzig Schritt eine Lagerhöhle, in der sich Hunderte von Amphoren mit erlesenen Weinen stapelten. Flüchtig dachte er daran, was die Hitze den edlen Tropfen wohl angetan haben mochte.

»Feldherr!« Ein junger Hauptmann mit dürren Beinchen und schmalem Gesicht eilte ihm entgegen. Trotz seiner Jugend begann sein schwarzes Haar bereits aus der Stirn zu weichen.

»Gaius?«

Der Hauptmann verneigte sich. »Herr, die Drachen sind nicht wiedergekehrt.«

Arcumenna war nicht gewillt, das als eine gute Nachricht aufzufassen. Er verstand nicht, warum die Bestien sich zurückgezogen hatten – und allem, was er nicht begreifen konnte, misstraute er. »Irgendeine Ahnung, warum?«

»Unsere Späher berichten von drei toten Drachen, die nahe der Hafeneinfahrt im Meer treiben.«

»Drei sind tot?« Das war zu schön, um wahr zu sein! »Und haben sich die Drachentöter gemeldet?«

Gaius schüttelte den Kopf. »Vielleicht sind sie bei ihrer Heldentat umgekommen.«

Arcumenna schnaubte gereizt. Tote Helden hatten sie schon genug. Sie brauchten lebende Heroen, die den erschöpften Männern als leuchtendes Beispiel dienten. Sein Blick wanderte zu einem niedrigen Amphorenstapel, über den mehrere Decken ausgebreitet waren. Er nahm darauf Platz. Es tat gut, nicht mehr auf den Beinen zu stehen. Einen Herzschlag lang rang er mit der Versuchung, sich lang hinzustrecken. Er wusste, er würde augenblicklich einschlafen.

»… ist es mir gelungen, die Überlebenden zu organisieren.«

Arcumenna stutzte. War er im Sitzen kurz eingenickt? Er hatte nicht mitbekommen, was Gaius zuvor gesagt hatte. »Wie, zu organisieren?« Er klang genauso müde, wie er sich fühlte.

»In Männer, die kämpfen können, und Männer, die andere Aufgaben wahrnehmen sollten. Lastenträger, Späher …«

»Wie steht es um unsere Vorräte?«, unterbrach Arcumenna ihn und blickte wieder auf das verlockende Deckenlager.

»Nicht so gut«, gestand der Hauptmann. »In diesem Teil der Tunnel und Höhlen gibt es zwar ausreichend Zisternen und auch jede Menge Olivenöl und Wein …«, er machte eine resignierende Geste in Richtung der Amphorenstapel, »aber kaum Mehl, Hirse, Oliven, Trockenfleisch … Wir werden gewiss nicht verdursten, aber wir werden das Essen rationieren müssen. Wie sich herausstellte …« Er hüstelte verlegen und fuhr dann fort: »… gibt es auch ein erstaunlich großes Lager an Schlafmohn. Wir haben es vor zwei Stunden entdeckt. Auf den Tontafeln des Lagermeisters waren lediglich Heilkräuter verzeichnet. Ich glaube, wir haben einen Schmuggel von erstaunlichem Ausmaß aufgedeckt.«

Arcumenna kämpfte gegen ein Gähnen an. Schmuggelware war das Letzte, was ihn jetzt interessierte. Hatten sich die verfluchten Daimonen vielleicht zurückgezogen, weil sie wussten, dass es in diesem Teil der Höhlen keine Lebensmittel gab? Hatte ihre verfluchte Magie ihnen das verraten? Oder das Warenverzeichnis unten in den Hallen des Hafenmeisters? Wusste diese verfluchte Brut, dass sie ihren Widerstand nicht mehr lange zu fürchten hatten?

»Die Heilerin Shaya hat anfragen lassen, ob Ihr ihr Zugriff auf den Mohn gewährt. Sie benötigt ihn für die Verletzten.«

»Shaya?« Er traute seinen Ohren nicht. Er hatte sie gesehen. Sie lag schwer verletzt in den Kavernen, tief im Fels. War es gestern gewesen, dass er an ihrem Lager gekniet hatte? Oder war es länger her? Er hatte in der Dunkelheit der Tunnel und im Lauf der verzweifelten Abwehrschlachten jegliches Zeitgefühl verloren. »Sie ist wieder auf den Beinen?«

Gaius lächelte gequält. »Nicht nur das. Sie hat mehr Arme als ein Oktopus. In den unteren Ebenen geschieht nichts ohne ihren Willen. Sie hat den Befehl über alles und jeden übernommen. Krieger wie Lastenträger. Alle gehorchen ihr. Ja, sie vergöttern sie. Mir ist absolut unbegreiflich, wie sie das in so kurzer Zeit geschafft hat. Einen beträchtlichen Teil der Ordnung hier unter unserer zerschlagenen kleinen Schar hat sie wiederhergestellt«, gestand der Hauptmann.

Arcumenna musste lächeln. Er dachte an seine erste Begegnung mit der Heilerin. An ihren Mut und ihre Dickköpfigkeit. Es war ein Wunder, dass sie wieder auf den Beinen war. Aber Wunder geschahen dieser Tage. Schließlich hatte irgendjemand drei Drachen getötet und damit die restliche Brut vertrieben. Jetzt blieb nur noch, diese kurzbeinige Daimonenbrut zu vertreiben. Das würde sein Wunder werden.

Er streckte sich lang auf den Amphoren aus. Er wusste, wie sie dieses Wunder wirken konnten. Die Pedanterie dieses Hauptmanns hatte ihn darauf gebracht. Sie hatten nichts zu beißen, aber alles, was sie für ein drittes Wunder brauchten.

»Richte Shaya aus, ich tausche den Schlafmohn gegen all ihre Lastenträger. Sie sollen sich in einer Stunde hier einfinden.« Er gähnte. »In einer Stunde weckst du mich, Gaius. Ich brauche ein wenig Schlaf, und dann werden wir der Daimonenbrut heimzahlen, was sie uns angetan haben. Sorge dafür, dass Shaya das Verwundetenlager räumt. Wir brauchen diese Höhle. Und stelle fest, wo die nächste Zisterne zu dieser Höhle liegt. Besorg mir ein paar Steinmetze. Steinmetze sind besonders wichtig …« Er streckte die Glieder. Es tat so gut zu liegen!

»Steinmetze und Lastenträger. Sie werden die Daimonen besiegen.«

Fleischfresser

Bidayn duckte sich im Sattel, obwohl der Torbogen zum vorderen Hof des Kaufmannshauses so hoch war, dass es nicht notwendig gewesen wäre. Ein dienstbeflissener Silen kam von den Stallungen auf sie zugelaufen. »Es ist schön, dass Ihr wieder hier seid, Herrin!«

Sie ignorierte ihn. Müde schwang sie sich aus dem Sattel und überließ dem bockbeinigen Diener die Zügel. Schön, hier zu sein … Ganz und gar nicht! Es war der letzte Ort in Albenmark, an dem sie sein wollte.

Der Stadtpalast des Kaufherrn Shanadeen, ihres Ehemanns! Hier zu sein bedeutete, gescheitert zu sein. Sie konnte nicht verstehen, warum der Goldene sie zurückgeschickt hatte. Warum hatte er keine neuen Aufgaben für sie? Hatte sie sich denn nicht bewährt? Hatte sie das verschollene Traumeis nicht aufgespürt? Wen würde er schicken, um es zu holen?

Sie ballte wütend die Fäuste. Sie hatte da einen Verdacht. Es gab eine Elfe, deren Klinge jede Kreatur zu töten vermochte. Eine Elfe, die keine Angst kannte und so verrückt war, sich selbst gegen die Himmelsschlangen zu stellen, statt ihnen eine treue Dienerin zu sein, was die erste Pflicht eines jeden Drachenelfen war.

Ja, ganz gewiss würden sie Nandalee schicken! Aber vielleicht war ihre frühere Freundin ja dumm genug, diese Ehre zurückzuweisen. Bidayn lächelte. Es war das erste Mal, seit der Goldene sie fortgeschickt hatte. Nandalees Dummheit, das war der letzte Trumpf, auf den sie setzen konnte. Wenn Nandalee den Befehl, nach Nangog zu gehen, ablehnte, dann würde der Goldene nach ihr schicken, um das Ärgernis Nandalee aus der Welt zu schaffen. Für immer! Vielleicht war das ja der geheime Plan des Goldenen?

Nur war Nandalee leider sprunghaft und vermutlich sogar inzwischen verrückt, bei allem, was Bidayn über sie gehört hatte. Vielleicht nahm sie an?

Die große doppelflügelige Tür des Kaufmannspalastes öffnete sich, noch bevor sie die Hand nach dem Türgriff ausstreckte. Kaum, dass sie über die Schwelle trat, verbeugte sich eine Schar devoter Kobolddiener vor ihr. Nur die kleine, rundliche Kruppa, die unumschränkte Herrscherin über Shanadeens Küche, buckelte nicht vor ihr. Sie versuchte nicht einmal, ihr Missfallen aus ihren Zügen zu bannen. Die Köchin mochte sie nicht, und Bidayn wäre jede Wette eingegangen, dass Kruppa ihr ins Essen spuckte, wenn sie Gelegenheit dazu hatte.