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»Wer sonst außer einem berühmten Künstler hätte den Einfluss gehabt, seine Kunstwerke in speziellen katholischen Kapellen überall in Rom aufzustellen und auf diese Weise den Weg der Erleuchtung zu kennzeichnen? Ein unbekannter Meister bestimmt nicht.«

Langdon dachte darüber nach. Er betrachtete die Pyramiden und fragte sich, ob vielleicht eine von ihnen der Wegweiser war. Oder beide? »Die Pyramiden weisen in entgegengesetzte Richtungen«, sagte er schließlich unentschlossen. »Sie sehen identisch aus. Ich kann nicht sagen, welche von ihnen.«

»Robert, ich glaube nicht, dass wir nach Pyramiden suchen.«

»Aber es sind doch die einzigen Skulpturen in dieser Kapelle!«

Vittoria unterbrach ihn mit einer Handbewegung und deutete zu Olivetti, der zusammen mit einigen seiner Leute neben dem Dämonenloch stand.

Langdon folgte der Richtung ihrer Hand bis zur gegenüberliegenden Wand. Zuerst bemerkte Langdon nichts Außergewöhnliches, doch dann bewegte sich einer der Männer, und er erhaschte einen Blick auf etwas Weißes. Weißer Marmor.

Ein Arm. Ein Torso. Ein Gesicht. Halb versteckt in einer Nische, Zwei lebensgroße menschliche Gestalten. Langdons Puls ging schneller. Er war so sehr von den Pyramiden und dem Dämonenloch gefangen gewesen, dass er die restlichen Kunstwerke der Kapelle noch gar nicht wirklich wahrgenommen hatte. Er ging durch den Raum. Als er vor der Skulptur stand, erkannte er, dass es tatsächlich eine Arbeit von Bernini sein musste - die Intensität der künstlerischen Komposition, die kunstvoll gestalteten Gesichter, die fließende Kleidung, alles aus dem reinsten weißen Marmor, den vatikanisches Geld hatte kaufen können. Erst als er direkt vor dem Werk stand, erkannte Langdon die Skulptur. Er starrte die beiden Gesichter offenen Mundes an.

»Wer sind sie?«, fragte Vittoria, die ihm gefolgt war.

»Habakuk und der Engel«, antwortete er fast unhörbar leise. Es war eine berühmte Arbeit Berninis, die in mehreren wichtigen Lehrwerken über Kunstgeschichte erwähnt wurde. Langdon hatte ganz vergessen, dass Berninis Skulptur in Santa Maria del Popolo stand.

»Habakuk?«

»Ja. Der Prophet, der den Untergang der Erde vorausgesagt hat.«

»Und Sie glauben, es könnte der Wegweiser sein?« Vittoria schaute ihn nervös an.

Langdon nickte voller Verwunderung. Nie im Leben war er sich seiner Sache so sicher gewesen. Dies war der erste Illuminati-Wegweiser. Ohne jeden Zweifel. Obwohl Langdon erwartet hatte, dass die Skulptur irgendwie zum nächsten Altar der Wissenschaft deutete, hätte er nicht geglaubt, dass diese Aussage wortwörtlich zu nehmen gewesen wäre. Sowohl Habakuk als auch der Engel deuteten mit ausgestreckten Armen an einen Punkt in der Ferne.

»Nicht besonders subtil, wie?« Langdon musste unwillkürlich

grinsen.

Vittoria schaute ihn aufgeregt und verwirrt zugleich an. »Sie zeigen irgendwohin, das sehe ich - aber sie widersprechen sich. Der Engel zeigt in die eine und der Prophet in die andere Richtung.«

Langdon kicherte. Vittoria hatte Recht. Die beiden Figuren zeigten in völlig unterschiedliche Richtungen. Doch er hatte das Problem bereits gelöst. Voll neuer Energie marschierte er in Richtung Ausgang.

»Wohin wollen Sie?«, rief Vittoria ihm hinterher.

»Nach draußen!« Langdon fühlte sich beschwingt, als er zur Tür eilte. »Ich muss wissen, in welche Richtungen die Gestalten zeigen.«

»Warten Sie! Wissen Sie denn überhaupt, welchem Finger Sie folgen müssen?«

»Das Poem!«, rief Langdon über die Schulter nach hinten. »Die letzte Zeile!«

»Was? Let angels guide you on your lofty quest?« Sie starrte nach oben zu dem ausgestreckten Arm des Engels und kniff die Augen zusammen. »Ich will verdammt sein!«

Kapitel 70.

Günther Glick und Chinita Macri saßen in ihrem BBC-Übertragungswagen im Schatten am anderen Ende der Piazza del Popolo. Sie waren kurz nach den vier schwarzen Alfa Romeos angekommen, gerade rechtzeitig, um einer ganzen Kette unfassbarer Ereignisse beizuwohnen. Chinita wusste immer noch nicht, was das alles zu bedeuten hatte, doch sie hatte eifrig gefilmt.

Bei ihrem Eintreffen hatten Chinita und Glick eine ganze Armee junger Männer aus den Alfa Romeos springen sehen. Sie hatten die Kirche umzingelt, einige von ihnen mit gezückten Waffen. Einer, der älteste, hatte eine Gruppe zum Vordereingang geführt. Die Männer hatten die Schlösser der Tür weggeschossen. Es war nichts zu hören gewesen; sie hatten Schalldämpfer benutzt. Dann waren sie in die Kirche gestürmt.

Chinita hatte vorgeschlagen, dass sie still sitzen und alles aus der Deckung heraus filmen sollten. Pistolen waren Pistolen, und vom Wagen aus konnten sie das Geschehen genauso gut mitverfolgen wie von der Piazza. Günther hatte nicht widersprochen.

Inzwischen rannten auf der anderen Seite weitere Männer in die Kirche. Andere kamen wieder heraus. Sie riefen einander etwas zu. Chinita filmte ein Team, das die Umgebung der Kirche absuchte. Alle bewegten sich mit militärischer Präzision, auch wenn sie zivile Kleidung trugen. »Was glaubst du, wer sie sind?«, fragte Chinita.

»Ich will verdammt sein, wenn ich das weiß!« Glick beobachtete das Geschehen mit gebannter Aufmerksamkeit. »Kriegst du alles aufs Band?«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

»Und?«, fragte Günther selbstgefällig. »Bist du immer noch der Meinung, dass wir zum Petersdom zurückkehren sollten?«

Chinita wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Offensichtlich ging dort drüben irgendetwas vor, doch sie war lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass es häufig sehr triviale Erklärungen für Dinge gab, die im ersten Augenblick sensationell aussahen. »Es könnte überhaupt nichts bedeuten«, entgegnete sie. »Vielleicht haben diese Leute den gleichen Tipp bekommen wie du und gehen nun der Sache nach. Vielleicht ist es falscher Alarm.«

Günther packte sie am Arm. »Da drüben! Los, film das!« Er deutete auf den Haupteingang der Kirche.

Chinita schwenkte hinüber. »Hoppla«, sagte sie und zoomte auf den Mann, der in diesem Augenblick aus der Kirche trat. »Wen haben wir denn da?«

»Wer ist der Typ?«

Sie zoomte ganz nah heran. »Den hab ich noch nie gesehen.« Sie betrachtete sein Gesicht und lächelte. »Aber ich hätte nichts dagegen, ihn wiederzusehen.«

Robert Langdon rannte die Treppe hinunter zur Mitte der Piazza. Es wurde nun wirklich dunkel. Die Frühlingssonne war hinter den westlichen Gebäuden versunken, und lange Schatten hüllten den Platz ein.

»Also schön, Bernini«, sagte er laut zu sich selbst. »Wohin zeigt dein Engel?«

Er wandte sich um und dachte über die Orientierung der Kirche nach, aus der er soeben gekommen war. Er stellte sich die Lage der Chigi-Kapelle im Innern vor und die Skulptur des Engels. Ohne Zögern wandte er sich genau nach Westen, dorthin, wo die Sonne versunken war. Die Zeit zerrann ihnen zwischen den Fingern.

Er starrte aus zusammengekniffenen Augen auf die Läden und

Wohnhäuser, die seine Sicht versperrten. »Dort irgendwo ist der nächste Wegweiser.«

Langdon zermarterte sich das Gehirn in dem Versuch, sich weitere Höhepunkte römischer Kunstgeschichte ins Gedächtnis zurückzurufen. Er war zwar ausgezeichnet mit Berninis Arbeiten vertraut, doch er wusste auch, dass Bernini viel zu fleißig gewesen war, als dass ein Nicht-Spezialist all seine Arbeiten hätte kennen können. Trotzdem - angesichts der relativen Bekanntheit des ersten Wegweisers - Habakuk und der Engel hoffte Langdon, dass der zweite Wegweiser ebenfalls zu den Werken gehörte, die er bereits kannte.

Erde, Luft, Feuer und Wasser, dachte er. Erde hatten sie bereits gefunden - in der Kapelle. Habakuk, der den Untergang der Erde vorhergesagt hatte.

Luft ist als Nächstes an der Reihe, zwang sich Langdon zu logischem Denken. Eine Bernini-Skulptur, die etwas mit Luft zu tun hat! Ihm wollte absolut nichts einfallen. Und doch spürte er sich von Energie beflügelt. Ich bin auf dem Weg der Erkenntnis. Er ist immer noch intakt, nach all den Jahrhunderten.