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Klara Helmstede lächelte nun. »Ich lebe in Lübeck in einem großen Haus. Mägde versorgen mich von der ersten Stunde des Tages bis zum Anbruch der Nacht. Kaum je kann ich das Haus verlassen, wenig nur gibt es für mich zu tun, außer zu sticken.

Ich musste meinen Gatten regelrecht anflehen, dass er mich auf diese Reise mitnimmt. Endlich einmal hinaus aus Lübeck! Und, verzeiht es mir, Bruder Ranulf, wenn dies eine Sünde ist, dann bitte ich Euch um Eure Fürbitte, doch der tragische Tod von Bruder Heinrich ist für mich«, sie schien nach dem richtigen Wort zu suchen, »so aufregend«, vollendete sie schließlich.

»Mein Gatte ist ganz außer sich«, fuhr sie dann fort, »auch wenn er sich mir mit keinem Wort anvertraut. Oh, würden die Männer doch in Dingen, die sie wichtig nennen, ihren Frauen vertrauen! Wie viel Schlechtes ließe sich da verhindern. Nun ja, ich aber bin weder blind noch taub, ich kann auch so manches Zeichen deuten. Mein Gatte jedenfalls weiß nicht ein noch aus, weiß nicht, warum er nach Paris kommen sollte und wie es nun weitergehen soll. Der Tod von Bruder Heinrich jedoch versetzt ihn in Furcht — in eine größere Angst, als es der Tod seines leiblichen Bruders auf jener verfluchten Kogge getan hat.

Ich möchte meinem Gatten helfen. Doch dazu muss ich nicht nur wissen, was passiert ist; ich brauche auch Eure Hilfe. Denn was kann ich allein schon ausrichten? Ihr, Bruder Ranulf, seid doch Inquisitor. Wollt Ihr nicht einmal in unserem Pariser Domizil vorbeischauen und ganz im Vertrauen mit mir reden? Vielleicht vermag ich Euch nützlich zu sein und kann Dinge herausfinden, die einem Mönche verborgen bleiben?«

Klara Helmstede lächelte. »Selbstverständlich könnte ich es so einrichten, dass niemand euer Kommen bemerken würde. Ich würde die Diener wegschicken und …«

»Nein!«, unterbrach ich sie und ich hörte selbst das Entsetzen in meiner Stimme. »Das ist ganz unmöglich. Das ist … eine Sünde!«, entfuhr es mir. »Nein, ich darf mich nicht mit Euch treffen — und heimlich schon gar nicht.«

Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, mein Körper zitterte, als schüttelte mich das Fieber. Flucht vor diesem satanischen Weibe! Das war mein einziger Gedanke in jenem Augenblick. Mit einer hastigen Segensformel verabschiedete ich mich, drehte mich um und ging so schnell über den Grand Pont, dass ich fast lief. »Auf Wiedersehen, Bruder Ranulf«, rief mir Klara Helmstede lachend nach. In meinen Ohren klang es wie eine Drohung — und doch zugleich auch wie ein Versprechen.

*

Am Abend jenes Tages standen wir auf dem kleinen Friedhof des Klosters am Grab von Bruder Heinrich. Es regnete und wir Mönche waren nicht mehr als dunkle Schatten, eingehüllt in unsere Kapuzen, beleuchtet nur von wenigen, flackernden Fackeln. Ich hörte das Totengebet und murmelte die vorgeschriebenen Formeln. Irgendwo erklang dünn das Totenglöcklein, dann senkten wir Heinrich von Lübeck in den schweren, feuchten Boden hinab.

Schweigend stand ich da. Ich hatte Meister Philippe nichts von meinen nächtlichen Nachforschungen im Kloster erzählt, genauso wenig wie von meinem Besuch beim Geldwechsler Pietro Datini oder gar meinem Gespräch mit Klara Helmstede.

Stolz war ich darauf, das gestehe ich, dass ich etwas allein gewagt hatte. Doch verwirrt, ja ängstlich, dachte ich an meine Begegnung mit der Gattin des Reeders zurück. Ich spielte mit dem Feuer. Und wer mit dem Feuer spielt, das ahnte ich selbst in jenem düsteren Moment sehr wohl, der wird sich irgendwann verbrennen. »Wärest du doch nie gestorben«, murmelte ich Heinrich von Lübeck zu, als zwei Novizen damit begannen, Erde auf seinen Körper zu schaufeln. »Ich hätte meinen Seelenfrieden noch.« Dann fragte ich mich, welches Geheimnis Heinrich von Lübeck wohl mit ins Grab genommen hatte. Ein Geheimnis, das, wie ich spürte, nicht nur ihn ins Verderben gerissen hatte, sondern auch mich unwiderstehlich hinabzog.

6

DER MANN MIT DEM ANTONIUSFEUER

Die Zeit verstrich ohne weitere Fortschritte in unseren Ermittlungen. Erst am Tage des heiligen Ivo Helory stießen Meister Philippe und ich endlich auf eine neue Spur, welche uns aus dem Dickicht der Ratlosigkeit zu führen versprach. Heute, da ich mehr weiß, wenn ich auch nicht unbedingt weiser bin, erscheint es mir wie ein Scherz des HERRN, dass er uns ausgerechnet an jenem Tag in der Mitte des Monats Mai ein Zeichen sandte, da wir erstmals dieses Heiligen gedachten. Denn Ivo Helory war erst im Jahr zuvor vom Papst in diesen höchsten einem Menschen erreichbaren Rang erhoben worden - und er galt als Patron der Notare, also jener Männer, die das Recht in unzweifelhafte Worte gießen.

Tagelang hatten die Sergeanten de la Douzaine nach der entlaufenen Dirne gesucht — das zumindest hatten sie Meister Philippe immer wieder versichert. Doch Jacquette war von GOTTES Boden verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Meine Gedanken an diese Schönfrau blieben beunruhigend zwiespältig: Einerseits sehnte ich mich danach, sie wiederzusehen, andererseits jubilierte mein Herz darüber, dass sie ihren Häschern scheinbar entkommen war.

Auch Klara Helmstede sah ich in jenen Tagen nicht ein einziges Mal. Doch wahrscheinlich ist es gerade so, dass wir dann, wenn wir eines Menschen nicht ansichtig werden, uns ganz besonders nach ihm sehnen.

Um meiner sündigen Seele Herr zu werden, verbrachte ich so manche Nacht im Gebet und in strengen Exerzitien. Doch selbst im Zwiegespräch mit GOTT schweiften - oh, wie verworfen ich da schon war- meine Gedanken ab. Mehr als einmal ertappte ich mich dabei, wie ich des Nachts, Gebete murmelnd, vor dem Altar lag und doch lauschte, ob ich nicht irgendwo im Kloster Stimmen und seltsame Geräusche vernähme .

Manchmal gar glaubte ich, dass dem so wäre. Doch stets, wenn ich mich dazu durchgerungen hatte, in den düsteren Gängen herumzuschleichen, sah ich so wenig wie ein Blinder und hörte nicht mehr als ein Tauber.

Ich freundete mich ein wenig mit dem Portarius an, der alt war und erfreut darüber, dass ich mir hin und wieder Zeit nahm für ein Schwätzchen mit ihm, da sein Schweigegebot nun offenbar nicht mehr galt. Ich vermeinte, mich geschickt genug anzustellen und ihn dabei unauffällig nach der Ursache jener geheimnisvollen nächtlichen Geräusche auszufragen. Doch entweder war ich doch nicht verschlagen genug oder der alte Mönche hatte tatsächlich noch nie etwas vernommen. Jedenfalls erfuhr ich von ihm nichts, das mir hätte nützlich sein können.

Auch Bruder Carborxnet, der Prior, erwies mir die Ehre, mit mir zu reden. Ja, es schien, als fände er Gefallen an mir, so wie ein wahrer Vater stolz ist auf einen strebsamen Sohn. Ich war ihm dankbar dafür und verdoppelte, so dies noch möglich war, meinen Eifer, um seine Erwartungen zu erfüllen.

Doch auch der Prior vermochte Meister Philippe und mir nicht mit weiteren Auskünften zu dienen — so sehr es ihn auch traurig stimmte, dass der Tod eines Dominikaners noch immer ungesühnt war. Manchmal vermutete ich gar, dass der Prior bereits resigniert habe und nicht mehr an den Erfolg unserer Nachforschungen glaubte. Dieser Gedanke betrübte mich noch mehr, doch vermochte ich dagegen nichts zu tun als zu beten.

In jenen Tagen gelang es mir nur ein weiteres Mal, mich unauffällig aus dem Kloster zu stehlen und zum Grand Pont zu gehen. Doch auch dieser Weg war vergebens, denn Pietro Datini hatte sich zwar schon bei diesem und jenem Geldwechsler umgehört, vermochte mir jedoch nichts Neues zu sagen.

Meister Philippe ließ mich des Öfteren allein, weil er ohne Zeugen so manchen Domherrn von Notre-Dame ins brüderliche Gespräch nahm. Nie verriet er mir, was er dabei erfahren hatte. Besonders Nicolas d'Orgemont, der Dekan der Domherren, hatte die zweifelhafte Ehre, regelmäßig vom Inquisitor visitiert zu werden. Doch nichts schien zu fruchten.

Schließlich, an besagtem Tag, zu Sankt Ivo Helory, nahm mich der Inquisitor nach der Prim beiseite. Es war ein ungewöhnlich kalter und trüber Maienmorgen.