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Es konnte gar nicht anders enden.

Oh, welches Entsetzen hatte er in der Sixtinischen Kapelle gespürt, als er sich fragte, ob Gott ihn verlassen hatte. Oh, welche Taten er ihm auferlegt hatte! Der Camerlengo war auf die Knie gesunken, von Zweifeln gepeinigt, und hatte sich nach der Stimme Gottes gesehnt, doch er hatte nur Schweigen geerntet. Er hatte um ein Zeichen gefleht. Um Führung. Rat. War das hier Gottes Wille? Die Kirche vernichtet, durch einen Skandal, durch Abscheulichkeit? Nein! Gott allein war es gewesen, der den Camerlengo zu seinen Taten veranlasst hatte. Oder nicht?

Dann hatte er es gesehen. Auf dem Altar. Das Zeichen. Etwas Gewöhnliches in einem ungewöhnlichen Licht. Das Kruzifix. Schlicht, aus Holz. Jesus am Kreuz. In diesem Augenblick war ihm alles klar geworden. der Camerlengo war nicht allein. Er würde niemals alleine sein.

Es war Sein Wille. Sein Plan.

Gott hatte stets große Opfer von denen verlangt, die er am meisten liebte. Warum hatte der Camerlengo so lange gebraucht, um zu verstehen? War er zu verzagt? Zu demütig? Es spielte keine Rolle. Gott hatte einen Weg gefunden. Jetzt verstand der Camerlengo sogar, wieso Gott Robert Langdon gerettet hatte. Um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Um dieses Ende zu erzwingen.

Es war der einzige Weg zur Erlösung der Kirche!

Der Camerlengo fühlte sich in einem Schwebezustand, als er die Treppe hinunter in die Vertiefung stieg, in der die goldene Truhe mit den Pallien aufbewahrt wurde. Das Morphium wirkte nun vollends, doch der Camerlengo wusste, dass Gott ihn führte.

In der Ferne hörte er die Kardinale heftig diskutieren, während sie aus der Sixtinischen Kapelle strömten. Einige riefen den Schweizergardisten Befehle zu.

Sie würden ihn nicht finden. Nicht rechtzeitig.

Der Camerlengo fühlte sich angezogen. schneller und schneller stieg er die Stufen hinunter in die Vertiefung, wo die neunundneunzig Öllampen ihr goldenes Licht verströmten. Gott führte ihn auf heiligen Boden zurück. Der Camerlengo bewegte sich auf das Gitter zu, das den Schacht hinunter zur Nekropole bedeckte. Die Nekropole war der Ort, an dem diese Nacht endete. In der heiligen Dunkelheit tief unten. Er nahm eine Öllampe und wollte in den Schacht steigen.

Doch als er sich durch die Vertiefung bewegte, zögerte er unvermittelt. Irgendwie fühlte es sich falsch an. Wie sollte dies Gottes Zwecken dienen? Ein einsames, stilles Ende? Jesus hatte vor den Augen der ganzen Welt gelitten. Das hier konnte nicht Gottes Wille sein! Der Camerlengo lauschte nach der Stimme seines Herrn, doch er hörte nur das Rauschen der Drogen.

» Carlo.« Die Stimme seiner Mutter.» Gott hat Pläne mit dir.«

Verwirrt bewegte der Camerlengo sich weiter.

Dann, ohne Vorwarnung, war Gott bei ihm.

Der Camerlengo erstarrte. Das Licht der neunundneunzig Öllampen warf seinen Schatten an die Marmorwand neben ihm. Riesig und furchtbar. Eine undeutliche Gestalt, umgeben von goldenem Licht. Mit den ringsum flackernden Flammen sah der Camerlengo wie ein Engel aus, der im Begriff war, in den Himmel aufzusteigen. Einen Augenblick stand er da, breitete die Arme aus, betrachtete seinen Schatten. Dann wandte er sich ab, schaute zurück zur Treppe.

Gottes Wille war klar.

Drei chaotische Minuten waren draußen in der Halle vor der Sixtinischen Kapelle vergangen, und noch immer hatte niemand den Camerlengo gefunden. Es schien, als wäre er von der Nacht verschluckt worden. Mortati war beinahe schon so weit, den ganzen Vatikan nach ihm absuchen zu lassen, als draußen auf dem Petersplatz plötzlich donnernder Jubel ertönte. Die spontane Freude der Massen war unglaublich. Die Kardinale wechselten verwirrte Blicke.

Mortati schloss die Augen. »Gott sei uns gnädig.«

Zum zweiten Mal in dieser Nacht strömte das Kollegium der Kardinale hinaus auf den Petersplatz. Langdon und Vittoria wurden von der drängenden Menge der Kardinale aufgenommen und folgten ihnen in die nächtliche Kühle. Die Scheinwerfer der Medien und die Kameras waren nach oben gerichtet, auf die

Fassade der Basilika. Und dort, auf dem päpstlichen Balkon genau in der Mitte der gewaltigen Fassade, stand Camerlengo Carlo Ventresca, die Arme zum Himmel ausgestreckt. Selbst aus großer Entfernung sah er aus wie die wieder geborene Reinheit. Eine Figurine. Gekleidet in Weiß. Angestrahlt von Licht.

Die Energie auf dem Platz schien anzuschwellen wie eine sich auftürmende Woge, und mit einem Mal gab die Barriere aus Schweizergardisten nach. In einem gewaltigen euphorischen Strom drängten die Massen auf die Basilika zu. Menschen schrien, sangen, Kameras blitzten. Götterdämmerung. Das Chaos nahm stetig zu, und nichts auf der Welt schien es aufhalten zu können.

Dann wurde es doch aufgehalten.

Hoch oben auf dem Balkon machte der Camerlengo eine winzige Bewegung. Er faltete die Hände vor der Brust. Dann senkte er den Kopf in stillem Gebet.

Und einer nach dem anderen folgten die ungezählten Menschen auf dem Platz seinem Beispiel.

Stille kehrte ein, als wären alle verzaubert worden.

Die Gedanken des Camerlengos waren fern und wirr, und seine Gebete ein Chaos aus Hoffnung und Angst. vergib mir, Vater... Mutter... voll der Gnade...du bist die Kirche... mögest du dieses Opfer deines eingeborenen Sohnes erkennen...

O Herr Jesus... errette uns aus den Feuern der Hölle... nimm unsere Seelen zu dir in den Himmel, besonders die, die deiner Gnade am dringendsten bedürfen...

Der Camerlengo öffnete die Augen nicht. Er sah nicht die Massen unten auf dem Platz oder die Fernsehkameras, bemerkte nicht, dass die ganze Welt zuschaute. Doch er wusste es trotzdem, er spürte es in seiner Seele. Selbst in seinem Schmerz war die Einheit dieses Augenblicks berauschend. Es war, als hätte sich ein verbindendes Netz über die ganze Welt gelegt, ausgehend von diesem Ort. Vor Millionen Fernsehern betete die

Welt wie eine einzige Person; die Menschen streckten die Arme nach Gott aus und beteten in Dutzenden verschiedener Sprachen zu ihm, in Hunderten von Nationen. Die geflüsterten Worte waren neugeboren und doch vertraut wie ihre eigenen Stimmen. uralte Wahrheiten. eingeprägt in die Seelen.

Die Harmonie war himmlisch.

Das Schweigen endete, und die freudigen Gesänge begannen erneut.

Der Camerlengo wusste, dass der Augenblick gekommen war.

Heilige Dreifaltigkeit, ich biete dir meinen Leib, mein Blut und meine Seele... als Buße für die Freveltaten, Gräuel und Sünden...

Der Camerlengo spürte bereits, wie der Schmerz einsetzte. Er breitete sich über seine Haut aus wie eine Seuche, und er wollte an seinem Fleisch reißen wie vor Wochen, als Gott zum ersten Mal zu ihm gekommen war. Vergiss nie, welchen Schmerz Jesus erdulden musste. Der Duft der ätherischen Öle stieg ihm in die Nase. Nicht einmal das Morphium konnte den beißenden Geruch überdecken.

Mein Werk ist vollbracht.

Das Grauen war sein. Die Hoffnung gehörte ihnen.

In der Vertiefung der Basilika, beim Schrein mit den Pallien, war der Camerlengo Gottes Willen gefolgt und hatte seinen Leib geölt. Sein Haar. Sein Gesicht. Sein leinenes Gewand. Sein Fleisch. Er war nun durchtränkt von den heiligen, klaren Ölen aus den Lampen. Sie rochen süß wie seine Mutter, doch sie brannten. Sein Ende würde gnadenvoll sein. Wunderbar und schnell. Und er würde keinen Skandal schaffen. sondern neue Kraft und ein neues Wunder.

Er schob die Hand in die Tasche seines Gewands und tastete nach dem kleinen goldenen Feuerzeug, das er aus dem incendiario mitgenommen hatte.

Er flüsterte einen Vers aus dem Buch der Richter. denn da die Lohe auffuhr vom Altar gen Himmel, fuhr der Engel des Herrn in der Lohe des Altars mit hinauf.