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»Wir brauchen das Boot nicht länger«, sagte die Schlangenfrau plötzlich. »Haltet euch an mir fest.« Sie schlang einen Arm um Nodons Hüften. »Tief einatmen! Wir werden ein kurzes Stück tauchen. Bei drei!« Sie zählte langsam.

Nodon wollte sie fragen, wohin sie flüchten wollte. Wollte einwenden, dass es nicht klug war, das Boot zu verlassen, da wurde er schon unter Wasser gezogen.

Sie tauchten ins Licht. Über ihnen spannte sich strahlend blauer Himmel. Möwen flogen dicht am Felsen entlang, auf dem die Menschenkinder ihre Stadt erreichtet hatten. Das Licht blendete Nodon. Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder. Er vermochte nicht klar zu sehen. Es war, als läge ein Gazeschleier vor seinen Augen.

Nicht weit entfernt bemerkte er eine dreieckige Rückenfinne, die das Wasser durchpflügte.

»Das Blut im Wasser lockt sie an. Ich konnte es auch schmecken.«

Nodon sah zu der Schlangenfrau. Es gab Dinge, die wollte er erst gar nicht über sie wissen.

»Wir werden uns dort verstecken!« Sie deutete zu einem flachen Riff am Fuß der Steilklippe, das nur wenige Handbreit über das Wasser ragte. Dort lag einer der toten Sonnendrachen. Ein Flügel von ihm hing schlaff ins Wasser, auch sein langer Drachenschwanz und ein Teil seines Unterleibs. Der mächtige rot geschuppte Körper zuckte, als wäre sein Todeskampf immer noch nicht vorüber.

»Das ist kein guter Platz«, entschied Nodon.

»Es ist der beste!« Aloki ließ ihn los, sodass er nun selbst mit den Armen rudern musste, um über Wasser zu bleiben. Das Salzwasser schmerzte auf seiner verbrannten Haut. Jetzt sah er zum ersten Mal Solaiyns Antlitz. Eine Hälfte war grausam verbrannt. Eine einzige offene, schwärende Wunde. Der Schwertmeister musste sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden.

»Ihm ist Öl ins Gesicht gespritzt«, erklärte die Schlangenfrau zischelnd. »Ich habe ihn nicht gut beschützt.« Ihre Pupillen verengten sich. »Du auch nicht! Du hättest ihn nicht die Treppe hinaufbringen sollen. Das Wasser beschützt uns. Und die Drachen.«

»Tote Drachen beschützen uns?«

»Glaubst du, dort wird jemand suchen? Die Menschenkinder fürchten sie, ganz gleich, ob sie leben oder tot sind.«

Nodon blickte zu dem zuckenden Kadaver. Die Menschen hatten den Sonnendrachen getötet. Warum sollten sie ihn fürchten?

»Es ist nicht immer alles so, wie es scheint«, sagte Aloki bestimmt. »Dort sind wir in Sicherheit. Auf dem offenen Meer werden wir ertrinken oder von Haien angegriffen. Im Hafen werden uns die Menschenkinder jagen, wenn sie aus ihren Höhlen herabsteigen. Aber dort …« Sie nickte in Richtung des Riffs. »Dort können wir ausruhen, unsere Wunden pflegen und neue Kräfte sammeln.«

Nodon war nicht überzeugt. Aber er hatte geschworen, an Solaiyns Seite zu bleiben. Also folgte er Aloki, als sie mit ihrem Herrn zum Riff schwamm.

Die Schlangenfrau tauchte unter dem Drachenflügel hinweg, der ins Wasser hing, und verschwand.

Verwundert sah der Schwertmeister sich um. Wo zum Henker war sie geblieben?

Er tauchte unter. Das Meerwasser war kristallklar. Deutlich sah er den Drachen. Dicke weiße Darmschlingen hingen ihm aus dem Leib und bewegten sich in der Strömung. Sie … nein, sie bewegten sich nicht mit der Strömung. Nodon schwamm näher an den Kadaver heran. Aale! Sie hatten sich in ein Loch im Unterleib des Drachen gefressen. Dort drängten sie hinein, zerrten Brocken von Fleisch hinaus und verschwanden erneut im Drachenleib, um Fraß zu finden. Abgesehen von dieser Wunde war der Drachenleib unversehrt. Es schien, als könnten die Aale ihm selbst jetzt nichts anhaben und mit ihren scharfen Zähnen weder seine Schuppen noch die zähe Lederhaut an seinem Unterleib durchdringen.

Welche Waffe hatten die Menschenkinder genutzt, um diese eine tödliche Wunde zu schlagen? Er dachte an den Drachen im ewigen Eis. Den Drachen, den sie über und über mit ihren Pfeilen gespickt hatten. War die Zeit der Himmelsherrscher vorüber?

Aloki tauchte unter dem Flügel auf, der ins Wasser hinabhing. Sie winkte ihm zu. Mit einigen kräftigen Schwimmstößen war er bei ihr, und die Schlangenfrau half ihm auf den Felsen des Riffs hinauf. Die Schwinge des toten Sonnendrachen spannte sich wie eine Zeltplane über ihnen und verbarg sie vollständig vor neugierigen Blicken.

»Vielleicht ist das hier doch ein guter Platz«, gestand Nodon ein.

Die Schlangenfrau bedachte ihn mit einem Lächeln. »Ist das deine Art, Danke zu sagen?«

Wofür hätte er sich bedanken sollen? Sie waren auf der Flucht, und sie hatte ein gutes Versteck gefunden. Man half sich gegenseitig, wenn einem der Feind naherückte. Sie hatte seltsame Vorstellungen von Kameradschaft! Genau aus diesem Grund war Nodon am liebsten allein. Er hasste es, über die seltsamen Anwandlungen anderer nachgrübeln zu müssen.

Müde kroch er den Felsen hinauf und legte sich neben Solaiyn. Der Fürst war eingeschlafen. Seine Mundwinkel zuckten, als wollte er lachen. Ein Traum? Im wachen Zustand hatte Nodon ihn noch nie lachen gesehen.

Auf unheimliche Weise erinnerte ihn das Zucken der Mundwinkel an die Bewegungen des toten Drachen. Er beugte sich vor. Hatte etwas den Fürsten befallen? War ein Meerestier in seinen Mund eingedrungen?

Die Lederhaut des Drachenflügels war halb durchscheinend. Er verwandelte den strahlenden Sonnenschein in rotes Zwielicht. Da war tatsächlich etwas an der Wange des Fürsten! Ein Wurm? Solaiyns geschundenes Fleisch erzitterte. Nodon beugte sich weiter vor, um es besser sehen zu können. Die Haut war am Rand der Verbrennung aufgedunsen. Etwas Bleiches, Wulstiges bewegte sich darunter, kroch an der Wange hinauf. Nein, das war kein Tier! Er schloss die Lider. Seine Augen trogen ihn, da war er sich sicher. Da war immer noch dieser Schleier, der ihn daran hinderte, ganz deutlich zu sehen.

»Es ist unheimlich, wenn man es zum ersten Mal sieht, nicht wahr?«

Nodon spürte den Atem der Schlangenfrau in seinem Nacken, so nah war sie an ihn herangekrochen. Er öffnete die Augen, starrte auf das verbrannte Fleisch des Feldherrn. Gesunde, helle Haut kroch vom Wundrand her über das verbrannte Fleisch. Langsam nur, aber unübersehbar.

»Du wirst nicht so schnell genesen«, sagte Aloki leise. »Aber ich könnte dir helfen.« Es lag etwas Anzügliches in ihren letzten Worten. Sie hatte in einem Ton gesprochen, der nicht zu den lauteren Absichten einer Heilerin passte. Oder lag es an dem Zischeln, das jedes ihrer Worte begleitete?

»Keine Sorge, nicht plötzlich erwachter Edelmut ist der Grund meiner Fürsorge. Ich weiß, was du bist, Nodon. Ein Mörder. Ein Mann des Schwertes, wie es kaum einen zweiten gibt. Wir werden deine Fähigkeiten brauchen, wenn wir überleben wollen.«

»Hast du das zweite Gesicht?« Er drehte sich halb zu ihr um. Sie war ihm so nahe gerückt, dass ihr blasses Antlitz kaum zwei Zoll entfernt war. Ihre geschlitzten Pupillen hatten sich im Zwielicht so sehr geweitet, dass es beinahe aussah, als hätte sie normale Augen.

»Ich bin nicht wie die Gazala oder die Apsara … Manchmal sehe ich Dinge, die noch kommen werden. Wie ein Blitz das Dunkel des Nachthimmels zerteilt, erscheinen sie hinter der Wirklichkeit. Bilder, die zu schnell verschwinden, um sie klar zu erkennen. Doch eines weiß ich ganz gewiss! Die Schlacht um diese verfluchte Stadt ist noch nicht vorüber. Der größte Schrecken steht uns allen noch bevor. Und wenn er kommt, dann möchte ich, dass du im Vollbesitz deiner Kräfte bist, um Solaiyn und mich zu schützen. Und selbst das wird vielleicht nicht genügen …«

Im Gewand der Drachen

Ein breiter Balken aus Licht stach unter dem Felsen hindurch und erhellte den Hof der Alten Veste. Nandalee saß im Schatten und sah den beiden Kleinen zu. Sie waren nackt, saßen auf einer Decke und bewunderten das Licht. Emerelle streckte ihre Hand aus und versuchte, die goldenen Staubkörnchen zu fangen, die im Licht tanzten.