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Menschenmassen herüber. Alles schaute zu ihnen herüber, gestikulierte und rief. Der Lärm schwoll an. Auf dem riesigen Platz herrschte beinahe Volksfeststimmung.

Langdon blickte Vittoria verblüfft an. »Was, zum Teufel.?«

Am Himmel ertönte ein lautes Pochen.

Ohne Vorwarnung tauchte der päpstliche Helikopter hinter dem massiven Bauwerk auf. Er donnerte in weniger als zwanzig Metern Höhe über sie hinweg und hielt geradewegs auf die Vatikanstadt zu. Die Engelsburg erzitterte unter den Rotorschlägen, als der Helikopter im Licht der Scheinwerfer über sie hinwegflog. Die Flutlichter folgten der Maschine, und Sekunden später standen Langdon und Vittoria wieder im Dunkeln.

Während die Maschine über dem Petersplatz langsamer wurde und schließlich auf der freien Fläche zwischen dem Dom und der Menschenmenge niederging, regte sich in Vittoria das ungute Gefühl, dass sie zu spät kamen. Der Helikopter landete direkt vor der Treppe der gewaltigen Kirche.

»So kann man natürlich auch an den Massen vorbei«, sagte Vittoria. Sie sah, wie ein auf die Entfernung hin winziger Mann aus dem Schatten trat und zum Hubschrauber ging. Nur an dem roten Barett auf dem Kopf erkannte sie, dass es ein Offizier der Schweizergarde war. »Ein roter Teppich für den Neuankömmling. Das ist Hauptmann Rocher.«

Langdon hämmerte mit der Faust auf die Balustrade. »Jemand muss sie warnen!« Er wandte sich zum Gehen.

Vittoria hielt ihn am Arm fest. »Warten Sie!« Sie hatte gerade noch etwas anderes gesehen - und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Mit zitterndem Finger deutete sie in Richtung des Helikopters. Selbst auf diese Entfernung war kein Zweifel möglich. Eine zweite Gestalt kam aus dem Hubschrauber. eine Gestalt, die sich auf so charakteristische Weise bewegte, dass es nur ein Mann sein konnte. Und obwohl die Gestalt saß,

überquerte sie die freie Fläche schnell und mühelos. Ein König auf einem elektrischen Thron. Maximilian Kohler.

Kapitel 111.

Hauptmann Rocher führte den Generaldirektor von CERN über eine spiralförmig verlaufende Behindertenrampe hinauf in den apostolischen Palast. Die Pracht der großen Halle des Belvedere machte Kohler ganz krank. Allein das Blattgold in der Decke hätte wahrscheinlich ausgereicht, um ein ganzes Jahr lang Krebsforschung zu betreiben.

»Gibt es keinen Aufzug?«, fragte Kohler.

»Wir haben keinen Strom.« Rocher deutete auf die Kerzen an den Wänden, die einzige Lichtquelle in dem dunklen Gebäude. »Wegen der Suche nach dem Antimateriebehälter, verstehen Sie?«

»Eine Suche, die ohne jeden Zweifel ergebnislos verlaufen ist.«

Rocher nickte.

Kohler erlitt einen weiteren Hustenanfall. Er wusste, dass es vielleicht einer seiner letzten war - kein gänzlich unwillkommener Gedanke.

Sie erreichten das obere Stockwerk und eilten durch den weiten Korridor in Richtung des päpstlichen Amtszimmers. Vier Schweizergardisten kamen ihnen besorgt entgegen. »Herr Hauptmann, was machen Sie hier? Ich dachte, dieser Mann besäße Informationen, die.«

»Er will nur mit dem Camerlengo sprechen.«

Die Wachen schauten einander misstrauisch an.

»Sagen Sie dem Camerlengo«, befahl Rocher energisch, »dass Maximilian Kohler eingetroffen ist, der Generaldirektor von CERN, und ihn sehen möchte. Augenblicklich!«

»Jawohl, Herr Hauptmann.« Einer der Gardisten eilte in

Richtung des Amtszimmers davon. Die anderen vertraten ihnen den Weg. Sie blickten Rocher nervös an. »Nur einen Augenblick, Herr Hauptmann. Wir wollen Ihren Gast ankündigen.«

Doch Kohler dachte überhaupt nicht daran anzuhalten. Er kurvte geschickt um einen der Gardisten herum und rollte weiter.

Die Schweizergardisten wirbelten herum und rannten hinter ihm her. »Fermati! Signore! Bleiben Sie stehen, auf der Stelle!«

Kohler empfand Verachtung für sie - nicht einmal die elitärste Sicherheitsmacht der Erde war immun gegen das Mitleid, das jeder Mensch für Krüppel empfand. Wäre Kohler gesund gewesen, hätten sie sich längst auf ihn gestürzt. Krüppel sind schwach und hilflos, dachte Kohler. Zumindest glaubt das jeder.

Kohler wusste, dass er nur wenig Zeit hatte, um zu erreichen, weshalb er hergekommen war. Er wusste auch, dass er möglicherweise in dieser Nacht sterben würde. Eigenartig, wie wenig es ihn kümmerte. Der Tod war ein Preis, den er zu zahlen bereit war. Zu viel hatte er in seinem Leben ertragen, um zuzulassen, dass jemand wie der Camerlengo Carlo Ventresca seine Arbeit vernichtete.

»Signore!«, riefen die Wachen. Sie rannten an ihm vorbei und versperrten ihm erneut den Weg. »Bleiben Sie stehen!« Einer der Gardisten zog eine Waffe und richtete sie auf Kohler.

Der Generaldirektor hielt.

Rocher eilte hinzu. Er wirkte zerknirscht. »Herr Kohler, bitte. Es dauert nur einen Augenblick. Niemand betritt unangekündigt das Amtszimmer des Papstes.«

In Rochers Augen sah Kohler, dass ihm keine andere Wahl blieb, als zu warten. Na schön, dachte er. Dann warten wir eben.

Die Gardisten hatten - grausame Ironie - Kohler direkt neben einem mannshohen vergoldeten Spiegel an der Wand angehalten. Der Anblick seiner eigenen verkrüppelten Gestalt stieß ihn ab. Die alte Wut kehrte wieder und übermannte ihn. Jetzt war er mitten unter den Feinden! Dies hier waren die Menschen, die ihn seiner Würde beraubt hatten. Sie waren schuld. Wegen ihnen hatte er niemals die Berührung einer Frau erfahren. niemals hoch aufgerichtet stehen können, um einen Preis in Empfang zu nehmen. Welche Wahrheit besitzen diese Leute? Welche Beweise, verdammt! Ein Buch voller uralter Fabeln! Versprechungen von künftigen Wundern! Die Wissenschaft produziert täglich neue Wunder!

Kohler starrte in sein eigenes steinernes Gesicht. Heute Nacht wird mich die Religion umbringen, dachte er, aber es ist nicht das erste Mal.

Für einen Augenblick war er wieder elf Jahre alt und lag in der Frankfurter Villa seiner Eltern im Bett. Die Laken waren aus feinstem Leinen, doch sie waren schweißdurchnässt. Der kleine Max fühlte sich, als würde er brennen; der Schmerz war beinahe unerträglich. Neben seinem Bett knieten sein Vater und seine Mutter, bereits seit zwei Tagen, ohne Pause. Beide beteten.

Ein wenig abseits standen drei der besten Ärzte Frankfurts.

»Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken«, drängte einer der Ärzte. »Schauen Sie sich Ihren Jungen an! Sein Fieber steigt von Stunde zu Stunde! Er leidet unter schrecklichen Schmerzen. Und er könnte sterben!«

Doch Max kannte die Antwort seiner Mutter, bevor sie sprach. »Gott wird ihn beschützen.«

Ja, dachte Max. Gott wird mich beschützen. Die Überzeugung in den Worten seiner Mutter gab ihm Kraft. Gott wird mich beschützen.

Eine Stunde später fühlte sich Max, als würde sein Brustkorb von einem Tonnengewicht zerquetscht. Er konnte nicht einmal mehr tief genug einatmen, um zu schreien.

»Ihr Sohn leidet unter unsäglichen Schmerzen«, sagte ein anderer Arzt. »Lassen Sie mich wenigstens die Schmerzen lindern. Eine Spritze.«

»Ruhe bitte!«, brachte Max’ Vater den Arzt zum Schweigen, ohne die Augen zu öffnen. »Sie sehen doch, dass wir beten.«

»Vater, bitte!«, wollte Max schreien. »Sie sollen machen, dass der Schmerz weggeht!« Doch seine Worte gingen in einem Hustenanfall unter.

Eine Stunde später waren die Schmerzen noch schlimmer geworden.

»Ihr Sohn könnte für den Rest seines Lebens gelähmt bleiben!«, schimpfte einer der Ärzte. »Er könnte sterben! Wir besitzen Medikamente, die seine Krankheit heilen.«