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Meister Philippe klopfte dreimal kräftig an das Tor. Wir mussten nur wenige Augenblicke warten, bis uns eine Magd öffnete, ob unseres Habits große Augen machte und uns unter vielerlei Knicksen und Ehrbezeugungen ins »Haus zum Hahn« bat.

Sie führte uns in ein großes Studierzimmer, dessen Wände mit Regalen verstellt waren, in denen wohl hundert oder mehr Bücher standen, und dessen Fenster zur Vorderseite hinausgingen und einen guten Blick auf den Katzenplatz und die Straße boten. Doch der Mann, der sich hier an einem Stehpult über einen Folianten beugte, hatte kein Auge für das Leben vor seinem Haus. Er merkte von seiner Lektüre auf und starrte uns für einen Moment erschrocken an, bevor er seine Selbstbeherrschung wiedererlangt hatte und uns würdevoll zunickte.

Richard Helmstede war ein großer, massiger Mann von vielleicht fünfzig Jahren, ein Reeder von imposanter Gestalt, mit rotem Gesicht und dünnem Haarkranz. Er war in Brokat und Atlasseide gehüllt, seinen Wams umspannte eine schwere, goldene Kette. Seine Füße steckten in Stiefeln aus weichem Cordobaleder. Derartiges Schuhwerk kostete über zwanzig Sous - eine Summe, von der eine Familie in Paris wohl ein Vierteljahr leben mochte.

Nemo potest duobus dominis servire aut enim unum odio habebit et alterum diliget aut unum sustinebit et alterum contemnet non potestis Deo servire et mamonae.

Meister Philippe stellte uns vor und kam ohne Umschweife zur Sache: Er erklärte, dass Heinrich von Lübeck getötet worden sei und wir Inquisitoren nun Helmstede aufsuchten, da der tote Mönch doch der Beichtvater des ebenfalls erst vor kurzem verstorbenen Bruders des Reeders gewesen sei. Er verriet jedoch nicht, woher er dies wusste. Das gerötete, fleischige Gesicht Richard Helmstedes verfärbte sich, wurde zuerst blass wie Leinwand, dann blau wie eine überreife Weintraube. Einen Moment lang befürchtete ich, ihn würde der Schlag ereilen. Tatsächlich wankte er, hielt sich am Lesepult fest und ging dann mit schleppendem Schritt zu einem hochlehnigen Stuhl, auf den er kraftlos niedersank.

»Auch Bruder Heinrich«, murmelte er. »Oh, welcher Fluch mag nur auf uns lasten?«

»Das genau würde ich auch gerne wissen«, sagte mein Meister, als der Reeder wieder etwas zu Atem gekommen war.

Der Inquisitor setzte sich auf einen Schemel, obwohl ihm Richard Helmstede mit einer Geste den zweiten hochlehnigen Stuhl im Raum angeboten hatte. Dabei sah er den Reeder aufmerksam an. Der Mönch war freundlich, ja man hätte meinen können, er warte demütig auf jedes Wort des Lübeckers. Doch ich war sicher, dass sein bescheidenes Auftreten Richard Helmstede nicht zu täuschen vermochte: Der Reeder wusste genau, wie gefährlich es war, von einem Inquisitor befragt zu werden.

So wurde ich denn die nächste halbe Stunde Zeuge eines Duells der Worte: Meister Philippe war höflich, aber beharrlich. Richard Helmstede war zurückhaltend und übte sich in der Kunst, in langen Sätzen wenig zu sagen.

Der Reeder erzählte uns von der Kogge und dem Schicksal ihrer Besatzung - das, was wir schon andernorts gehört hatten. Meister Philippe vermied es jedoch, zu erwähnen, dass wir schon mit dem Steuermann Gernot gesprochen hatten. Mochte der Reeder selbst irgendwann herausfinden, woher wir wussten, was wir wussten. »Ich habe meine Ladung verloren, GOTT allein weiß, wo. Und ich habe meinen Bruder verloren sowie zwei Dutzend tüchtiger Seeleute. Ohne Zweifel liegt ein Fluch auf dem Schiff«, lamentierte Richard Helmstede.

»Ohne Zweifel«, gab der Inquisitor ungerührt zurück. »Doch wer mag ihn ausgesprochen haben? Und warum?«

Der Reeder hob die Hände zum Himmel. »Ein Schiffsherr aus Lübeck oder einer anderen Hansestadt? Jemand, der mir meinen Erfolg missgönnt? Oder eine Hexe? Oder ein Jude? Ich weiß es nicht.«

»Und Ihr habt nicht die leiseste Ahnung, wo die ›Kreuz der Trave‹ in all den Wochen, die sie verschollen war, gewesen sein könnte?«, fragte Meister Philippe.

Richard Helmstede schüttelte betrübt den Kopf. Ich mühte mich, ihn unauffällig zu mustern, doch vermochte ich in jenem Moment wahrhaftig nicht zu sagen, ob der Reeder uns anlog oder die Wahrheit sprach.

»Hat Euch Bruder Heinrich denn nie etwas gesagt? Eine Andeutung? Ein unbedachtes Wort?«, wollte der Inquisitor wissen. »Nein, nie«, seufzte Richard Helmstede.

»Meint Ihr denn, dass unser verstorbener Mitbruder überhaupt mehr gewusst haben könnte?«

Der Reeder blickte Meister Philippe lange schweigend an. Dann seufzte er. »Wie ich ja schon sagte: Bruder Heinrich hat nie etwas Derartiges gesagt. Doch ich glaube, ich spüre es eher, als dass ich es weiß, er muss etwas gewusst haben. Er war so«, er suchte lange nach Worten, »so schweigsam, selbst für einen Mönch, so niedergedrückt. Irgendetwas muss auf seiner Seele gelastet haben — und was könnte dies anderes sein als sein Wissen um das Schicksal meines Schiffes?«

»In der Tat«, murmelte Meister Philippe, »was könnte dies anderes sein? Wenn diese Vermutung stimmt, dann ist der einzige Mensch, der weiß, wohin die ›Kreuz der Trave‹ gesegelt sein mag und was ihrer Besatzung zugestoßen ist, nun tot. Mag sein, dass dies ein Zufall ist, doch als Inquisitor habe ich gelernt, dass hinter jedem Zufall der Teufel steckt.«

Richard Helmstede bekreuzigte sich hastig bei der Nennung von Satans Namen.

»Warum seid Ihr nach Paris gereist? Und warum ausgerechnet mit diesem Schiff?«, fuhr der Inquisitor mit seiner Befragung fort. Schweißperlen standen auf der Stirn des Reeders. Er wischte sie mit einem spitzenbesetzten Tuch fort. Einen Moment lang glaubte ich, er würde verzweifelt nach einer Ausrede suchen, doch dann schien er sich eines Besseren zu besinnen und zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht«, gestand er müde. Helmstedes Stimme klang schwach.

»Was soll das heißen: Ihr wisst es nicht?«, hakte der Inquisitor nach. Seine Miene war die eines skeptischen Weisen, dem ein amüsantes Rätsel gestellt wird. Doch ich ließ mich nicht täuschen: Es war eine Frage auf Leben und Tod. Hätte der Reeder jetzt die falsche Antwort gegeben, so wäre er auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Doch Helmstede sagte einen Satz, der ihm, zumindest in diesem Augenblick, das Leben rettete: »Bruder Heinrich bat mich eines Tages im vergangenen Winter inständig darum, mit der Kogge nach Paris zu segeln. Er sagte mir nicht, warum, und auch nicht, warum er gerade dieses Schiff haben wollte. Ich bot ihm sogar andere an. Er jedoch bestand auf der ›Kreuz der Trave‹. Das einzige, was er mir in Aussicht stellte, war, etwas für das Heil meiner Seele zu tun.«

»Kein Geld?«, fragte Philippe de Touloubre verwundert. Richard Helmstede wurde rot. »Nun, Bruder Heinrich deutete an, dass ich dabei reich werden könnte. So reich, wie nur irgendein Kaufmann der Christenheit je geworden wäre.«

»Und Ihr habt Euch darauf eingelassen, obwohl Ihr weder die Fracht noch das Ziel dieser seltsamen Reise kanntet?«

Der Reeder hob in einer entschuldigenden Geste die Hände. »Der Mönch war der Beichtvater meines verstorbenen Bruders!«, rief er. »Jedem anderen hätte ich bei einem solchen Vorschlag ins Gesicht gelacht. Doch Bruder Heinrich …« Er zögerte, dachte nach und schüttelte dann den Kopf. »Bruder Heinrich klang so überzeugend«, fuhr er fort, »so bezwingend. Anders weiß ich es nicht zu benennen. Irgendetwas trieb mich, ihm zu Diensten zu sein.«

»Und was habt Ihr seither in Paris getan?«

»Nichts«, er seufzte abermals tief. »Nichts als gewartet. Keine Ladung, kein Ziel. Meine Männer wurden schon unruhig, sie haben schließlich Familien in Lübeck. Doch was sollte ich tun? Mir brennt das Feuer unter den Nägeln, ich muss zurück in mein Kontor, die Zeit der Winterstürme ist vorüber, die Schiffe laufen aus. Doch ich sitze in Paris, gebe ein kleines Vermögen für dieses Haus aus und warte und warte. Zunächst hat Bruder Heinrich mich hingehalten. Hat mir gesagt, ich müsste mich nur noch ein Weniges gedulden. Aber nun: Was soll ich tun? Muss ich mit leerer Kogge zurückkehren?«