Выбрать главу

»Geh nicht zu weit!«, hatte seine Mutter ihn ermahnt.

Er hatte getan, als höre er sie nicht, und war in die Wälder gerannt.

Jetzt hatte er diese wundervolle Wiese entdeckt, und mitten auf der Wiese fand er einen Haufen Feldsteine, vielleicht die Fundamente eines alten Gehöfts. Er würde nicht dorthin gehen; dazu war er zu klug. Außerdem hatte etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen - ein leuchtender Frauenschuh, die seltenste und schönste Blume in ganz New Hampshire. Er hatte sie bisher nur auf Fotos in Büchern gesehen.

Aufgeregt wandte der Knabe sich der Blume zu. Er kniete nieder. Der Boden unter ihm fühlte sich weich und hohl an. Er erkannte, dass die Blume einen sehr fruchtbaren Fleck gefunden

hatte. Sie wuchs auf einem Stück verrottendem Holz...

Angestachelt von dem Gedanken, seine Beute mit zu den Ehern zu nehmen, griff der Knabe nach der Pflanze... die Finger reckten sich nach dem Stängel.

Er erreichte ihn nie.

Mit einem dumpfen Knacken gab die Erde unter ihm nach.

In den drei Sekunden betäubenden Entsetzens, während er fiel, wusste der Knabe, dass er sterben würde. Er fiel, rollte sich zusammen und bereitete sich auf den knochenbrechenden Aufprall vor. Als er kam, gab es keinen Schmerz. Nur Kälte.

Er prallte mit dem Gesicht zuerst aufs Wasser und versank in schwarzer Tiefe, während er orientierungslos umherwirbelte und gegen die steilen Wände stieß, die ihn von allen Seiten umhüllten. Irgendwie fand er instinktiv zur Oberfläche zurück.

Licht.

Ganz schwach, weit über ihm. Meilenweit über ihm, wie es schien.

Er zappelte im Wasser und tastete die Wände nach einem Halt ab, an den er sich klammern konnte, doch er fand nur glatten Stein. Er war durch eine alte Brunnenabdeckung gefallen. Er schrie um Hilfe, doch seine Schreie hallten unbeantwortet durch den engen Schacht. Er rief wieder und wieder. Über ihm wurde das Licht schwächer.

Die Nacht brach herein.

Die Zeit schien sich in der Dunkelheit zu verzerren. Taubheit trat ein, während er wassertretend in den Tiefen des Abgrunds verharrte, immer wieder um Hilfe rufend und schreiend. Visionen von einstürzenden Wänden quälten ihn, Mauern, die ihn lebendig begruben. Seine Arme schmerzten vor Erschöpfung. Ein paar Mal meinte er, Stimmen zu hören. Er schrie um Hilfe, doch seine eigene Stimme klang erstickt und kraftlos... wie in einem Traum.

Die Nacht dauerte an, und der Schacht schien tiefer zu werden. Die Wände rückten zusammen. Der Knabe kämpfte gegen sie, drückte sie von sich weg. Er war erschöpft und wollte aufgeben; zugleich spürte er, wie das Wasser ihn trug und seine brennende Angst kühlte, bis er taub war.

Als die Rettungsmannschaft eintraf, fand sie den Knaben fast bewusstlos. Er hatte mehr als fünf Stunden wassertretend im Schacht verbracht. Zwei Tage später stand im Boston Globe ein Artikel auf der ersten Seite mit der Schlagzeile:

DAS TAPFERE SCHWIMMERLEIN.

Kapitel 97.

Der Hashishin lächelte, als er den Lieferwagen in den gewaltigen Steinbau lenkte, der den Tiber überragte. Er trug seine Beute nach oben, weiter und immer weiter durch den spiralförmig verlaufenden Tunnel, und war dankbar, dass sie so schlank war.

Er traf vor der Tür ein.

Die Kirche der Erleuchtung, dachte er in diebischer Schadenfreude. Der alte Versammlungsraum der Illuminati. Wer hätte gedacht, dass die Kirche sich ausgerechnet hier verbirgt?

Drinnen legte er seine Beute auf einen Plüschdiwan. Er band ihr fachmännisch zuerst die Arme hinter dem Rücken zusammen; dann fesselte er ihr die Füße. Das, wonach er gierte, würde warten müssen, bis er seine letzte Aufgabe erfüllt hatte: Wasser.

Trotzdem blieb ihm noch ein wenig Zeit zum Schwelgen. Er kniete neben ihr nieder und fuhr mit der Hand über einen ihrer Schenkel. Die Haut fühlte sich glatt an. Höher hinauf. Seine dunklen Finger tasteten sich unter den Saum ihrer Shorts. Höher.

Er hielt inne. Geduld, sagte er sich trotz der wachsenden Erregung. Es gibt noch Arbeit, die du erledigen musst.

Er trat hinaus auf den steinernen Balkon der großen Kammer. Der Abendwind kühlte seine Leidenschaft langsam ab. Tief unter ihm toste der Tiber. Er hob die Augen und blickte zur Kuppel des Petersdoms, etwas weiter als einen Kilometer entfernt, nackt unter dem grellen Leuchten Hunderter Scheinwerfer, die Fernsehstationen aus aller Welt auf dem weiten Platz aufgestellt hatten.

»Deine letzte Stunde«, sagte er laut und dachte an die

Tausende von Muslimen, die während der Kreuzzüge abgeschlachtet worden waren. »Um Mitternacht wirst du deinem Gott gegenübertreten.«

Hinter ihm in der Kammer regte sich die Frau. Der Hashshin wandte sich um. Er überlegte, ob er sie aufwachen lassen sollte

- das Entsetzen in den Augen einer Frau war das beste aller Aphrodisiaka.

Doch er entschied sich dagegen. Besser, wenn sie bewusstlos blieb, während er weg war. Auch wenn sie gefesselt war und nicht entkommen konnte, wollte er nicht zurückkehren und sie erschöpft vorfinden vom Kampf gegen die Fesseln. Ich möchte, dass du dir deine Kraft aufsparst, für mich.

Er hob ihren Kopf an, schob seine Hand unter ihren Nacken und fand die hohle Stelle direkt unter der Schädelbasis, den Druckpunkt zwischen Meridian und Basis. Mit rücksichtsloser Kraft trieb er seinen Daumen in den weichen Knorpel und spürte, wie er nachgab. Die Frau erschlaffte augenblicklich. Zwanzig Minuten, dachte er. Sie würde den aufreizenden Abschluss für einen perfekten Tag bilden. Nachdem sie ihm zu Willen gewesen und dabei gestorben war, würde er auf den Balkon hinaustreten und das mitternächtliche Feuerwerk beim Vatikan beobachten.

Er ließ seine Beute bewusstlos auf dem Diwan zurück und ging hinunter zu einem unterirdischen Gewölbe, das von Fackeln erhellt wurde. Die letzte Aufgabe. Er trat zum Tisch und bewunderte die heiligen Metallformen, die dort für ihn zurückgelassen worden waren.

Wasser. Es war seine letzte.

Er nahm eine Fackel von der Wand, wie er es bereits dreimal zuvor getan hatte, und begann das Ende aufzuheizen. Als es weiß glühend war, ging er damit zu der Zelle.

Darin stand ein einzelner, schweigender Mann. Alt und allein.

»Kardinal Baggia«, zischte der Hashishin, »haben Sie Ihr

letztes Gebet gesprochen?«

Die Augen des Italieners zeigten keine Furcht. »Nur für deine Seele, mein Sohn.«

Kapitel 98.

Die sechs pompieri, die zu dem Feuer in der Kirche Santa Maria della Vittoria ausrückten, hatten den Brand rasch unter Kontrolle. Sie benutzten Halon; Wasser wäre billiger gewesen, doch der Dampf hätte die Fresken in der Kirche vernichtet, und der Vatikan zahlte beträchtliche Summen an die römischen Feuerwehren, damit sie bei Bränden in einem der zahlreichen vatikanischen Gebäude rasch und besonnen vorgingen.

Die pompieri erlebten bei ihrer Arbeit täglich menschliche Tragödien, doch die Hinrichtung in dieser Kirche. so etwas würde keiner von ihnen je vergessen. Zum Teil Kreuzigung, zum Teil Hängen, zum Teil Verbrennen auf dem Scheiterhaufen