»Daimonen«, sagte Kolja mit fester Stimme. Er war ihm gefolgt. War wie selbstverständlich an seiner Seite. So wie früher.
Volodis Gedanken überschlugen sich. Er musste Wanya und Quetzalli in Sicherheit bringen, zugleich durfte er seine Männer nicht im Stich lassen. Sie waren der Wall, der seine Familie schützte. »Gib dem Fremden dein Schwert, Oleg. Und dann lauf zu Quetzalli, sie und Wanja sind in unseren Gemächern hier im Langhaus. Sorge dafür, dass meine Familie in Sicherheit ist. Die beiden müssen aus dem Palast heraus. Die Mörder werden überall innerhalb der Mauern nach ihnen suchen. Nimm den Versorgungstunnel unter dem Langhaus, durch den die Amphoren für die Lagerhäuser gebracht werden. Den können die Daimonen nicht kennen!«
Oleg zog sein Schwert und reichte es mit dem Griff voran Kolja. Der blonde Hüne zögerte kurz, die Waffe anzunehmen.
»Ich werde deine Familie mit meinem Leben schützen.« Der Hauptmann salutierte und verschwand.
Volodi eilte auf die Terrasse hinaus und verschaffte sich einen raschen Überblick. Die Bogenschützen hatten sich bereits versammelt. Eiserne Körbe, gefüllt mit glühenden Kohlen, wurden herangetragen, um Brandpfeile entzünden zu können. Der weite Hof hallte vom Geschrei der Kämpfenden und Waffengeklirr. Alle Anspannung fiel von Volodi ab. Er war ein guter Anführer und Krieger. Auf dem Schlachtfeld plagten ihn nie Zweifel, hier waren alle Dinge ganz einfach, nicht so wie im Thronsaal.
Er sollte Kolja in Gnaden aufnehmen, das wäre klug. Aber alles in ihm sträubte sich dagegen. Einst hatte er in dem Faustkämpfer einen Freund gesehen. Das würde er nie wieder tun. Aber als Herrscher musste er kluge Entscheidungen treffen. Seine Gefühle waren dabei Nebensache.
Er blickte auf den Hof hinab. Sah die schattenhaften Gestalten, die zwischen seinen Kriegern wüteten und sich dabei mit einer Leichtigkeit bewegten wie Tänzer in einem Festsaal. Sie schlugen sogar die Pfeile aus der Luft, die auf sie abgeschossen wurden. Verfluchte Daimonen! Wie sollte ein Mann gegen diese Ungeheuer bestehen?
»Keine Brandpfeile!«, befahl er mit volltönender Stimme. Die Bogenschützen hielten inne und sahen ihn verwundert an. Sie wollten den Hof erhellen, um ihre Ziele besser sehen zu können.
»Pfeile, die diese Meuchler als glühenden Schweif auf sich zukommen sehen, werden sie noch leichter abwehren!« Volodi sprach bewusst nicht von Daimonen, um seinen Männern nicht zusätzlich Angst einzujagen. Meuchler waren übel, aber man konnte sie besiegen. Daimonen waren etwas anderes. Es gab zu viele Geschichten über sie! Es hieß, dass hundert Krieger notwendig waren, um einen von ihnen zu besiegen. Volodi wusste, dass das nur Gerede war. Sie bluteten und starben, diese Daimonen, so wie ganz normale Männer und Frauen auch. Er würde seinen Wachen zeigen, wie man diese Schattengestalten tötete.
Der Unsterbliche stieg auf die Brüstung der Terrasse. Bis hinab zum Hof waren es etwas mehr als drei Schritt. Um zur Treppe zu gelangen, müsste er zum anderen Ende der Terrasse laufen. Dafür war keine Zeit mehr. Seine Krieger im Hof wichen bereits zurück. Ihre Verzweiflung konnte jeden Augenblick in Panik und kopflose Flucht umschlagen.
Er drehte sich zu Kolja um. »Seite an Seite? Wie in alten Zeiten? Danach wird alles vergessen sein, was war.«
Seine zurückerlangte Jugend schien Kolja den Schneid gekostet zu haben. Der Hüne, der früher vor keinem Risiko zurückgeschreckt war, zögerte. »Du bist jetzt ein Unsterblicher. Musst du nicht den Überblick behalten und Schlachten vom Feldherrnhügel aus lenken?«
Volodi schnaubte verächtlich. »Was für ein Herrscher wäre ich, wenn ich meinen Männern in der Gefahr nicht beistehen würde?«
»Ein weiser Herrscher!«, entgegnete Kolja entschieden.
»Ich wäre ein Hundsfott.« Volodi wandte sich ab, sprang in den Hof hinab und stürmte einer Schattengestalt entgegen, die mit zwei Schwertern focht. Es gab nur noch diesen Daimonen und ihn.
Hinter sich hörte er Kolja auf dem harten Lehmboden landen. »Verdammter Idiot. Du bringst uns beide um!«, fluchte der Hüne. Dann holte er zu Volodi auf, das Schwert erhoben, bereit zum Kampf.
Flucht ins Dunkel
Bidayn riss ihr Schwert aus Starkfuß’ Auge und zog es mit fließender Bewegung einem der Menschensöhne über die Kehle. Der Adler war nicht mehr zu retten gewesen. Besser er war tot und beeinflusste nicht länger das Denken von Asfahal. Vielleicht war auch das ein Grund, warum ihr Gefährte aus der Weißen Halle verbannt worden war. Seine Gutherzigkeit. In einer Schlacht wie dieser stand sie nur im Weg.
Die Elfe duckte sich unter einem Speerstoß weg und rammte ihre Klinge mit geradem Stoß durch einen Schild. Sie genoss den entsetzten Ausdruck in den Augen des Kriegers, als er begriff, dass ihn weder Schild noch Rüstung schützten und die Waffe der Daimonin geradewegs in sein Herz traf.
»Ich dachte, wir brechen die Mission ab.« Asfahal, der noch immer dicht bei seinem Adler stand, sprach leise, war aber trotz des Waffenklirrens gut zu verstehen.
»Und ich dachte, du hättest meinen Befehl verstanden, dass wir uns kampflos zurückziehen.« Bidayn sah, wie plötzlich ein tiefer Schnitt auf der Wange von Asfahal erschien. Ein Pfeil musste ihn gestreift haben. Es war an der Zeit, etwas gegen die Bogenschützen zu unternehmen. Hier auf dem Hof gaben sie zu gute Ziele ab.
»Bleibt in Bewegung!«, rief sie ihren Gefährten zu.
Rechts von ihr ließ Kyra ihren Klingenstab wirbeln, der den Bambusstock ersetzte, mit dem sie auf dem Übungshof in Uttika gekämpft hatte. Asfahals Schwester trieb die Menschenkinder nur so vor sich her, doch sie achtete zu wenig auf die Pfeile, die inzwischen aus allen Richtungen auf sie niedergingen. Lemuel, der schweigsame Maurawan, der das Band zu den Riesenadlern vom Albenhaupt geknüpft hatte, schlug mit einer seiner beiden kurzen Klingen ein Geschoss zur Seite, dass Kyra ansonsten in den Rücken getroffen hätte.
Lemuel war fast einen Kopf kleiner als Bidayn. Vielleicht lag es an seiner Größe, dass er stets in der Laune war, sich zu beweisen. An schlechten Tagen genügte schon ein unbedachter Blick, um mit ihm in Streit zu geraten. Wie sie alle trug er eng anliegende schwarze Gewänder und einen leichten Brustpanzer aus Leder. Seine Kleider sahen bereits schmuddelig und abgetragen aus, obwohl sie kaum fünf Wochen alt waren.
»Bring uns in Deckung!«, rief Bidayn Valarielle zu.
Die schwarzhaarige, ungewöhnlich blasse Elfe schob mit fließender Bewegung ihr Schwert in die Lederscheide auf ihrem Rücken zurück und trat in den Kreis, den die vier Drachenelfen inmitten des Hofes gebildet hatten. Sie löste ein Band mit silbernen Glöckchen von ihrem Stiefel und warf es Bidayn zu. »Das solltest du tragen, damit ich dir nicht gleich aus Versehen die Kehle durchschneide.«
Bidayn schnappte das Lederband aus der Luft. Ein Pfeil streifte ihren Unterarm. Sie hatte nicht aufgepasst. Schmerz flammte in ihrem Arm. Ob die Menschenkinder ihre Pfeilspitzen vergifteten?
»Deckung!« Asfahal riss den Schild eines toten Kriegers hoch und hielt ihn schützend über sie. Mehrere Geschosse schlugen mit dumpfem Laut in das Holz.
Zwei Menschensöhne sprangen von der Terrasse und stürmten ihnen entgegen. Bidayn sah sie nur flüchtig. Noch immer zogen Brandpfeile durch die Luft, wenn auch weniger als zuvor, und flackerten auf dem Boden. Die Flammen verdarben ihre Nachtsicht. Die Menschenkrieger waren wenig mehr als Schemen in Bronze und Leder. »Lemuel! Halt die beiden dort hinten auf!«
Der Maurawan stach einen Speerträger nieder und eilte dann den Kriegern entgegen, die von der Terrasse kamen. Jetzt folgten auch noch einige der Bogenschützen dem Beispiel der ersten beiden Krieger, die gesprungen waren.
»Das wird übel«, zischte Asfahal Bidayn zu.