»Und wenn ich das nicht tue?«
Er hob resignierend die Hände. »Wollt Ihr Eurem Sohn helfen, Herrin?«
»Ihr könnt ihn heilen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich verspreche nichts. Um an bestimmte Kräuter zu kommen, braucht man nicht allein Gold, sondern auch Ansehen …«
Sie traute ihm nicht. Er würde alles tun, um wieder in Amt und Würden zu gelangen. Er hatte kein Gewissen! Und doch – vielleicht wusste er etwas. Iwar hatte ihm vertraut. Er war lange Zeit der bedeutendste Heilkundige des Reiches gewesen. Es musste doch ein Fundament geben, auf dem sein Aufstieg gründete.
»Du kannst Wanya heilen?«, fragte sie erneut, drängender.
Er schüttelte den Kopf. »Ich verspreche Euch nichts, Herrin. Aber ich werde alles versuchen. Und vor allem werde ich Euer Geheimnis wahren und verteidigen.«
So wie er dastand, aufrecht mit seinem ehrwürdigen weißen Bart und dem herausfordernden Blick, wirkte er fast vertrauenswürdig.
»Ich erwarte dich am Abend an der Festtafel.« Sie musste ihm Honig ums Maul schmieren. Wenn sie Zeit gewann, dann würde sie auch einen Weg finden, ihn loszuwerden. Sie blickte in die Wiege. Wanya lag reglos. Er starrte sie mit offenen Augen an, in denen keine Emotion lag. Nichts an diesen Augen erinnerte noch an das Kind, das er gewesen war, bevor die Daimonen diesen Palast heimgesucht hatten.
Das Geschenk
Sie mochte das Langhaus nicht. Das ausgelassene Lärmen der Krieger. Sie wusste, dass sich die Männer noch zügelten, solange sie hier war. Sie soffen nicht, bis sie rücklings von den groben Bänken stürzten, und grölten nicht ihre Lieblingslieder über Frauen, die für ein paar Kupferstücke die ungeheuerlichsten Dinge taten.
Sie spürte, wie ihre Anwesenheit auf dem Festsaal lastete. Spürte die verstohlenen Blicke. Manche hatten auch Angst vor ihr. Für eine Hexe gehalten zu werden brachte durchaus Vorteile. Nur wenige dieser Kerle waren Manns genug, ihrem Blick standzuhalten.
Sie hatte auf dem Hochsitz Platz genommen. Jenem mit prächtigen Schnitzarbeiten geschmückten Thron, auf dem sonst Volodi saß. Ihre Hände lagen auf den Armlehnen, die in Bärenköpfen endeten. Sie trug ein leichtes Gewand aus ihrer Heimat, das in schillernden Farben die Gefiederte Schlange zeigte. Es war eine der Gestalten, die der Devanthar ihres Volkes annahm. Halb im Schlund der Schlange verschwunden, steckte ein Mann mit goldenem Haar, der flehend die Arme emporstreckte. Volodi mochte dieses Kleid nicht. So genoss sie es umso mehr, es in seiner Abwesenheit endlich tragen zu können. Ihr war bewusst, was für eine Provokation das war. Aber sollten sie nur die Hexe fürchten, die sie in ihr sahen.
Rauch zog aus der langen Feuergrube in der Mitte der Halle. An drei Drehspießen hingen Schweine über der Glut. Zischend troff ihr Fett in die Holzkohlen. Zwei Mägde schnitten mit langen Messern Streifen von der Schwarte und tischten sie den Kriegern zusammen mit dunklem Brot auf.
Zwei Tischreihen standen rechts und links der Feuergrube. Eine dritte am Ende des Saals, quer dazu. Hier gab es nur acht Plätze. Sie waren besonderen Gästen und Würdenträgern des Reiches vorbehalten. Quetzalli hatte dafür gesorgt, dass an diesem Abend einer der begehrten Plätze frei blieb.
Ihr Thron stand auf einem Podest unmittelbar hinter den Ehrenplätzen. So überblickte sie die Halle, und jeder vermochte sie gut zu sehen.
Immer wieder blickte Yuri zu ihr auf. Er saß nicht weit von der Tür. Damit stand er im Rang nicht höher als irgendein junger Krieger aus der Leibwache Volodis, der noch keine Gelegenheit hatte, Ruhm im Kampf zu erringen. Er bedachte sie mit unangemessen fordernden Blicken, deshalb hatte sie sich bislang Zeit gelassen.
Quetzalli genoss es, ihn zappeln zu lassen. Außer verärgert dreinzuschauen konnte Yuri im Augenblick nichts tun. Es mochte ein Viertel von einer Stunde verstrichen sein, als sie sich schließlich erhob und nach dem schweren, silbernen Methorn im Ständer auf dem kleinen Tisch neben ihrem Thron griff. »Männer!« Ihre Stimme übertönte mühelos den Lärm der Zecher. Als Priesterin war sie ausgebildet worden, zu großen Menschenmengen zu sprechen. Sie hob das Trinkhorn hoch über ihr Haupt.
»Auf Volodi, der über den Adlern schreitet! Möge er siegreich zurückkehren!«
»Auf Volodi!«, ertönte es aus begeisterten Kriegerkehlen. Alle hoben sie ihre Trinkhörner und blickten nach Süden, dorthin, wo vor vielen Stunden der Wolkensammler verschwunden war. Viele bedauerten es, nicht an Bord zu sein.
Volodi hatte ein Geheimnis daraus gemacht, wohin die Reise ihn führen würde. Das war ein schlechtes Zeichen! Bislang hatte er vor Quetzalli immer schon im Voraus mit den Heldentaten angegeben, die er zu begehen gedachte. Auch dass der Unsterbliche Aaron ihn begleitete, verhieß nichts Gutes. Etwas Bedeutendes würde geschehen! Und etwas Gefährliches. Sie musste wieder an die Leber denken. An all die Würmer.
Die Jubelrufe verstummten langsam. Die Männer sahen zu ihr auf. Sie erwarteten, dass sie noch etwas sagte. Quetzalli hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als jene Worte auszusprechen, die sie sich den ganzen Abend über zurechtgelegt hatte.
»In eurer Mitte gibt es einen Mann, der hundertfach dem Tod entgegengetreten ist. Und auch wenn er manche Niederlage erlitt, nimmt er den Kampf stets furchtlos aufs Neue auf.«
Die Krieger wirkten verwundert. Niederlagen endeten für sie meist tödlich.
»Es ist ein Mann, der weder Schwert noch Axt in Händen hält, wenn er in den Kampf zieht. Ein Mann, für den die Schlacht auch dann nicht vorüber ist, wenn für alle anderen längst die Waffen ruhen.«
Sie sah die Ratlosigkeit in den Gesichtern der Männer. Einige wirkten sogar verärgert. Glaubten sie etwa, sie mache einen Spaß auf ihre Kosten?
»Der Mann, von dem ich spreche, ist Yuri, der Heiler des Unsterblichen Iwar. Ein Mann in unserer Mitte – kein Krieger! Und doch ist er so wichtig wie der Mann an eurer Seite, wenn ihr im Schildwall steht.« Quetzalli sah, wie einige der Männer beifällig nickten. Es war still im Saal. Niemand machte Scherze über ihren Akzent, der sonst so oft zur Zielscheibe des Spottes der Drusnier wurde. Natürlich nur, wenn sie glaubten, dass sie es nicht bemerkte.
»Yuri, mein Mann hat dir unrecht getan, als er dich von der Ehrentafel verbannte. Erhebe dich, Heiler!«
Der weißhaarige Mistkerl stand auf. Die Männer, die neben ihm saßen, klopften ihm auf die Schultern oder knufften ihn mit den Fäusten. Yuri verbeugte sich. »Ich bin … überwältigt. Ich … Wirklich, ich … Es ist nicht notwendig. Ich bin wie die Krieger um mich. Ich bin einer von ihnen. Ich sitze gerne in ihrer Mitte.«
Verlogener Arsch, dachte Quetzalli. Doch sie lächelte. »Wem in dieser Halle hat Yuri schon geholfen? Hebt einen Arm, Männer, wenn der Heiler euch je zu Diensten war.«
Der Heiler bedachte sie mit einem ärgerlichen Blick. Ja, so war das nicht abgesprochen. Aber sie war kein Püppchen, das an Fäden tanzte. Sie wollte wissen, wie groß der Rückhalt des Heilers wirklich war.
Nicht einmal ein Drittel der Männer hob den Arm. Manche prosteten dem Heiler dabei mit ihren Trinkhörnern zu. Es waren deutlich weniger, als er behauptet hatte, aber immer noch zu viele, um Yuris Einfluss zu ignorieren.
»Nun, Männer«, fuhr sie fort. »Er ist einer von euch. Es ist selbstsüchtig von mir, wenn ich ihn eurer Mitte entreiße. Er ist gerne bei euch. Ich weiß, es wird viel über mich geredet. Manche nennen mich eine Hexe. Einige haben wahrscheinlich noch weniger schmeichelnde Bezeichnungen für mich.« Sie machte eine kurze Pause und genoss die Totenstille, die nur vom Zischen des Fetts unterbrochen wurde, das in die Glut troff. Kaum einer dieser schlachterprobten Bastarde wagte es, ihr in die Augen zu sehen. »Mir liegt euer Wohl genauso am Herzen wie dem Unsterblichen. Deshalb frage ich euch: Gibt es einen, der nicht wünscht, dass ich Yuri aus eurer Mitte reiße, damit er einen Ehrenplatz an meiner Tafel einnimmt? Wenn ja, dann spreche er jetzt!«
Sie genoss das Entsetzen im Blick des Heilers.