Datini machte eine entschuldigende Geste und lächelte Verständnis heischend. »Wenn ich den legendären Schatz der Templer hätte, Bruder Ranulf, ja, dann wollte ich wohl jedem Ritter Frankreichs das Lösegeld vorstrecken, und wenn die hohen Herren noch so viele Schlachten verlieren. Doch das Templergeld ist verschwunden, seitdem Seine Heiligkeit den Orden für ketzerisch erklärt hat, und das Geld der guten Christenmenschen steckt fest verschlossen in versteckten Truhen.«
Datini zögerte kurz. »Zudem gibt es da noch Gerüchte …« Er seufzte. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Die Muselmanen haben Caffa angegriffen, einen Handelshafen der Genueser am Schwarzen Meer. Doch der HERR zürnte ihrer und schickte ihnen eine Krankheit ins Heerlager, auf dass sich ihre Soldaten in alle Winde zerstreuten. Das taten sie auch - allerdings haben sie zuvor die Leichen ihrer verstorbenen Soldaten mit ihren großen Katapulten über die Mauern von Caffa geschleudert. So ist auch dort die Krankheit ausgebrochen. Seither sterben Christenmenschen an den fernen Gestaden von Mittelmeer und Schwarzem Meer, Byzantiner und italienische Händler. Kein Gebet, so sagt man, hat bis jetzt dagegen geholfen. In manchen Städten der Levante, so gehen Gerüchte, soll jeder Dritte gestorben sein, ja, es soll Orte geben, in denen keine Seele mehr lebt, in denen nicht einmal mehr Hunde und Schweine streunen. Ich weiß nicht, ob ich selbst solches Gerede glauben soll oder nicht. Ich weiß jedoch sehr wohl, dass andere Menschen es glauben: So gibt es viele Reeder und Händler, die es nicht mehr wagen, mit ihren Galeeren gen Osten zu fahren. Schon herrscht auf manchen Märkten des Abendlandes ein Mangel an teuren Gewürzen und edlen Stoffen, an Elfenbein und Seide und Silber. Wenn derlei wertvolle Waren nicht angeboten werden, dann kann sie auch niemand kaufen. Und wenn niemand kauft, dann braucht auch keiner Geld, das er beim Geldwechsler leihen muss.«
Datini hob die Hände. »Ihr seht also, Bruder Ranulf, ob an diesen Geschichten aus dem Osten nun etwas Wahres dran ist oder nicht, ist für unsereins fast gleichgültig. So oder so will niemand unser Geld. Und wenn niemand mehr zu uns ehrbaren christlichen Geldwechslern kommt, dann gehen noch weniger zum Juden, da es unehrenhaft ist und von der Mutter Kirche gar nicht gerne gesehen wird.
Wenn ich ein Jude wäre«, der Florentiner lächelte dünn und schien diesen Gedanken offensichtlich höchst amüsant zu finden, »dann wäre ich in unseren unsicheren Zeiten auch bereit, einem Mönch - für welches Vorhaben auch immer — eine hübsche Summe zu leihen. Es ist besser, so ein ungewöhnliches Risiko einzugehen, als gar nichts zu tun.«
Ich dachte lange über seine Worte nach. »Ihr meint also«, sagte ich schließlich, »dass Heinrich von Lübeck dieses Geld sehr wohl auch von einem der Juden von Paris erhalten haben könnte, selbst wenn er hier kaum bekannt war. Und, immer vorausgesetzt selbstverständlich, dass er sich das Geld wirklich geliehen hat, er ist zum Juden gegangen, damit sich sein Vorhaben nicht in der Welt der christlichen Geldwechsler herumspricht.«
Datini nickte nachdenklich. »Das wäre sehr wohl möglich«, gab er schließlich zu.
»Herr Datini«, bat ich ihn, »wärt Ihr so gütig und würdet Ihr Euch ein wenig in eurer Welt umhören? Ihr mögt von den Juden wenig wissen, aber ich mag kaum glauben, dass jemand, der Gerüchte aus dem fernen Caffa kennt, gar nichts weiß vom Juden, der vielleicht nur ein paar Straßen weiter lebt.«
Der Geldwechsler lächelte. Er schien mein Anliegen nicht beleidigend zu finden, sondern, im Gegenteil, aufrichtig erfreut darüber zu sein. »Ihr seid, obgleich noch jung an Jahren, schon ein guter Inquisitor«, murmelte er. »Eure Bitte ist mir Befehl und Ehre zugleich. Ich werde, verschwiegen selbstverständlich, Erkundigungen nach Eurem Mitbruder und seinem Geld einziehen. Sollte ein Jude etwas darüber wissen, dann, das verspreche ich Euch, werdet Ihr es auch bald erfahren.«
*
Ich segnete den Geldwechsler und stand ein paar Augenblicke später wieder im geschäftigen Treiben auf dem Grand Pont — nicht unbedingt viel klüger als zuvor, doch sehr mit mir zufrieden. »Nun, Bruder Ranulf, ist GOTT euch heute besonders nah? Ihr seht so heiter drein.«
Als ich dieser Stimme so plötzlich hinter meinem Rücken gewahr wurde, da zuckte ich zusammen, als hätte Satan selbst mich angesprochen. Noch bevor ich mich umdrehte, wusste ich schon, wem sie gehörte. Klara Helmstede.
Die Frau des Lübecker Reeders trug ein schlichtes, doch teures Gewand aus feinstem dunkelgrünen flämischen Tuch. Das wallende, blonde Haar hatte sie nur unvollkommen unter einer hohen Haube und einem durchsichtigen, spitzenbesetzten Schleier verborgen. Für einen winzigen Moment fragte ich mich, warum sich eine Frau wie Klara Helmstede, die ich schon bei unserer ersten, flüchtigen Begegnung für ungemein selbstbewusst, ja geradezu aufreizend frech gehalten hatte, mit diesem zwar edlen, doch schlichten Putz zufriedengab. Dann jedoch sah ich, dass sie offensichtlich ohne Begleitung durch die Straßen von Paris ging. Ihr Gatte war nicht zu sehen und nicht einmal eine Magd, wie es doch schicklich gewesen wäre, war bei ihr. Ihr Gewand war schlicht genug, dass sie nicht allzu sehr auffiel in der Menge - und doch so fein, dass jeder, der genauer hinsah, erkannte, dass sie weder Bauersfrau noch Dienerin war.
Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. So verbeugte ich mich nur, ungelenker, als mir lieb war.
»Habt Ihr ein Schweigegelübde abgelegt?«, fragte sie mich keck. Ich schluckte. »Nein, Frau Helmstede«, brachte ich schließlich mühevoll heraus.
»Das beruhigt mich ungemein«, antwortete sie und schenkte mir ein Lächeln - offensichtlich blind dafür, dass sie mitten auf dem Grand Pont stand und sich mit einem Mönch unterhielt. Ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken und doch versuchte ich nicht einmal, mich mit einer knappen Geste zu verabschieden. Oh, unsichtbar ist das Netz, welches das Weib auswerfen kann! »Habt Ihr schon den Sünder gefunden, der unserem armen Bruder Heinrich derart Schreckliches angetan hat?«, fuhr Klara Helmstede fort. Sie schien nicht ernsthaft um ihn zu trauern, zumindest hörte ich kein echtes Bedauern in ihrer Stimme, eher die kecke Neugier eines vorwitzigen Mädchens.
Ich räusperte mich. »Nein, denn Satan steht den Seinen bei und versteht es, Spuren zu verwischen. Doch wir Inquisitoren dienen dem HERRN und nicht einmal der Teufel selbst kann seine Pläne für immer vor unseren Augen verbergen. Ich war gerade dabei, einer viel versprechenden Fährte zu folgen«, setzte ich überflüssigerweise hinzu. Es war die Sünde der Hoffart, die mich diesen Satz sagen ließ - und ich bereute ihn sofort.
»Eine Spur, die zu den Geldwechslern führt?«, entfuhr es Klara Helmstede. Sie schien überrascht zu sein und interessiert. Ihr Tonfall jedoch verhehlte nicht einen gewissen Spott.
Ich verfluchte meine lose Zunge. Wie oft hatte mich schon der Novizenmeister davor gewarnt, mit dem Weibe zu sprechen - und nun war ich hier, ein gelehrter Magister und Inquisitor dazu, und benahm mich wie ein angeberischer Straßenbengel. »Mehr darf ich dazu nicht sagen«, stotterte ich.
»Wie schade«, rief sie aus und machte mit ihren Händen eine weit ausholende Geste. Dann seufzte sie. »Wisst Ihr, Bruder Ranulf, es ist nicht immer leicht, die Gattin eines wohlhabenden Mannes zu sein. Eines Mannes zudem, der so alt ist, dass er mein Vater sein könnte.« Ich starrte sie verständnislos an.