Выбрать главу

»Ich werde Euch nichts vormachen, meine Dame. Es ist eine gefährliche Mission, auf die ich Euch schicke. Ich habe lange mit mir gerungen … Und ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Ihr die einzige Drachenelfe seid, die vielleicht Hoffnung auf Erfolg hat. Ihr gebt niemals auf, meine Dame. Nur der Tod vermag Euren Willen zu brechen, und Euer Schwert wurde dazu erschaffen, Gegner zu überwinden, die unbezwingbar erscheinen.«

Spürte sie Verzweiflung in seinen Gefühlen? Nandalee sah auf Meliander hinab. Sein Gesicht war von tiefen roten Narben entstellt, ein Arm fehlte ihm … Wie könnte sie zögern, alles zu tun, wenn auch nur die geringste Hoffnung bestand, aus ihm ein gesundes Kind werden zu lassen?

»Geht nicht!« Eleborn trat auf den Hof hinaus.

»Ihr seid hier nur ein Gast, Meister Eleborn«, fuhr der Dunkle ihn an. »Wie könnt Ihr es wagen, Euch einzumischen?«

»Wie könnt Ihr es wagen, Nandalee auf eine Mission zu schicken, die Emerelle und Meliander zu Waisen machen könnte. Ich gehe an ihrer Stelle!«

Nachtatem lachte. »Seht Euch diese Wand an, Elf, mit der Ihr die ganze Welt zu einem schöneren Ort machen wollt. Was Ihr dort erschaffen habt, ist erbärmlich. Ein Werk, das nicht im Mindesten an Eure hochtrabenden Absichten heranreicht. Und nicht minder groß ist die Diskrepanz zwischen Eurer Absicht, Nandalee beschützen zu wollen, und Eurer Fähigkeit, es auch tun zu können. Nodon wäre dazu vielleicht in der Lage, Ihr jedoch ganz gewiss nicht.«

Nandalee spürte die kalte Wut des Drachen. Er hatte sich so sehr verändert. Wo war der Nachtatem, mit dem sie vor einer Ewigkeit dem geheimnisvollen Mörder der Alben nachgespürt hatte? Einst war er von unerschütterlicher Ruhe gewesen. Jetzt befürchtete sie, dass er Eleborn töten würde, wenn ihr Freund auch nur noch ein einziges falsches Wort sagte. Nandalee stellte sich schützend vor den Elfen.

»Ich werde gehen.« Sie sah dem Dunklen tief in die Augen, suchte nach dem unausgesprochenen, dem geheimen Grund für diese Mission. Sie sah nur blaue Abgründe.

Dann kniete sie nieder und strich Meliander über sein schwarzes Haar. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, fühlte sie sich schuldig. Was hatte sie falsch gemacht? Warum hatte sie nicht zwei Kinder wie Emerelle? Was war mit ihm in ihrem Leib geschehen? Sie würde alles tun, um ihm die Narben zu nehmen und seinen zweiten Arm zu geben.

Schon jetzt bemerkte sie, wie einige der Drachenelfen der Alten Veste ihn voller Abscheu betrachteten, wenn sie glaubten, sie würde es nicht bemerken. Was würde Meliander durchmachen müssen, wenn er größer wurde?

»Ich werde dieses Traumeis finden«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich gehe hinauf auf mein Zimmer und packe meine Sachen.«

Sie spürte die Erleichterung des Dunklen über ihren Entschluss. Eleborn hingegen wandte sich ab und verließ den Hof.

»Ihr, mein Gebieter, dürft diese Stunde mit den Kindern verbringen. Solange ich verreist bin, werdet Ihr Euch ihnen nicht mehr nähern. Dies ist meine einzige Bedingung. Werdet Ihr sie akzeptieren?«

Der Dunkle zögerte. War das also die verborgene Absicht hinter seinem Angebot gewesen? Wollte er an ihre Kinder heran?

»Ihr verhandelt hart, meine Dame«, sagte er ohne jede Emotion in der Stimme. »Wenn Ihr es so wollt, soll es so sein. Ich werde dem Wohl von Meliander niemals im Wege stehen.«

Dieser letzte Satz versetzte ihr einen Stich ins Herz. Meinte er es aufrichtig? Oder hatte er es nur gesagt, damit sie sich schlecht fühlte? Vielleicht hatte er auch ganz andere Hintergedanken.

Kein Elf würde jemals die Himmelsschlangen verstehen. Je länger sie die alten Drachen kannte, desto rätselhafter und undurchschaubarer erschienen sie ihr. Nandalee zog sich in den Palas der Alten Veste zurück und stieg zu ihrem Zimmer hinauf. Entlang der Treppe waren die Waffen der Drachenelfen aufgehängt, ganz ähnlich, wie es früher in der Weißen Halle gehandhabt worden war. Sie blieb vor Todbringer stehen und strich mit der Hand über die kalte Klinge. Sie dachte an Gonvalon. Er hatte Angst vor diesem Schwert gehabt, es verflucht genannt. Und er hatte recht behalten. Das Schwert hatte auch jenen, die Todbringer im Kampf führten, stets Tod oder Verderben gebracht.

Nandalee hob den schweren Zweihänder von der Wand. Sie würde die Waffe brauchen. Ihr blieb gar keine Wahl.

Auf ihrem Zimmer angelangt, starrte sie lange Zeit auf die Kleidertruhe. Nachtatem hatte letztlich also gewonnen. Sie war wieder seine Drachenelfe. Nun lag es bei ihr, ob sie sich ganz und gar dazu bekannte oder weiterhin trotzig blieb.

Sie kniete vor der grün lackierten Truhe mit den springenden Delphinen nieder, öffnete den Deckel und griff ganz nach unten in den Kleiderstapel. Zarte Seide schmiegte sich an ihre Hand. Sie holte das weiße Kleid hervor, das der Dunkle ihr einst geschenkt hatte, und legte es auf ihr Bett. Die Säume waren mit goldenen Stickereien geschmückt. Sie erinnerte sich noch genau, wie stolz sie gewesen war, als sie es zum ersten Mal getragen hatte. Diese Gewänder waren einzig den Drachenelfen vorbehalten. Wer Weiß und Gold trug, dem begegnete man auf allen drei Welten mit Ehrfurcht, Respekt und auch Angst.

Nandalee streifte ihre einfache Kleidung ab und wusch sich an der flachen Schale auf dem Tisch neben dem Bett. Es tat gut, das kalte Wasser auf dem Leib zu spüren. Es spülte die letzten Zweifel hinweg. Wenn sie eine Mission für die Himmelsschlangen erfüllte, dann sollte sie ganz und gar Drachenelfe sein.

Vorsichtig schlüpfte sie in das Kleid. Es saß nicht mehr perfekt. Sie war dünner geworden. Die Seide schmeichelte ihrer Haut. Nur die Stickereien kratzten ein wenig. Sie war überrascht, wie gut es sich anfühlte, dieses Gewand zu tragen.

Sie schloss die kleinen Haken am Stehkragen und betrachtete ihr Spiegelbild in der Wasserschale. Ihr Gesicht war schmaler geworden. Ihre Augen wirkten müde. Das weizenblonde Haar wallte auf ihre Schultern hinab. Sie überlegte, es hochzustecken, entschied sich aber dagegen, obwohl es zweifellos praktischer war, ihre wilde Mähne nicht offen zu tragen. Doch Nandalee mochte es offen. Mochte, wenn es ihr ins Gesicht wehte.

Wieder griff sie nach dem Schwert. So wie sie den Dunklen verstanden hatte, war es diese Waffe, auf die es ankam. Sie würde gegen einen Feind ziehen, gegen den mit Pfeil und Bogen nicht anzukommen war, wenn Nachtatem nicht irrte. Und Himmelsschlangen irrten sich nur selten. Sollte sie den Bogen also hierlassen? Lange Jahre war er das Symbol ihres Widerstandes gewesen. So viel Streit hatte es um diesen Bogen gegeben. In der Weißen Halle und auch später.

Sie streckte die Hand nach ihm aus … zögerte … Und zog sie dann wieder zurück. Wahrscheinlich würde er sie im Kampf gegen das Ungeheuer behindern. Sie würde ihn ablegen müssen. Warum sollte sie ihn dann überhaupt mitnehmen. Allein um ihres Trotzes willen? Sie begriff, dass heute der Tag gekommen war, vor dem sie sich so lange gefürchtet hatte. Der Tag, an dem all ihr Widerstand zusammenbrach. Sie hatte sich geschworen, nie wieder einfach eine Mörderin der Himmelsschlangen zu sein. Eine Vollstreckerin der Willkür der alten Drachen, die ihre Taten nicht hinterfragte.

Nun würde sie losziehen, um den Sohn der Göttin Nangog zu töten. Und das allein, damit ihr Sohn ein besseres Leben führen konnte. Die Elfe ließ den Kopf sinken. Sie gewandete sich in edles Weiß und Gold, sah aus wie eine Heldin und war doch das genaue Gegenteil. Zuletzt hatten die Himmelsschlangen gesiegt. Sie war zu einer Mörderin in ihren Diensten geworden.

Sie nahm das Schwert und verließ ihre Kammer.

Draußen im Flur erwartete sie Eleborn. Auch er hatte das weiße Gewand eines Drachenelfen angelegt. »Ich werde mit dir kommen.« Er sagte es mit einer Bestimmtheit, die jeden Widerspruch sinnlos erscheinen ließ.

Nandalee nickte. Sie war froh, dass sie diesen Weg nicht allein gehen musste.