»Die Münzen, die Bruder Heinrich bei sich getragen hat«, murmelte ich schwach.
Der Inquisitor nickte. »Ja. Alte Münzen. Alle sind sie älter als vierzig Jahre. Sagt dir das immer noch nichts, selbst jetzt nicht?«
Ich dachte lange nach und plötzlich kam ich mir vor wie der größte Narr der Christenheit. Zugleich durchfuhr mich ein eisiger Schreck ob jenes verfluchten Namens. »Die Templer«, flüsterte ich.
»Ja, die Templer«, stimmte mir Meister Philippe zu. »Der große, mächtige und doch so sündige Ritterorden. Der Orden mit dem größten Schatz der Christenheit …«
»Heinrich von Lübeck trug Münzen aus dem Schatz der Templer bei sich?«, keuchte ich ungläubig.
Der Inquisitor sah mich mitleidig an. »Ein winziger Teil von jenem Gold und Silber«, sagte er und lächelte kalt.
»Es ist eine lange Geschichte«, fuhr er dann fort. Obwohl er sich bemühte, gleichmütig mit mir zu sprechen, konnte ich doch den Stolz aus seiner Stimme heraushören. Er sprach nicht nur, um mein quälendes Unwissen zu beenden. Er sprach auch, um in mir einen staunenden Zuhörer für eine Geschichte zu haben, die er vielleicht in dieser Form noch nie jemandem offenbart hatte denn GOTT. »Es ist nun einundvierzig Jahre her«, sagte Meister Philippe und seine Stimme wurde dabei so leise, dass ihn weder der Folterknecht noch der Bader verstehen konnten, »da ließ König Philipp der Schöne von Frankreich in einer einzigen Nacht alle Templer in seinem Reich in den Kerker werfen. Papst Clemens V. gab seinen Segen dazu. Sieben Jahre währte der Prozess gegen sie, sieben lange Jahre der Folter und der genauesten Befragung, in dieser Zeit waren Sünden fast ohne Zahl ans Tageslicht gekommen: Die Templer, die sich Streiter Christi nannten, beteten in Wahrheit den Satan in Gestalt einer riesigen schwarzen Katze an. Sie schändeten das Andenken Christi und das Kreuz. Sie betrieben Sodomie und hatten Verkehr mit Dämonen. Sie entboten ihrem Prior regelmäßig den ›Kuss der Schande‹, der so sündig ist, dass ich selbst dir, der du die Wollust gekostet hast, nicht verraten werde, was genau es damit auf sich hat. Und ihr in der ganzen Welt gerühmter Mut in der Schlacht, ja ihre Todesverachtung rührte nur von einem Geheimtrunk her, den sie aus der Asche verstorbener Mitbrüder und unehelicher Kinder zusammenrührten. Das zumindest gestanden die Templer.«
Philippe de Touloubre sah mich an und sinnierte. »Ich frage mich, ob ich all diese Dinge auch geglaubt hätte, wäre ich damals schon Inquisitor gewesen«, flüsterte er. »Doch war ich viel zu jung. Nun, da Seine Heiligkeit sie offensichtlich glaubte, müssen sie wahr gewesen sein, denn kann ein Papst in solchen Dingen irren?« Meister Philippe erwartete keine Antwort von mir — und ich war klug genug, ihm meine Meinung nicht kundzutun.
»Vor vierunddreißig Jahren dann«, fuhr er fort, »wurde Großmeister Jacques de Molay zusammen mit Sechsundsechzig weiteren Templern verbrannt. Es geschah vor der Kathedrale Notre-Dame, nur ein paar Schritt von der Stelle entfernt, an der Heinrich von Lübeck sein Leben aushauchte. Der Großmeister war einst der Freund des Königs gewesen und der Pate seiner Tochter. Nun, auf dem Scheiterhaufen, da die Flammen schon an ihm züngelten, rief er in letzter Todesnot: ›GOTT selbst wird mein Rächer sein!‹ Dann umhüllte ihn das Feuer und trug seine Seele von dannen — ob zum Himmel oder zur Hölle, das vermag kein Sterblicher zu sagen.«
»Der Fluch der Templer«, murmelte ich.
»Ja, in der Tat: der Fluch der Templer. Denn starben nicht Papst Clemens V. und König Philipp der Schöne noch vor Jahresfrist, wie de Molay es, schon brennend, geweissagt hatte? Fanden nicht auch alle drei Söhne des Königs, von denen ein jeder ihm auf den Thron folgte, den Tod? Sie waren verschieden jung an Jahren, der älteste starb mit nur dreiunddreißig Jahren, dem Alter unseres Heilandes, da er ans Kreuz geschlagen ward. Und obwohl die drei Söhne mit insgesamt sechs Frauen verheiratet gewesen waren, entspross doch keiner Ehe auch nur ein männlicher Erbe.«
Meister Philippe lächelte kalt. »Im Volk und selbst unter den Gelehrten in Paris wird dies als der Fluch der Templer gesehen — doch wir Inquisitoren wissen es besser …«
Ich blickte Philippe de Touloubre atemlos an, doch der erging sich in Gedanken und schien erst nach längerer Zeit wieder zurückzufinden zu unserem seltsamen Gespräch.
»Jacques de Molay, dessen Seele sich in jenem Augenblick vielleicht schon aus dem Körper löste und SEINES Reiches ansichtig wurde und deshalb klar war wie die keines anderen Menschen je zuvor, dieser Jacques de Molay hat GOTT als Rächer angerufen. Zwar hat ER all jene, welche die Templer verbrannten, zu sich gerufen, doch SEINE Pläne sind nicht so offensichtlich, dass sogar der gemeine Pöbel sie erkennt. Nein, sie sind versteckter, größer und schrecklicher in SEINEM Zorn.
Den legendären Schatz der Templer, all das Gold und Silber, das sie im Abendland und im Heiligen Land in einem Zeitraum von fast zwei Jahrhunderten zusammengerafft hatten, den fanden die Häscher des Königs nicht und auch nicht die Legaten des Papstes. Doch einigen Inquisitoren — allesamt Dominikaner aus Paris — wurde das Geheimnis offenbar. Sie waren die einzigen, die bei der Folterung eines unscheinbaren, ja nichtswürdigen Templers zugegen waren. Doch dieser Ritter, der Niedrigste des Ordens, hatte, wie sich herausstellte, die Kisten mit dem Gold und Silber im Temple zu Paris versteckt — und eines Nachts, nach langer Folter, verriet er das Versteck, bevor er verschied.
Einige Mitbrüder begaben sich noch in nämlicher Nacht zum Temple, folgten den Anweisungen, die der sterbende Templer hinterlassen hatte - und ein junger Mönch entdeckte hinter einer versteckten Pforte Münzen ohne Zahclass="underline" nicht eine Truhe, nicht eine Kammer, nein, einen ganzen Rittersaal voller Gold und Silber! Niemals zuvor hat irgendjemand dergleichen Reichtümer an einem Ort gehortet gesehen. Es war ein Funkeln und ein gleißendes Licht, als wären tausend Kerzen entzündet. Der junge Mönch trat in diese Höhle der Schätze. So betäubt war er von dieser Pracht, dass er nicht einmal auf die Schmerzen achtete, die er erlitt, als ein schwerer güldener Leuchter umstürzte und ihm dabei den kleinen Finger der rechten Hand zerschmetterte.«
»Ihr«, flüsterte ich ehrfürchtig und blickte auf die verstümmelte Rechte des Inquisitors, »Ihr wart jener junge Mönch.« Philippe de Touloubre nickte. »Kaum mehr als ein Novize war ich. Nur einem Zufall war es zu danken, dass ich während des Prozesses für einige Wochen aus dem Süden nach Paris entsandt worden war und zu jener Gruppe gehörte, welche den Temple durchstreifte.
Noch in der gleichen Nacht schafften wir den Schatz in ein anderes Versteck. Dort ruht er noch heute an einem verborgenen Ort. Allen sichtbar und dem Himmel so nah wie nirgendwo sonst und doch unsichtbar für die Augen der Uneingeweihten. Nicht der König, ja nicht einmal der Papst weiß davon. Stets sind es nur zwölf Dominikaner, die allesamt der Inquisition zu Paris dienen, die von diesem Schatz Kenntnis haben. Ihnen wiederum unterstehen zwölf Dutzend verschwiegene Mitbrüder, die alle ihnen erteilten Aufträge gewissenhaft ausführen, ohne auch nur zu ahnen, welchen Sinn sie haben.« Meister Philippe unterbrach seine Rede und starrte gedankenverloren zum schmutzigen Deckengewölbe der Folterkammer. »Ich gestehe«, fuhr er schließlich fort, »dass mich dieses Geld in Verwirrung stürzte, wie mich wohl nie eine ketzerische Irrlehre so in Verwirrung gestürzt hat. Denn was sollten wir mit all dem Gold und Silber anfangen?
Überall brennt doch die Christenheit, überall erhebt Satan sein Haupt. Die Sarazenen haben Jerusalem und das ganze Heilige Land zurückerobert: Bethlehem, wo Christus geboren ward, Nazareth, sein Heimatdorf, der Berg, von dem er predigte, der Jordan, in dem er getauft wurde, das Haus zu Kapernaum, da er die Schwiegermutter des Petrus heilte, der Ort, an dem er die Fünftausend speiste, das Grab des Lazarus, Jerusalems Tempel, die Schädelstätte Golgatha, über der sich sein Kreuz einst erhob, und auch das leere Felsengrab — alles in der Hand der Ungläubigen!