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»Wenn’s weiter nichts ist, Jakob«, sagte Jurij Blaschenko zuletzt.

Nämlich:

Da gab es in dem großen Russenland eine Stelle (Vorsicht, es gibt sie noch immer!), in der ist belastendes Material über viele führende Politiker und Wirtschaftler der Bundesrepublik gesammelt – auch über solche, von denen man annehmen konnte, daß sie erst noch in führende Positionen aufsteigen würden –, und zwar über ihre Tätigkeiten im Nazi-Reich. Falls sie etwas übles angestellt haben in Hitlers Reich, pflegt die Sowjetunion bei gegebenem Anlaß derlei Material über diese oder jene Persönlichkeit an die Bundesregierung zu senden. Und zugleich auch noch an ein paar andere Regierungen.

Jurij Blaschenko hatte sich Notizen gemacht, während Jakob sprach. Jetzt schüttelte er den Kopf. »Und der hat dich aufs Kreuz gelegt, Jakob? Mit dem wirst du nicht fertig? Du, der große Jakob Formann?«

»Jeder von uns hat seine schwachen Stellen, Jurij«, sagte Jakob.

38

Das Werk da bei Rostow wurde in einer Bauzeit von drei Jahren und zehn Monaten gebaut. Es war eine der ersten großen deutsch-sowjetischen Gemeinschaftsarbeiten in der schönen (und kurzen) Epoche des Tauwetters. Vor seiner Einweihung kam es allerdings fast zu einer Katastrophe, über die wir noch ausführlich berichten werden.

Während der Bauzeit erhielt Jakob dringende Bitten um Besuche aus Tokio, Warschau, Belgrad und Peking – jawohl, Sie haben richtig gelesen, auch aus Peking, Rotchina.

Jakob hatte nun eine große Verkehrsmaschine erworben.

Der Bau der Plastikfabrik bei Rostow ließ sich natürlich nicht geheimhalten. Polen, Japaner, Jugoslawen und Rotchinesen hörten davon. Sie alle brauchten Kunststoffe. Sie alle (besonders die Rotchinesen) brauchten auch noch Fertighäuser, denn ihre Menschen waren sehr arm, und viele Hunderttausende hatten kein Dach über dem Kopf. Jakob baute, lieferte und arbeitete für alle. Das waren die Jahre, in denen er unablässig von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent hetzte, in denen er sein Riesenimperium aufbaute.

Wegen seiner Aktivitäten in Rotchina sah Jakob sich erregten Protesten besonders in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgesetzt. Die Sache kam sogar vor den Senat, ohne daß sein Freund, der liebe Senator Connelly, es verhindern konnte. An dessen Stelle sprang ihm Senator Wayne Morse bei, der sich heftig für Jakob und seine Projekte in der Volksrepublik China einsetzte und den Durchbruch mit einem Donnerruf vor vollbesetztem Haus erzielte, den wir hier wortwörtlich wiedergeben: »Handel mit Rotchina ist die einzige christliche Sache, die Amerika tun kann. Man kann den Glauben an Gott nicht mit einer Politik vereinbaren, die Menschen gelber Hautfarbe in Armut und Entbehrung halten will, weil sie nicht unsere politischen Auffassungen teilen!«

39

»Wir werden«, sagte Jakob an einem schönen Junitag des Jahres 1957, »bald Übermenschliches leisten müssen, liebe Freunde, das ist euch doch klar?«

Seine lieben Freunde nickten ernst. Es waren der Wenzel Prill, der Karl Jaschke und der fette Arnusch Franzl. Alle saßen, nur der Franzl stand. Er hatte seit längerer Zeit Schwierigkeiten beim Sitzen und stand gerne – sagte er jedenfalls.

Alle Abmagerungskuren blieben beim Franzl nur ganz kurze Zeit wirksam, und zwar deshalb, weil er sogleich nach ihrer Beendigung alles nachfraß, was er hatte entbehren müssen. Auch Hypnose und Akupunktur führten zu nichts bei ihm.

»Wir haben die moralische Pflicht«, sagte Jakob, »zu produzieren, soviel wir nur können, das ist klar. Unsere Produktionsstätten sind zu klein, wir müssen schnellstens größere, neue, bessere und vor allem mehr, viel, viel mehr bauen. Unsere Himmler-Eierfarm in Waldtrudering ist doch nur noch ein Witz! Frankfurt ist fast schon zu klein geworden. Wir müssen übersiedeln! Das Fertighaus-Zentrum in Murnau schafft es auch nicht mehr, das weißt du am besten, Karl. Meinetwegen bleibt dort wohnen wegen deiner Freundin in Garmisch-Partenkirchen, aber ich habe schon die Gelände für ein Werk bei München, eines bei Bremen und eines bei Nürnberg gekauft. Jakob Formann hat sehr viel Grund und Boden gekauft von diesen verfluchten Hunden, die Grund und Boden besitzen und jetzt die Preise hinauftreiben wie die Irren.« (Er hatte es sich, wie wir uns erinnern, in letzter Zeit angewöhnt, von sich selber häufig in der dritten Person zu sprechen.) »Wozu braucht Jakob Formann soviel Grund und Boden? Weil er Siedlungen für seine Arbeiter und Angestellten rund um jedes Werk anlegen will. Hochhäuser, aber auch Häuschen mit Gärten, alles mit allem Komfort. Supermärkte. Kinos. Ärzte. Und so weiter, und so weiter. Jakob Formann denkt stets an alle, die für ihn schuften! Er hat eine beispielhafte soziale Einstellung! Das ist wahrer Sozialismus!«

»Du kannst ihnen auch noch japanische Seidentapeten und Klos aus Gold schenken, und sie werden doch ›dreckiger Ausbeuter‹ und ›Er tut’s ja nur aus schlechtem Gewissen‹ sagen und auf dich scheißen«, sagte dazu der Arnusch Franzl, schnaufend an einer Hornbrille rückend, die er sich zugelegt hatte, um noch seriöser auszusehen.

»Du bist und bleibst ein Zyniker!« sagte Jakob mit Betonung und sah seine Stabsmannschaft erwartungsvoll an. In der Tat zeigten alle ein erfreutes Erstaunen darüber, daß er das Wort kannte.

»Wie es so geht im menschlichen Leben! Lehr mich die Menschen kennen«, brummte der Arnusch Franzl.

Die Zusammenkunft fand in der Bibliothek von Jakob Formanns Schloß am Starnberger See statt, das er seit einiger Zeit wieder ohne Hemmungen bewohnte, wenn er in der Nähe war. Die zentrale Verwaltung aller seiner Unternehmen befand sich in Frankfurt am Main. Jakob hatte seine ältesten und engsten Mitarbeiter über ein Wochenende zu Gast gebeten. Infolge der vielen neuen Freunde, die er hatte, wurde dieses Wochenende kein großer Erfolg.

So zum Beispiel gab es jetzt, mitten in der Besprechung, eine Unterbrechung von etwa zehn Minuten, weil Jakob einige neue Barone, Gräfinnen, Grafen und eine leibhaftige Hoheit begrüßen mußte. Die Herrschaften waren soeben eingetroffen. Das Schloß war seit langem voll mit Blaublütern. Sie wohnten hier, sie aßen und tranken hier nach Herzenslust, sie benutzten Jakobs drei Motorboote für Rennen auf dem See und seine schönen großen Wagen für Freundschafts-Rallyes über besonders schwierige Strecken in den nahen Alpen. Sie hatten ununterbrochen ›neue hochinteressante Projekte‹ zu offerieren, die natürlich Geld kosteten. Jakob gab es ihnen. Aus den ›Projekten‹ wurde niemals etwas. Die meisten dieser Parasiten schnorrten Jakob an, ohne jede Hemmung und bar jeder Scham. Er spendete stets reichlich. Dafür durfte er die Erlauchten aber auch mit ›Du‹ anreden, und sie redeten ihn mit ›Du‹ an, denn wie ein österreichischer Fürst sagte: »Wir sind alle Menschen, keiner soll sich besser vorkommen als der andere. Du bist genauso wertvoll wie wir, auch wenn du aus der Hefe des Volkes kommst.«

Das hatte Jakob, als er es hörte, nur grimmig belustigen können.

Als er zu seinen ältesten und engsten Mitarbeitern in die Bibliothek zurückkehrte, sahen ihm die drei ernst entgegen.

»Was habt ihr denn? Warum schaut ihr mich so ernst an?« fragte Jakob.

»Wir haben gerade darüber gesprochen, wie sehr du dich verändert hast«, antwortete Fertighaus-Jaschke.

»Ich mich verändert? Lächerlich!«

»Leider gar nicht lächerlich«, sagte Wenzel Prill. Er sah elend aus vor Überarbeitung – neben seiner Tätigkeit als Leiter aller Rechtsabteilungen von Jakobs Betrieben und als unermüdlicher Jäger von Rothaarigen studierte der nunmehr zweiundvierzigjährige noch immer Jus an der Frankfurter Universität. Mit fünfzig, zweiundfünfzig Jahren konnte er hoffen, seinen Doktor zu machen. So spät erst, weil er sein Studium natürlich dauernd unterbrechen mußte. »Leider gar nicht lächerlich, Jakob«, wiederholte Wenzel beklommen. »Und wie du dich verändert hast! Du merkst es nicht. Wir merken es wohl. Und viele andere Leute leider auch. Okay, okay, wir werden dir natürlich weiter mit allen unseren Kräften zur Verfügung stehen, wenn du jetzt auch bereits wahnsinnig, ja lebensgefährlich übertreibst!«