Der Inquisitor nickte. »Ein Fluch, fürwahr. Und ein Unrecht, das gesühnt werden wird. Deshalb sind wir ja hier.«
Der Schmied schüttelte so heftig sein Haupt, dass die Schweißperlen wie ein kleiner Regenschauer zu beiden Seiten davonstoben und einige meinen Umhang benetzten.
»Mehr weiß ich nicht«, stammelte er. »Ich schwöre bei Jesus, Maria und allen Heiligen, dass mir niemand etwas gesagt hat! Ich weiß nichts.«
Meister Philippe hob begütigend die Hand. Der Hüne zitterte jetzt. Seine Angst vor dem Inquisitor war körperlich spürbar, ja, ich glaubte, dass ich sie riechen konnte.
»Ich glaube dir«, sagte Philippe de Touloubre und brachte es dabei fertig, seiner Stimme einen sanften und zugleich bedrohlichen Tonfall zu geben. »Ich bitte dich nur, dich umzuhören. Jedermann weiß, dass du nicht über die Männer redest, die in deine Werkstatt kommen, schon gar nicht mit einem der Sergeanten de la Dozaine. Das ist sündig und du wirst dich dereinst vor einem schrecklichen Richter dafür verantworten müssen. Doch ich habe dich damit nie behelligt und werde es auch weiterhin nicht tun — mit einer Ausnahme: Ich will alles wissen, was über den Tod unseres geliebten Mitbruders erzählt wird. Alles, verstehst du? Es mag dir wie dummes Geschwätz erscheinen, belanglos oder unsinnig. Mir ist dies gleich: Ich will es wissen. Sofort.«
Der Schmied schluckte. »Ja, Herr«, versprach er und bekreuzigte sich wieder. »Ich werde Euch jedes Wort berichten, das ich darüber höre.«
»GOTT segne dich«, sagte der Inquisitor und lächelte.
*
Ein paar Augenblicke später standen wir wieder in der verqualmten Rue Ferroniere. Meister Philippe musste wohl meinen fragenden Blick gesehen haben, denn er lachte und erklärte mir ungefragt: »Guibert stammt aus dem Süden. Ich traf ihn das erste Mal vor vielen Jahren — als Beschuldigten in einem Ketzerprozess. Zunächst war er verstockt, ja hochmütig. Doch nach einigen Wochen in einem Verlies von Carcassonne und ein paar Stunden auf der Streckbank besann er sich eines Besseren.
Es ist immer wieder verwunderlich, wie leicht gerade die jungen, bärenstarken Männer zusammenbrechen, kommt man ihnen mit glühenden Eisen und Daumenschrauben. In ihren gesunden Körpern wohnt eben doch eine gesunde Seele, die sich zum rechten Weg bekehren lässt. Die Kleinen, Schwachen, Verderbten hingegen, die sind oft zäh und verstockt bis zum Ende der Folter.« Der Inquisitor schritt eine Zeitlang schweigend aus und hing seinen eigenen unergründlichen Gedanken nach. Ich war klug genug, ihn nicht zu unterbrechen.
»Guibert jedenfalls«, fuhr er irgendwann fort, »schwor allen Irrlehren ab. Ich erlegte ihm eine Wallfahrt als Buße auf und verurteilte ihn dazu, zehn Jahre lang das gelbe Ketzerkreuz als Schandmal auf seiner Kleidung zu tragen. Jahre später sah ich ihn wieder - in Paris. Er schmiedet Waffen für jeden, der ihn bezahlt, und fragt nicht lange nach dem Warum und Wozu. Zunächst wollte ich ihn wieder verhaften, doch dann fand ich es viel nützlicher, ihn dort zu belassen, wo der HERR ihn offensichtlich hingestellt haben wollte.« Meister Philippe schmunzelte. »Es ist überaus nützlich für einen Inquisitor, seine Augen und Ohren überall zu haben. Guibert ist zuverlässig. Ihm verdanke ich schon so manchen wichtigen Hinweis auf Dolche und Schwerter und diejenigen, die sie führen. So überlasse ich ihn, den kleinen Sünder, der Gerechtigkeit GOTTES und führe doch mit seiner Hilfe den einen oder anderen großen Sünder der irdischen Gerechtigkeit zu.«
Ich bewunderte den Scharfsinn des Inquisitors - und seinen Mut. Denn ganz ohne Furcht, so schien mir, trat er Männern wie Guibert entgegen, die ihn um Haupteslänge überragten und seinen Hals mit einem einzigen Griff hätten brechen können. Es war die Kraft seines Geistes, die über die rohe Gewalt der Muskeln triumphierte.
Der Nebel blieb so undurchdringlich wie am frühen Morgen. Trotz des dicken Mantels, den ich mir übergeworfen hatte, fröstelte ich, denn die Nässe drang durch den Stoff hindurch bis zur Haut. Glücklicherweise war der Weg, den der Inquisitor mich nun führte, nicht sehr weit. Wir schritten die Rue Ferroniere entlang, wanderten dann durch einige Gassen und überquerten die Rue Saint-Denis, bis wir vor der Kirche Saint-Lenfroy standen. Vor dem Portal des Gotteshauses lag ein unregelmäßig geformter Platz, in dessen Mitte eine große Grube ausgehoben war, in der fauliges Wasser schwappte. Dies war eine der größten Kloaken von Paris. Die Grube wurde im Volk nicht umsonst »das Stinkloch« genannt, denn die Miasmen hier waren noch ungesünder als andernorts in der Stadt. Kohlstrünke, der aufgeblähte Kadaver eines Hundes und einige tote Ratten trieben in der düsteren Brühe. Selbst der Nebel schien diesen Ort meiden zu wollen, denn bis in eine Höhe von vielleicht zwei Mannslängen über der Grube waren die feuchten Schleier weniger undurchdringlich als andernorts.
Genau gegenüber des Stinkloches lag der niedrige Eingang einer der größten und verrufensten Tavernen von Paris: die »Rote Hand«. »Wir wollen dort unser Mittagsmahl einnehmen«, sagte der Inquisitor und lächelte mir aufmunternd zu.
»Iesus amen dico vobis quia publicani et meretrices praecedunt vos in regno DEI«, murmelte ich ergeben und folgte Meister Philippe. Hinter der schäbigen Fassade der »Roten Hand« verbarg sich ein überraschend großer Raum, von dem ich nicht zu sagen vermochte, ob er mehr wegen der niedrigen Decke oder doch eher wegen des trüben Lichtes wie eine in den feuchten Fels geschlagene Höhle wirkte. Die Balken der Decke waren schwarz geteert und bogen sich gefährlich nach unten durch, sodass es aussah, als könne sie jederzeit einstürzen. Die Wände waren stockfleckig, den Boden bedeckte fauliges Stroh. Ich hatte noch keine zwei Schritte in den Raum hinein getan, da juckten meine Füße, denn Wanzen und anderes Getier krabbelten in Scharen über den Boden.
Grob gezimmerte Bänke und Tische füllten die Taverne. An ihnen drängten sich Tagelöhner, Bettler, Diebe und unzüchtige Weiber, die sich lautstark unterhielten, in großer Zahl. Ich schauderte und schlang meinen Umhang enger um mich, auf dass niemand mich beachten mochte.
Doch diese Vorsichtsmaßnahme war kaum nötig: Im trüben, gelblichen Licht war nur wenig zu erkennen. Zudem drang grauschwarzer Qualm aus dem hinteren Teil der Taverne, wo ich irgendwo die Küche vermutete. Es roch nach saurem Wein, Leichtbier, Kohl und Schweiß. Auf einem Tisch standen ein paar Vaganten und spielten zu Flöte, Laute und Trommel ein Lied, dass die meisten Gäste kannten, denn viele grölten mit. Wer nicht sang oder aß, der klatschte in die Hände, denn zu den Vaganten gehörte eine Zigeunerin, die sich wirbelnd drehte und schamlos tanzte.
Niemand achtete auf Meister Philippe und mich, als wir uns, so weit entfernt von diesem musikalischen Pandämonium wie möglich, auf das äußerste Ende einer Bank zwängten. Mit gesenkten Köpfen, damit er unsere rasierten Gesichter, die unseren mönchischen Stand verraten mochten, nicht sah, verlangten wir vom zahnlosen, zittrigen Wirt einen halben Laib Roggenbrot, ein paar burgundische Zwiebeln und Wasser. Wenn ihn diese karge Mahlzeit verwunderte, dann zeigte der Greis es nicht. Gleichmütig zuckte er mit den Achseln, nahm unsere zwei Sous — in der »Roten Hand« wurde im Voraus bezahlt — und schlurfte von dannen.
Ich hatte kaum den ersten Bissen genommen — die Zwiebeln waren klein und schwarz, doch ihre Schärfe weckte meine Lebensgeister —, da hörten die Vaganten auf zu spielen. Nach einigem Hin und Her und lauten Rufen wurde einer der Gäste, halb geschmeichelt von den Anfeuerungen der Zecher, halb verlegen, auf den Tisch gehoben. Es war ein Mann mit dem Antoniusfeuer. Er war kaum dreißig Jahre alt und in ihm brannte die Geißel des inneren Feuers. Die schäbige wollene Tunika gab den Blick auf seine Arme frei, deren Haut gerötet war, als hätte er in Brennnesseln gelegen. Seine Finger waren zu schwärzlichen Klauen verformt. Der Mann war lahm, Speichel troff von seinem Mund.
»Erzähle uns Fabliaux, Honore!«, rief ein dicker Mann neben uns, der schon zur Mittagszeit rot und trunken war.