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»Lass sie los!«, grollte eine tiefe Stimme von der Tür.

Vittoria konnte den Sprecher nicht sehen, doch sie kannte die Stimme. Robert! Er lebt!

Der Assassine sah aus, als wäre er einem Geist begegnet. »Du musst einen Schutzengel haben, Amerikaner.«

Kapitel 108.

Langdon brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um seine Umgebung in sich aufzunehmen, und er sah, dass er sich an einem geweihten Ort befand. Die Ausstattung des länglichen Raums war zwar alt und verblasst, doch voller bekannter Symbolologie. Pentagrammfliesen. Planetenfresken. Tauben. Pyramiden.

Die Kirche der Erleuchtung. Einfach und rein. Langdon war am Ziel.

Direkt vor ihm, eingerahmt von der Tür, die auf den Balkon hinausführte, stand der Assassine. Er hatte das Hemd ausgezogen und sich über Vittoria gebeugt, die zwar gefesselt war, doch am Leben und unverletzt, wie es schien. Langdon spürte eine Woge der Erleichterung, als er sie sah. Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke, aus denen Dankbarkeit, Verzweiflung und Bedauern sprachen.

»Also begegnen wir uns wieder«, sagte der Assassine. Er bemerkte die Eisenstange in Langdons Hand und lachte auf. »Und diesmal willst du mit diesem Ding auf mich losgehen, Amerikaner?«

»Binden Sie sie los.«

Der Assassine setzte das Messer an Vittorias Kehle. »Ich werde sie töten.«

Langdon zweifelte keinen Augenblick daran, dass der Assassine dazu fähig war. Er zwang sich zu einer ruhigen Antwort. »Ich schätze, sie würde den Tod vorziehen. wenn man die Alternative bedenkt.«

Der Assassine lächelte über die Beleidigung. »Du hast Recht, Amerikaner. Sie hat viel zu bieten. Es wäre eine Verschwendung.«

Langdon trat vor. Er hielt die Eisenstange mit beiden Händen und zielte mit dem spitzen Ende auf den Assassinen. Der Schnitt an seiner Hand schmerzte wieder. »Lassen Sie sie los.«

Der Assassine schien einen Augenblick lang unschlüssig. Er atmete aus und ließ die Schultern sinken - eine eindeutige Geste der Resignation -, und doch beschleunigte sein Arm genau in diesem Augenblick. Eine dunkle, verschwommene Bewegung, und die Klinge surrte durch die Luft auf Langdon zu.

Robert wusste nicht, ob es Instinkt oder Erschöpfung war, doch seine Knie gaben genau in diesem Augenblick nach. Das Messer segelte an seinem linken Ohr vorbei und fiel hinter ihm klappernd zu Boden. Der Assassine schien ungerührt. Er grinste Langdon an, der nun auf den Knien war und immer noch die Eisenstange hielt. Der Mörder bewegte sich von Vittoria weg und auf Langdon zu wie ein Löwe, der seine Beute beschleicht.

Langdon sprang auf und hob die Stange. Seine nassen Sachen fühlten sich mit einem Mal schwer und hinderlich an. Der Assassine war nur halb bekleidet und bewegte sich viel schneller. Die Wunde an seinem Fuß behinderte ihn nicht im Geringsten. Offensichtlich war er an Schmerz gewöhnt. Zum ersten Mal im Leben wünschte sich Langdon, er würde eine sehr große Pistole halten.

Der Assassine umkreiste ihn langsam, als hätte er Vergnügen bei diesem tödlichen Spiel. Er hielt sich stets knapp außer Reichweite, während er sich auf das am Boden liegende Messer zubewegte. Langdon schnitt ihm den Weg ab. Der Mörder wechselte die Richtung und näherte sich Vittoria. Langdon schnitt ihm erneut den Weg ab.

»Noch ist Zeit«, sagte Langdon. »Verraten Sie mir, wo der Behälter ist. Der Vatikan wird Ihnen mehr zahlen, als die Illuminati jemals könnten.«

»Du bist naiv, Amerikaner.«

Langdon stieß mit der Stange nach dem anderen. Der

Assassine wich aus. Langdon bewegte sich um eine Bank herum und versuchte, den Assassinen in eine Ecke zu drängen. Der verdammte Raum hat keine Ecken! Merkwürdig, dass der Assassine nicht daran interessiert schien, Langdon anzugreifen oder zu flüchten. Er spielte ein Spiel. Langdons Spiel. Kühl und abwartend.

Auf was wartet er? Der Mörder umkreiste Langdon, ein Meister im Stellungsspiel. Es war wie eine endlose Schachpartie. Die Waffe in Langdons Hand wurde schwer, und mit einem Mal glaubte er zu wissen, worauf der andere wartete. Er will, dass ich müde werde! Und es funktionierte. Langdon wurde von einer Welle der Erschöpfung erfasst; das Adrenalin in seinem Blut reichte nicht mehr, um ihn wach zu halten. Er musste handeln, und zwar bald.

Der Assassine schien Langdons Gedanken zu lesen. Er veränderte seine Position erneut, als wollte er Langdon zu einem Tisch in der Mitte des Raums locken. Aus den Augenwinkeln bemerkte Langdon im Fackelschein ein Glitzern. Eine Waffe? Langdon ließ den Assassinen nicht aus den Augen und bewegte sich näher zum Tisch. Als der Assassine einen langen, harmlosen Blick auf den Tisch warf, konnte Langdon dem Verlangen nicht widerstehen - er folgte dem Blick des anderen.

Es war keine Waffe. Der Anblick ließ Langdon für einen Sekundenbruchteil erstarren.

Auf dem Tisch lag eine Bronzeschatulle, bedeckt von antiker Patina. Sie war fünfeckig. Der Deckel war aufgeklappt. In der Schatulle, in fünf samtgepolsterten Fächern, lagen fünf Brandeisen. Große, geschmiedete Werkzeuge mit langen hölzernen Griffen. Langdon wusste sofort, was er dort sah.

ILLUMINATI, EARTH, AIR, FIRE, WATER. Erde, Luft, Feuer und Wasser. Die vier Elemente der Wissenschaft.

Langdon riss sich von dem Anblick los; er fürchtete, der Assassine könnte den Moment der Ablenkung zum Angriff nutzen. Er tat es nicht. Der Mörder wartete ab, als bereitete das Spiel ihm Freude. Langdon versuchte sich zu konzentrieren und den Blickkontakt mit seinem Gegner wiederherzustellen. Er stieß mit der Stange nach ihm. Doch das Bild der Schatulle war in seinem Kopf. Obwohl die Brandzeichen für sich genommen faszinierend waren - Artefakte, von denen nur wenige Illuminati-Forscher glaubten, dass sie überhaupt existiert hatten -, wurde Langdon plötzlich bewusst, dass die Schachtel noch mehr enthalten hatte, etwas, das eine dunkle Vorahnung in ihm aufsteigen ließ. Der Assassine bewegte sich erneut, und Langdon riskierte einen weiteren hastigen Blick auf die Schatulle.

Mein Gott!

Die fünf Brandzeichen ruhten in Vertiefungen entlang dem äußeren Rand der Schatulle. Doch im Zentrum befand sich eine weitere Vertiefung, und sie war leer. Und sie war zur Aufnahme eines weiteren Brandzeichens gedacht. eines Brandzeichens, das um einiges größer war als die übrigen und eine vollkommen quadratische Form besaß.

Der Angriff kam so schnell, dass Langdon nur eine verschwommene Bewegung wahrnahm.

Wie ein Raubvogel stürzte der Assassine sich auf ihn. Langdon versuchte zu kontern, doch die Eisenstange in seiner Hand schien Tonnen zu wiegen. Seine Reaktion kam viel zu langsam. Der Assassine wich aus. Langdon versuchte die Stange zurückzuziehen, doch der Assassine sprang vor und packte sie. Er besaß gewaltige Kraft, und seine Verletzung schien ihn nicht zu behindern. Die Männer kämpften um die Stange - und Langdon unterlag. Die Stange wurde ihm aus den Händen gerissen, und brennender Schmerz zuckte durch seine Schnittwunde. Sekundenbruchteile später starrte Langdon auf das gezackte Ende der Stange. Aus dem Jäger war der Gejagte geworden.

Langdon fühlte sich wie von einem Zyklon getroffen. Der Assassine umkreiste ihn lächelnd, drängte Langdon an die Wand und näherte sich zum entscheidenden Schlag.

Langdons Blick war verschwommen. Er verfluchte seine Sorglosigkeit, war aber noch immer fassungslos. Ein sechstes Illuminati-Brandzeichen! Er sprudelte hervor: »Ich habe nie etwas von einem sechsten Brandzeichen gelesen!«

»Das denke ich doch, Amerikaner.« Der Mörder kicherte, während er Langdon vor sich her an der ovalen Wand entlang trieb.

Langdon wusste nicht, wovon der andere sprach. Er wusste genau, dass er sich erinnert hätte. Es gab fünf Brandzeichen, nicht mehr. Er wich zurück und suchte den Raum nach irgendetwas ab, das er als Waffe benutzen konnte.