War ihm doch etwas aufgefallen? Die Drachenelfe erhob sich. Sie dachte daran, wie sie in ihrer Hochzeitsnacht Asfahal in ihr Ehebett geholt hatte, während Shanadeen betäubt in tiefem Schlummer neben ihnen gelegen hatte. Er mochte ein guter Händler sein, aber er hatte nichts an sich, was ihren Respekt verdient hätte.
»Ich wünsche nicht, dass Ihr in dieser Nacht in unserem Schlafgemach erscheint«, erklärte er, kaum dass sich die Tür zum Speisesaal hinter ihnen geschlossen hatte.
Bidayn hob überrascht die Brauen. »Gefalle ich dir nicht mehr? Oder möchtest du die Nacht ungestört mit einer Geliebten verbringen?«
Er verzog angewidert das Gesicht. »Eine Geliebte? Wie könnt Ihr nur so von mir denken?«
»Ihr verstoßt mich, nachdem ich lange fort war, aus unserem Schlafgemach, mein Gemahl. Was soll ich da anderes denken?«
Shanadeen hob abwehrend die Hände. »Nicht! Kommt mir nicht nahe! Es ist das Gegenteil von dem, was Ihr denkt. Ihr seid eine schöne Frau, Bidayn, und Ihr wisst das. Und Ihr seid eine gefährliche Frau. Ich bin nicht blind, und ich werde keine Fragen stellen. Ich weiß, der Goldene steht hinter Euch. Und ich habe gesehen, Ihr tragt eine Tätowierung auf dem Rücken …«
Sie setzte an, etwas zu sagen, doch er fuhr ihr über den Mund.
»Keine Lügen! Ich frage nicht, was Ihr seid, und Ihr müsst keine Geschichten für mich erfinden. Ich möchte Euch nicht in meinem Bett. Wir sind zwar verheiratet, aber Ihr wart nie die meine und Ihr werdet es auch nie sein. Eine schöne Frau neben mir liegen zu haben, die aber nicht von mir berührt werden will, zerrüttet meinen Seelenfrieden. Ihr müsst Euch also keine Mühe geben. Verbringen wir künftig die Nächte in getrennten Schlafgemächern. Nur eine Bitte habe ich an Euch. Erfüllt sie, und ich werde ohne zu murren die Rolle spielen, die mir in dieser Farce einer Ehe zugedacht wurde.«
Bidayn sah ihn herausfordernd an. Nicht mehr in ein Bett mit diesem langweiligen Spießer steigen zu müssen passte ihr bestens.
»Bitte seid großherzig zu meinen Mädchen. Sie haben Euch nichts getan. Es bricht mir das Herz, sie so zu sehen wie heute Abend.«
Bidayn lächelte. »Habt keine Sorge, mein Gemahl. Wir werden eine Familie sein. Und ich werde mich fast wie eine Mutter um Farella und Lydaine kümmern. Ihr wisst gut, wie sehr Ihr bei der Erziehung der beiden versagt habt. Ich werde ihnen helfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Zu akzeptieren, was ihnen widerfahren ist, und daraus endlich das Beste für ihr Leben zu machen.«
Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, vermochte Shanadeen seine Gefühle nicht zu beherrschen. »Das werdet Ihr tun?«, fragte er aufgewühlt. »Was habt Ihr vor?«
»Die beiden sind erwachsene Frauen in den Körpern von Kindern. Ich werde sie fortan wie Erwachsene behandeln. Nur dann können sie zumindest innerlich wachsen. Habt Ihr daran nie gedacht?«
Shanadeen öffnete den Mund, brachte aber kein Wort hervor. Bidayn konnte an seinem Antlitz nicht ablesen, ob er entrüstet oder einer Meinung mit ihr war und ihm einfach die Worte fehlten.
»Ihr seid meine Familie!«, sagte sie entschieden. »Und genauso werde ich mich verhalten. Es wäre schön, wenn Ihr, mein Gemahl, zumindest nach außen hin auch diese Fassade erhalten könntet. Ich habe das Gefühl, dass unser Fürst Sekander mir nicht wohlgesinnt ist. Ich werde Eure Unterstützung brauchen. Darf ich darauf vertrauen, dass Ihr immer hinter mir stehen werdet?«
Shanadeen zögerte einige Zeit, doch schließlich nickte er. Es war ein kurzes, abgehacktes Nicken. Unübersehbar widerwillig. Sofort danach ging er, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren. Bidayn war sich sicher, dass er im Kontor nicht über Warenlisten brütete, sondern darüber, wo er Hilfe für seine Töchter finden konnte. Was zu tun war, um den Fluch ihrer Mutter endlich zu brechen.
Sie hatte sich geirrt, seine Kinder waren ihm nicht egal. Im Gegenteiclass="underline" So viele Jahre hatte er das schon getan. Ohne den geringsten Erfolg. Daran würde sich sicherlich auch in nächster Zeit nichts ändern. Und das war ihr nur recht, denn sie hatte Pläne mit Farella und Lydaine. Und die würden nur aufgehen, wenn sie weiterhin aussahen wie Kinder, aber endlich die Fähigkeiten und das Selbstvertrauen von Erwachsenen erlangten.
Ein neues Kommando
Die purpurnen Segel erschlafften, kaum dass sie den Eingang zur Hafenhöhle passiert hatten. Solaiyn zupfte ein parfümiertes Tuch hinter seinem Gürtel hervor, das er wohlweislich vorbereitet hatte. Ein übler Gestank herrschte in der riesigen Höhle. Eine Mischung aus Teer, verfaultem Fisch, Brackwasser, kaltem Rauch und anderen, subtileren Dingen, die er nicht zuordnen konnte und wollte.
Nodon rief einen Befehl, und das mit einer goldenen Sonne bestickte Segel wurde eingeholt. Die Sommerlicht war ein überaus schönes Schiff. Sie machte ihn fast so stolz wie seine Statuen. Er selbst hatte das Holz für ihren Rumpf ausgewählt und in den Küstenwäldern Arkadiens nach den Zedern gesucht, aus denen die Masten gefertigt worden waren. Die Sommerlicht vereinte auf das Vollkommenste Schönheit und Zweckmäßigkeit. Der Katamaran mit den zwei Masten erreichte eine erstaunliche Geschwindigkeit, wenn er vor dem Wind lief, und hatte für ein Schiff, das nur so über die Wogen dahinflog, eine erstaunlich große Ladekapazität. Und die war auch notwendig! Dieses Mal wollte er nicht auf den Luxus verzichten, mit dem er sich üblicherweise umgab. Er würde ihm helfen, schneller wieder zu sich zu finden, wenn die Schlangenfrau Aloki ihn mit ihren langen Nadeln behandelte. Auch sie gehörte zur Fracht. Gut verborgen lag sie eingerollt in einer der Kisten unter Deck. Ihr Anblick hätte zu viele Albenkinder beunruhigt.
Solaiyn verstand diese Vorbehalte nicht. In seinen Augen war auch sie ein Geschöpf voller Anmut. Ganz im Gegensatz zu Kobolden oder Trollen. Oder gar Zwergen. Er schnitt eine Grimasse. Natürlich war es nicht gut gegangen, einem Zwerg ein eigenes Kommando anzuvertrauen. Sie waren ohne Zweifel zähe Kämpfer und talentierte Tunnelbauer, aber das Zeug zu Heerführern hatten sie nicht. Schon gar nicht dieser Ränkeschmied Hornbori.
Ruder wurden aus den Flanken der Doppelrümpfe der Sommerlicht ausgefahren. Sie glitt durch das dunkle Wasser des stinkenden Hafens der Mole entgegen, auf dem sich ein Trupp Zwerge versammelt hatte.
Solaiyn hatte sein Kommen ankündigen lassen, damit Hornbori Gelegenheit hatte, sich damit anzufreunden, dass sein Oberbefehl zurückgenommen war. Sicherlich hatte er sich bereits allerlei Ausflüchte für sein Versagen zurechtgelegt.
Langsam näherte sich der stolze Segler dem steinernen Landungssteg. Solaiyn war überrascht, wie viele Kampfschiffe der Menschenkinder hier versammelt waren. Primitive Galeeren mit Rammspornen ohne jede Eleganz, aber immerhin, sie waren zahlreich. Vielleicht ließen sich die Schiffe ja mit Kobolden oder Trollen bemannen.
Die Ruder der Sommerlicht wurden eingezogen. Ein besonders unförmiger Zwerg, der nur eine Hose trug, um seinen abscheulich tätowierten Leib zur Schau zu stellen, warf ihnen ein Seil zu. Der Katamaran wurde vertäut, eine Laufplanke angelegt.
Solaiyn verließ als Erster das Schiff. Der wie stets ganz in Rot gewandete Nodon folgte ihm auf dem Fuß. Sein Leibwächter maß die Zwergenschar mit unverhohlen misstrauischen Blicken.
»Es ist eine Freude, wenngleich auch eine Überraschung, Euch hier zu sehen, Feldherr!«, begrüßte ihn Hornbori mit sehr überzeugender Freundlichkeit. Ahnte der Zwerg etwa nicht, warum die Himmelsschlangen ihn geschickt hatten?
»Auch ich freue mich, dich wiederzusehen, Heermeister«, entgegnete er ein wenig distanziert, aber noch nicht unhöflich, auch wenn er mit Bedacht darauf verzichtete, den Zwerg formal anzusprechen. »Die Himmelsschlangen haben mich geschickt, weil sie zu erfahren wünschen, warum es dir nicht möglich war, die Stadt Asugar einzunehmen.«