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»Mitkommen«, befahl er mir. »Wohin?«, wagte ich zu fragen.

Da glomm ein tückisches Leuchten in seinen Augen auf. »Zur Streckbank«, antwortete er.

*

»Singt ein Ave Maria, Bruder Ranulf«, flüsterte mir der Folterknecht höhnisch zu, als ich mich mühsam aufrichtete und versuchte, mir das faulige Stroh aus der Kutte zu streichen. »Heute ist der Tag der Himmelfahrt der Mutter GOTTES.«

»Mariae Himmelfahrt?«, fragte ich entsetzt. So lange hatte ich schon im Kerker geschmachtet!

Dies war der Tag, an dem die »Kreuz der Trave« Paris verlassen sollte. Sollte ich GOTT lobpreisen, da Klara an diesem Tag jenem Unglücksort entkommen würde? Oder sollte mich Trauer übermannen, da ich sie nun nie wiedersehen würde?

Oh, wie grausam wurde mit mir gespielt! Kaum war ich aus meiner Zelle getaumelt, unbeholfen wie ein Kind, denn meine Gelenke waren steif und meine Glieder schwach, da erblickte ich mit in der ungewohnten Helligkeit blinzelnden Augen am gegenüberliegenden Ende des Ganges eine Gefangene, die in eine andere Zelle geleitet wurde.

Für einen Moment glaubte, ja hoffte ich geradezu, dass Satan meinen Sinnen einen bösen Streich gespielt hatte, doch in meinem tiefsten Innern wusste ich sofort, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Es war Klara Helmstede, die dort in eine Zelle geworfen wurde. Die Frau des Reeders hatte mich nicht gesehen. Ich stand wie betäubt, bis mich der Folterknecht mit einem groben Stoß vorantrieb. Klara im Kerker der Inquisition! Oh HERR, wie lässt DU andere für meine Sünden büßen! Jacquette, die mir vertraut hatte, hatte mit einem tödlichen Messerstich für ihre Rolle in diesem finsteren Drama bezahlt - und ich hatte sie nicht schützen können. Klara wartete nun in einem dunklen Verlies auf das Urteil der Inquisition - und ich war es, der sie auf jenen schrecklichen Weg gestoßen hatte. Dann erkannte ich die heimtückische Absicht hinter jenem kurzen Blick, der mir auf Klara Helmstede vergönnt gewesen war: Der Folterknecht hatte mir nicht zufällig mit Hohnworten klar gemacht, dass jener Tag Mariae Himmelfahrt war. Jemand hatte es ihm aufgetragen, jemand, der genau wusste, dass die »Kreuz der Trave« zu diesem Datum abfahren sollte. Dieser jemand hatte es so eingerichtet, dass ich Klara Helmstede erblicken, jedoch nicht mit ihr sprechen konnte. Eine neue Folter, ganz ohne Blutvergießen.

Zutiefst betrübt ließ ich mich vorwärtsstoßen. Was vermochte ich noch zu tun? In jenem Augenblick ahnte ich, dass ich Klara Helmstede, die mir das Paradies auf Erden geöffnet hatte, in diesem Leben niemals wiedersehen würde.

Ich wehrte mich nicht, als man mich in der Folterkammer auf die Streckbank warf und meine Arme und Beine in Fesseln legte. Noch waren die Stricke recht locker, ich konnte meine Glieder um eine Winzigkeit bewegen und ohne Anspannung atmen. Aus den Augenwinkeln erblickte ich den Bader Nicolas Garmel, der an einer Säule lehnte. Er sah müde und furchtsam aus und wirkte so, als würde er sich am liebsten in den kalten Stein der Säule drücken, um darin zu verschwinden.

Ich wollte ihn nicht gefährden, indem ich dem Folterknecht offenbarte, wie gut ich den Bader kannte. Also starrte ich nur kurz zu ihm hinüber, doch gab ich kein Zeichen der Begrüßung, noch irgendeinen Laut von mir. Auch er blieb stumm und wandte rasch sein Gesicht ab.

Da betrat der Mann die Folterkammer, dessen Anblick ich fürchtete und doch auch herbeigesehnt hatte, mein Verhängnis und meine Erlösung in einer Person: Meister Philippe de Touloubre, der oberste Inquisitor von Paris.

*

Philippe de Touloubre bedachte mich mit einem gütigen und zugleich mitleidigen Blick. »Bruder Ranulf, wie tut es meinem Herzen weh, dich so vor mir zu sehen«, hub er an.

Ich erwiderte nichts, sah jedoch, dass er keinen zweiten Mönch mitgebracht hatte. Niemand würde niederschreiben, was wir uns zu sagen hatten.

»Du hättest ein guter Inquisitor werden können«, fuhr Meister Philippe fort, »denn klug bist du und belesen. Neugierde treibt dich. Doch du bist zu schwach für das heilige Amt. Schwach vor allem im Fleisch. So bist du eine Schande für deinen Orden - und eine Gefahr für die Inquisition.«

»Klara Helmstede ist unschuldig!«, rief ich verzweifelt, denn ich fürchtete, dass er mir vor allem diese Sünde der Wollust vorhalten wollte. »Die Schuld liegt allein bei mir. Ich habe sie verführt.« Der Inquisitor lachte. »Als ob ich dir das glauben würde! Tunc Iesus ductus est in desertum ab Spiritu ut temptaretur a diabolo.« Dann hob er beschwichtigend die Hand.

»Sei unbesorgt um das Weib, das dich vom Pfad der Tugend abbrachte«, fuhr er dann fort und ich meinte, versteckten Spott in seiner Stimme zu vernehmen, obwohl seine Miene noch immer freundlich war und gütig.

»Klara Helmstede habe ich nur in den Kerker führen lassen, um ihren Willen zu brechen — was auch schon geschehen ist. Kein Folterknecht muss Hand an sie legen. Ihr sollte hier nur eindringlich gezeigt werden, dass die Inquisition um ihren Ehebruch weiß und dass wir gewillt sein könnten, ihr Vergehen fürchterlich zu strafen. Wir werden sie jedoch bald wieder freilassen. Mehr noch: Wir werden ihrem Gatten mit keinem Wort die schändliche Treulosigkeit seiner Frau verraten.

Sie wird kaum mehr als einige Stunden hier in diesem Kerker verweilen, sodass Richard Helmstede ihre Abwesenheit nicht einmal auffallen wird, denn zur gleichen Zeit haben wir wichtige Aufträge für ihn, die ihn auf der Kogge festhalten werden.

Seine eigene Gattin wird fortan das Auge der Inquisition sein. Sie wird uns von allen Dingen an Bord des Schiffes berichten, sie wird ihren Gatten und alle Seeleute getreulich beobachten. Klara Helmstede wird der Inquisition bis zum Ende ihrer irdischen Tage ergeben dienen — und damit einen Teil jener großen Schuld abtragen, die sie auf sich geladen hat, indem sie einen Mönch verführte.« Ich schloss ohnmächtig die Augen. Wie kalt waren die Gedanken des Inquisitors, wie präzise, wie erschreckend! Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass er Klara Helmstede vollkommen in seiner Gewalt hatte. Die Ketten, die er um sie geschmiedet hatte, mochten unsichtbar sein — doch waren sie unvergänglich und unzerstörbar. Meine Geliebte würde fortan sein Spitzel sein. Ebenso ergeben und vor Furcht zitternd wie der Bader Nicolas Garmel, der ehemalige Ketzer; ebenso aufmerksam und nach Belohnung heischend wie all die Krüppel und Bettler, die durch die Gassen von Paris schlichen. »Eigentlich wollten wir das Schiff schon losfahren lassen«, unterbrach Philippe de Touloubre meine Gedanken, »doch GOTT gefiel es, die ›Kreuz der Trave‹ noch einige Tage in Paris verweilen zu lassen.«

»Und dann wird sie hinaus auf den Atlantischen Ozean segeln«, sagte ich. »Zum Land der Periöken — wie sie es schon einmal getan hat.«

Philippe de Touloubre strich sich bedächtig über das Haupt und nickte. »Wie tut es meiner Seele weh, dass du nicht die Stärke eines Inquisitors hast«, murmelte er. »Ich hätte dich alles gelehrt, was es zu wissen gibt. Du hättest Inquisitor von Paris werden können und zugleich einer der größten Gelehrten unseres Ordens. Welcher Verlust für uns und für die Christenheit, dass du auf dem Scheiterhaufen enden musst.«

Ich versuchte, mich aufzurichten, so weit es die Fesseln erlaubten. Ich fürchtete mich. Doch GOTT ist mein Zeuge: Meine Angst vor den Flammen war nicht so groß wie meine Angst davor, in Unwissenheit zu sterben.

»Erweist mir, Meister Philippe, die Gnade und erzählt mir, warum ich sterben muss«, flehte ich.

Er blickte mich lange nachdenklich an, dann nickte er. »Selbst im Angesicht des Todes sehnst du dich nach Wissen«, sagte der Inquisitor. »Wohlan, du sollst alles erfahren.

Du hast sehr auf jene Worte geachtet, die Heinrich von Lübeck mit seinem Blut geschrieben hat. So wichtig der Hinweis auf die terra perioeci ist — eine andere Spur hast du darüber übersehen: das Geld.«