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Dann erst blickte er nach vorn zum Altar und sah Robert Langdon.

Kapitel 131.

Camerlengo Carlo Ventresca stand im Mittelgang der Sixtinischen Kapelle. Die Kardinale standen in den vordersten Reihen und starrten ihn an. Langdon stand oben beim Altar, neben ihm ein Fernsehgerät, auf dem eine Szene sich endlos wiederholte - eine Szene, an die sich der Camerlengo dunkel erinnerte, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie sie auf den Bildschirm kam. Vittoria Vetra stand neben Langdon und schaute unverwandt zu Boden.

Der Camerlengo schloss für einen Moment die Augen in der Hoffnung, dass er unter dem Einfluss des Morphiums halluzinierte und die Szene sich verändert hätte, wenn er die Augen wieder aufschlug. Doch so war es nicht.

Sie wussten Bescheid.

Merkwürdigerweise spürte der Camerlengo keine Furcht. Zeig mir den Weg, Vater. Gib mir die Worte, damit ich ihnen zeigen kann, was Du mir gezeigt hast.

Doch Gott antwortete nicht.

Vater, wir sind so weit gekommen, lass es nicht so enden!

Stille.

Sie verstehen nicht, was wir getan haben, Vater.

Der Camerlengo wusste nicht, welche Stimme nun in seinem Kopf erklang, doch die Botschaft war deutlich.

Die Wahrheit wird dich erlösen...

Und so geschah es, dass der Camerlengo Carlo Ventresca mit hoch erhobenem Haupt zum Altar der Sixtinischen Kapelle trat. Nicht einmal das Kerzenlicht konnte die steinernen Blicke erweichen, mit denen die Kardinale ihn musterten. Erkläre dich, sagten ihre Blicke. Bring einen Sinn in diesen Wahnsinn. Sag

uns, dass unsere Ängste unbegründet sind!

Die Wahrheit, sagte der Camerlengo zu sich selbst. Nichts als die Wahrheit. Diese Wände enthielten schon zu viele Geheimnisse. und eines davon war so dunkel, dass es ihn in den Wahnsinn getrieben hatte. Doch aus dem Wahnsinn kam das Licht!

»Wenn Sie Ihre Seele geben könnten, um Millionen zu retten«, begann der Camerlengo, während er zum Altar schritt, »würden Sie es tun?«

Die Gesichter in der Kapelle starrten ihn an. Niemand regte sich. Niemand sagte ein Wort. Draußen auf dem Platz war noch immer das freudige Singen der Menschen zu hören.

Der Camerlengo trat auf die Kardinale zu. »Welche Sünde ist größer? Den Feind zu töten oder untätig dabeizustehen, wenn die eine große Liebe erstickt wird.?« Sie singen auf dem Petersplatz! Der Camerlengo hielt inne und richtete den Blick nach oben, zur Decke der Sixtinischen Kapelle. Michelangelos Gott erwiderte seinen Blick aus dem dunklen Gewölbe - und es sah aus, als wäre Er zufrieden.

»Ich konnte nicht länger untätig dabeistehen«, sagte der Camerlengo. Er näherte sich noch weiter, sah jedoch keinen Funken von Verständnis in ihren Augen. Erkannten sie denn nicht die strahlende Reinheit seiner Taten? Erkannten sie denn nicht, wie notwendig sie gewesen waren?

Es war so einfach gewesen.

Die Illuminati. Wissenschaft und Satan in einer Person.

Erwecke die alte Furcht zu neuem Leben. Und dann vernichte sie.

Grauen und Hoffnung. Bring sie dazu, wieder zu glauben.

Heute Nacht hatten die Menschen die Macht der Illuminati zu spüren bekommen. und mit welch glorreicher Konsequenz! Die Apathie war wie weggewischt. Furcht hatte die Welt umrundet wie ein Blitz und die Menschen vereint. Und Gottes Herrlichkeit hatte die Dunkelheit ausgelöscht.

Ich konnte nicht untätig dabeistehen!

Die Inspiration war Gottes Werk gewesen - für den Camerlengo ein Leuchtfeuer in der Nacht des tiefsten Schmerzes. Oh, welch eine gottlose Welt! Jemand muss sie erlösen! Du. Wenn nicht du, wer dann? Du bist aus einem bestimmten Grund errettet worden. Zeig ihnen die alten Dämonen. Erinnere sie an ihre Furcht. Apathie bedeutet Tod. Ohne Dunkelheit gibt es kein Licht, und ohne das Böse nichts Gutes. Bring sie dazu, dass sie wählen. Licht oder Dunkel. Wo ist die Furcht, wo sind die Helden? Wenn nicht jetzt, wann denn?

Der Camerlengo ging auf die wartenden Kardinale zu. Er fühlte sich wie Moses, als das Meer roter Binden und Kappen sich vor ihm teilte. Oben beim Altar schaltete Robert Langdon den Fernseher aus, nahm Vittorias Hand und verließ den Altar. Dass Robert Langdon überlebt hatte, konnte nur Gottes Wille gewesen sein. Gott selbst hatte Langdon gerettet.

Aus welchem Grund, fragte sich der Camerlengo.

Die Stimme, die nun die Stille durchbrach, gehörte der einzigen Frau in der Sixtinischen Kapelle. »Sie haben meinen Vater ermordet?«, fragte sie und trat vor.

Der Camerlengo wandte sich zu Vittoria Vetra um. Er konnte den Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht recht deuten -Schmerz, ja, aber Wut? Sie musste doch verstehen, was ihn bewegt hatte. Das Genie ihres Vaters war tödlich. Er musste aufgehalten werden. Um der Menschheit willen.

»Er hat für Gott gearbeitet«, sagte Vittoria.

»Für Gott arbeitet man nicht in einem Labor, sondern mit dem Herzen.«

»Das Herz meines Vaters war rein! Und seine Forschungen

haben bewiesen.«

»Seine Forschungen haben wieder einmal bewiesen, dass das Wissen der Menschen schneller wächst, als ihre Seelen es verkraften!« Die Worte klangen schärfer, als der Camerlengo beabsichtigt hatte. Er senkte die Stimme. »Wenn ein Mann, der so gläubig war wie Ihr Vater, eine Waffe schaffen konnte, wie wir sie heute Nacht gesehen haben - was wird erst ein gewöhnlicher Mensch mit einer solchen Technologie anfangen?«

»Ein Mensch wie Sie?«

Der Camerlengo atmete tief durch. Verstand sie denn nicht? Die Moral der Menschen schritt längst nicht so rasch fort wie ihre Wissenschaft. Die Menschheit war geistig nicht reif genug, um die Macht zu beherrschen, über die sie schon heute verfügte. Wir haben noch nie eine Waffe erschaffen, die wir nicht auch benutzt hätten. Auch die Antimaterie war nur eine weitere Waffe in den bereits übervollen Arsenalen. Die Menschheit wusste längst, wie man zerstörte. Sie hatte das Töten vor langer, langer Zeit gelernt. Einmal mehr war der Camerlengo ein kleiner Junge, und das Blut seiner Mutter regnete auf ihn herab. Leonardo Vetras Genius war noch aus einem weiteren Grund gefährlich gewesen.

»Jahrhundertelang«, sagte der Camerlengo, »hat die Kirche zurückgesteckt, während die Wissenschaft Stück für Stück die Religion zerpflückte. Sie hat Wunder enträtselt und den Verstand dazu ausgebildet, das Herz zu überstimmen. Sie hat die Religion als Opium für das Volk verdammt und Gott als Halluzination - eine Krücke aus Illusionen für diejenigen, die zu schwach waren, um die Bedeutungslosigkeit des Lebens zu akzeptieren. Ich konnte nicht tatenlos mit ansehen, wie die Wissenschaft vorgab, die Macht Gottes zu zähmen! Beweise, sagen Sie? Ja, aber Beweise für die Ignoranz der Wissenschaft! Was ist falsch daran zuzugeben, dass etwas außerhalb unseres Verstandes existiert? Der Tag, an dem die Wissenschaft Gott in einem ihrer Laboratorien erstehen lässt, ist der Tag, an dem die Menschen keine Religion mehr brauchen!«

»Sie meinen, es ist der Tag, an dem sie keine Kirche mehr brauchen«, entgegnete Vittoria herausfordernd, während sie sich auf ihn zu bewegte. »Zweifel ist das letzte bisschen Kontrolle, das Sie über die Menschen haben. Der Zweifel ist es, der die Seelen zu Ihnen in die Kirche bringt. Unser Wunsch zu wissen, dass unser Leben eine Bedeutung hat. Die Unsicherheit der Menschen und ihre Sehnsucht nach jemandem, der ihnen versichert, dass alles rings um sie herum Teil eines großartigen Plans ist. Aber die Kirche ist nicht die einzige erleuchtete Macht auf diesem Planeten. Wir alle suchen nach Gott, wenn auch auf verschiedenen Wegen. Wovor fürchten Sie sich so sehr? Dass Gott sich an einem anderen Ort als hinter diesen Mauern hier zeigen könnte? Dass die Menschen ihn auf ihre Weise finden und Ihre antiquierten Rituale hinter sich lassen könnten? Religionen entwickeln sich. Der Verstand findet Antworten, und in den Herzen reifen neue Wahrheiten! Mein Vater hat in Ihre