versuchte zu begreifen. Geschieht das alles wirklich?
Camerlengo Carlo Ventresca stand hoch oben auf der Dachterrasse der Peterskirche und blickte hinunter auf die Menschen. War er wach oder träumte er? Er fühlte sich verwandelt, transformiert, wie in einer anderen Welt. Er fagte sich, ob dies sein Leib oder nur sein Geist war, der vom Himmel herabgeschwebt und in den sanften, grünen Vatikanischen Gärten gelandet war. hell wie ein Engel auf dem verlassenen Rasen, der schwarze Fallschirm unsichtbar hinter den gewaltigen Schatten der Basilika. Er fragte sich, ob es sein Körper oder sein Geist gewesen war, der die Kraft besessen hatte, die alte Scala della Medaillone zur Terrasse hinaufzusteigen, wo er nun stand.
Er fühlte sich leicht wie ein Geist.
Auch wenn die Menschen unten seinen Namen riefen, so wusste er doch, dass nicht er es war, dem sie zujubelten. Sie jubelten aus impulsiver Freude. der Freude, die der Camerlengo jeden Tag seines Lebens verspürt hatte, solange er den Herrn bei sich wusste. Sie spürten, wonach alle sich stets gesehnt hatten. die Existenz des Jenseits, die Materialisierung der Macht des Schöpfers.
Camerlengo Carlo Ventresca hatte sein Leben lang für diesen Augenblick gebetet, und doch konnte er sich noch immer nicht vorstellen, dass Gott einen Weg gefunden hatte, es geschehen zu lassen. Er wollte es ihnen entgegenschreien. Euer Gott ist ein lebendiger Gott! Seht nur die Wunder überall um euch herum!
Stattdessen stand er stumm und betäubt da, auch wenn er mehr empfand als je zuvor in seinem Leben. Als er sich schließlich regte, trat er von der Brüstung zurück und kniete nieder.
Allein, den Blicken der Menschen entzogen, begann er zu beten.
Kapitel 127.
Die Eindrücke waren verschwommen; sie kamen und gingen. Allmählich klärte sich Langdons Blick wieder. Seine Beine schmerzten, und sein Körper fühlte sich an, als wäre er von einem Lastwagen überfahren worden. Er lag auf der Seite am Boden. Es roch nach Erbrochenem. Noch immer hörte er das unablässige Plätschern des Wassers, doch es klang nicht mehr friedlich in seinen Ohren. Und er hörte noch andere Geräusche -Stimmen, Gespräche rings um ihn herum. Er sah verschwommene weiße Schatten. Benommen fragte sich Langdon, wo er sich befand. Dem Brennen in seiner Kehle nach zu urteilen, konnte es jedenfalls nicht der Himmel sein.
»Er erbricht sich nicht mehr«, sagte ein Mann auf Italienisch. »Dreht ihn wieder um.« Die Stimme klang fest und professionell.
Langdon spürte, wie Hände ihn ergriffen und auf den Rücken drehten. Er war benommen. Als er sich aufzusetzen versuchte, zwangen die Hände ihn sanft wieder zurück. Er ergab sich in sein Schicksal. Jemand durchsuchte seine Taschen und seine persönlichen Dinge.
Dann verlor er schlagartig das Bewusstsein.
Dr. Jacobus war kein religiöser Mann; die medizinische Forschung hatte ihn vor langer Zeit davon abgebracht. Und doch die Ereignisse in der Vatikanstadt in dieser Nacht hatten seinen nüchternen, logischen Verstand auf eine harte Probe gestellt. Fallen jetzt Körper vom Himmel?
Dr. Jacobus tastete nach dem Puls des durchnässten Mannes, den sie soeben aus dem Tiber gezogen hatten. Der Arzt gelangte zu der Ansicht, dass Gott persönlich diesen Mann gerettet haben musste. Beim Aufprall aufs Wasser war er bewusstlos
geworden, und wären nicht Dr. Jacobus und sein Team am Ufer gewesen, um das nächtliche Spektakel zu beobachten, wäre der Mann ohne Zweifel ertrunken.
»E Americano«, sagte eine Krankenschwester, während sie die Papiere durchblätterte, die sie aus der Jacke des Fremden gezogen hatte.
Amerikaner? Die Römer witzelten häufig, dass es genügend Amerikaner in Rom gab, um Hamburger zu einem typisch italienischen Gericht zu deklarieren. Aber Amerikaner, die vom Himmel fallen? Jacobus leuchtete mit einer Stablampe in die Augen des Mannes und überprüfte die Reflexe. »Signore? Können Sie mich hören? Wissen Sie, wo Sie sind?«
Der Mann hatte wieder das Bewusstsein verloren. Jacobus war nicht sonderlich überrascht. Der Fremde hatte eine Menge Wasser erbrochen, nachdem Jacobus die kardiopulmonale Reanimation durchgeführt hatte.
»Si chiama Robert Langdon!«, las die Krankenschwester den Namen des Fremden von dessen Führerschein.
Die anderen drehten sich erstaunt zu ihr um.
»Impossibile!«, rief Jacobus. Robert Langdon war der Amerikaner aus dem Fernsehen - der Harvard-Professor, der dem Vatikan geholfen hatte. Jacobus hatte Langdon erst ein paar Minuten zuvor gesehen, live, wie er auf dem Petersplatz in einen Helikopter gestiegen und kilometerhoch in den Himmel geflogen war. Jacobus und die anderen waren nach draußen und ans Ufer des Tiber gerannt, um die Antimaterie-Explosion zu beobachten - eine gewaltige Kugel aus Licht, ein Anblick, den sie ihr Leben lang nicht vergessen würden. Das kann unmöglich der gleiche Mann sein!
»Er ist es!«, rief die Krankenschwester und strich dem Bewusstlosen das nasse schwarze Haar aus der Stirn. »Außerdem erkenne ich sein Tweedjackett!«
Plötzlich schrie jemand vom Eingang des Hospitals - einer der weiblichen Patienten. Sie schrie, als würde sie den Verstand verlieren. Dann hielt sie ihr kleines Transistorradio in die Höhe und betete zu Gott. Wie es schien, war Camerlengo Carlo Ventresca auf wundersame Weise auf dem Dach des Petersdoms aufgetaucht.
Dr. Jacobus beschloss, auf direktem Weg in die Kirche zu gehen, sobald seine Schicht um acht Uhr am Morgen zu Ende war.
Die Lichter über Langdon leuchteten heller. Er lag auf einer Art Untersuchungstisch und roch Desinfektionsmittel - starke Chemikalien. Jemand hatte ihm eine Injektion gegeben, und man hatte ihm die Kleidung ausgezogen.
Das sind keine Engel, dachte er in seinem dämmrigen Delirium. Vielleicht Aliens? Ja, er hatte von solchen Dingen gehört. Gott sei Dank würden sie ihm nichts tun. Sie waren nur hinter seiner.
»Nur über meine Leiche!« Langdon setzte sich kerzengerade auf und öffnete die Augen.
»Attentat«, rief eine der Kreaturen und hielt ihn fest. Auf ihrem Kittel stand »Dr. Jacobus«. Sie sah bemerkenswert menschenähnlich aus.
»Ich. ich dachte.«, stammelte Langdon.
»Ganz ruhig, Mr. Langdon. Sie befinden sich in einem Krankenhaus.«
Der Nebel begann sich zu lichten. Langdon spürte eine Woge der Erleichterung. Er hasste Krankenhäuser, doch sie waren auf jeden Fall besser als Aliens, die seine Testikel abschnitten.
»Mein Name ist Dr. Jacobus«, stellte der Mann sich vor. Er erklärte, was sich zugetragen hatte. »Sie hatten großes Glück.«
Langdon war alles andere als glücklich. Seine Erinnerungen waren wirr. der Helikopter. der Camerlengo. Er hatte überall Schmerzen. Sie gaben ihm Wasser, und er spülte sich
den Mund aus. Sie verbanden seine Hand.
»Wo ist meine Kleidung?«, fragte Langdon, der nur einen Papierkittel trug.
Eine der Krankenschwestern deutete auf einen tropfnassen Haufen aus zerfetztem Khaki und Tweed auf einer Ablage. »Sie waren völlig durchnässt. Wir mussten Ihnen die Sachen vom Leib schneiden.«
Langdon betrachtete die Überreste seiner Harris-Tweedjacke und runzelte die Stirn.
»Sie hatten eine Art Kleenex in der Tasche«, sagte die Krankenschwester.
Das war der Augenblick, da Langdon die Pergamentfetzen erkannte, die an seiner Jacke klebten. Das Blatt aus Galileos Diagramma. Die letzte verbliebene Kopie auf Erden war soeben vernichtet worden. Er war zu betäubt, um zu reagieren. Sprachlos starrte er die Schwester an.