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So verging ein Tag nach dem anderen, die Zeit schien zu fliegen, und schließlich wuchs auch in mir die Ungeduld. Ich wollte wieder hinaus aus dem Kloster, wollte suchen, forschen, wollte - doch das gestand ich mir nicht ein - zwei Gesichter sehen, die ich nur in meinem Innern betrachtete.

Der Juni kam und es wurde heiß und stickig in Paris. Es stank bis hinter unsere Klostermauern, denn mit den zusätzlichen Menschen gelangte auch mehr Unrat auf die Straßen. Immerhin waren wir die Ratten los, denn seit dem großen Sterben im nebligen Frühjahr sah man nur noch wenige Tiere. Dafür plagten uns nun Flöhe und Wanzen und anderes Getier ärger als in anderen Jahren. Es war zu Sankt Erasmus, am zweiten Juni-Tag, dass ich die Gelegenheit fand, mich aus dem Kloster zu stehlen. Es war nach der Terz: Ich ging zum Portarius und sagte ihm, dass mich unser heilkundiger Bruder hinausschickte, auf dass ich irgendwo in Paris getrockneten Salbei und noch einige andere lindernde Kräuter kaufen möge. Das war nicht einmal gelogen, denn tatsächlich hatte ich mich entboten, an Medizin zu kaufen, was überhaupt noch zu kaufen war. Tatsächlich streifte ich dann wohl zwei Stunden über die Plätze und durch die Gassen, um bei Apothekern nützliche Dinge zu erstehen. Die Preise waren hoch, ja wucherisch - oft zahlte ich vier, fünf Sous und noch mehr für ein kleines Säckchen mit Kräutern vom letzten Jahr. Doch sagte ich mir, dass es, so, wie die Dinge standen, in den nächsten Wochen kaum besser werden mochte. Als ich schließlich alle Besorgungen erledigt hatte, ging ich zurück über den Grand Pont. Dort, auf der Brücke der Geldwechsler, sah ich mich im Gedränge rasch um — und trat mit einem eiligen Schritt ins »Haus zum Falken«.

»Endlich seid Ihr gekommen, Bruder!«, rief der junge, höfliche Gehilfe in der Wechslerstube. »Messer Datini erwartet schon seit Tagen mit Ungeduld Euren Besuch.«

Ich verzichtete auf eine Antwort und nickte nur würdevoll, doch am liebsten hätte ich jubiliert: Denn was konnte dies anderes sein als eine gute Nachricht?

Und es war eine gute Nachricht. Pietro Datini hieß mich, auf einem Stuhl in seinem Arbeitszimmer Platz zu nehmen. Ich bewunderte heimlich sein prächtiges blaues Wams, das seiner kurzgewachsenen, hageren Statur etwas Imposantes verlieh.

»Ich habe eine Geschichte gehört, die Euch schwerlich gleichgültig lassen wird«, begann er das Gespräch. Vorsichtig und höflich wie immer; nur sein Florentiner Akzent, der seine Worte noch mehr tränkte als sonst, verriet seine innere Anspannung.

»Vor einigen Wochen«, fuhr Datini fort, »soll ein Dominikaner zum jüdischen Geldwechsler Nechenja ben Isaak gegangen sein. Niemand von denen, mit denen ich sprechen konnte, vermochte mir seinen Namen oder sein Aussehen zu nennen. Doch er ist der einzige Mönch Eures Ordens, der in letzter Zeit bei einem Pariser Geldwechsler vorstellig geworden ist.«

Ich vermochte meine Erregung kaum hinter der Fassade frommen Gleichmuts zu verbergen. »Wisst Ihr, Messer Datini, wann dieser Mönch zum Juden gegangen ist?«, fragte ich und hörte selbst, wie meine Stimme vor Aufregung halb erstickt klang. Der Florentiner lächelte dünn. »Einen Tag, bevor Heinrich von Lübeck erstochen aufgefunden worden ist.«

Mir schwindelte. »Wie viel Geld hat der Mönch bekommen?«, krächzte ich.

»Darf ich Euch ein Glas Wasser anbieten, Bruder? Oder Wein?«, fragte Datini besorgt. Als ich energisch den Kopf schüttelte, nickte er. Ein Hauch von Betrübnis schien sich für einen Moment über seine ebenmäßigen Züge zu legen, dann wirkte er wieder so gefasst wie zuvor. »Mehr kann ich Euch leider nicht sagen, Bruder. Niemand hat davon gehört, dass dieser Dominikaner eine größere Summe Geldes bekommen — oder eingezahlt — hätte. Bewegt sich irgendwo ein Vermögen von einer Hand in eine andere, dann spricht sich das unter uns Geldwechslern herum. Wenn überhaupt, kann es sich nur um eine geringe Summe gehandelt haben, welche jener Dominikaner beim Juden erhalten oder eingezahlt hat. Vielleicht wollte er sich nur nach den Bedingungen einer solchen Transaktion erkundigen und später wiederkommen - was ihm dann der HERR verwehrte.« Wir schlugen beide das Kreuz.

»Sagt mir, Messer Datini, was wisst Ihr über diesen Juden?«

»Nechenja ben Isaak?«, Datini machte eine Geste, die ebenso weit ausholend wie vage war. »Er ist schon lange in Paris, sechzehn Jahre bereits, glaube ich. Gleich mir ist er nicht hier geboren. Manche sagen, dass er aus Deutschland stammt. Andere behaupten, er komme aus Spanien. Aus dem maurischen Teil, nicht dem katholischen. Seine Geschäfte sind jedenfalls solide, wenn auch nicht spektakulär. Ich glaube, dass er wohlhabend ist, doch dass es wohl drei Dutzend Geldwechsler in Paris gibt, die reicher sind als er.«

Datini ließ offen, ob er sich selbst dazu rechnete, doch ich konnte es mir denken.

»Er ist ein Büchernarr, sagt man, und sammelt alte Schriften. Aber das ist ja nichts Ungewöhnliches für einen Juden.« Der Florentiner lächelte wieder dünn. »Wenn überhaupt etwas ungewöhnlich ist an ihm, dann ist es seine Tochter Lea. Eine junge Witwe. Nach dem Tod ihres Gatten ist sie zu ihrem Vater zurückgekehrt. Offiziell hilft sie ihm in seiner Wechselstube, denn seine beiden Söhne sind, so sagt man zumindest, nach Deutschland gegangen, wo sie in großen Städten - in welchen, das weiß ich nicht - als Rabbiner eingesetzt worden sind. Die, mit denen ich geredet habe, behaupten, dass Nechenjas Tochter in Wahrheit die wichtigen Geldgeschäfte regelt.« Datini erlaubte sich ein kurzes Lachen. »Aber ist es nicht oft so, dass es die Frauen sind, die im Namen der Männer das Geld durch unsere Welt pumpen?«

Ich musste unwillkürlich an Klara Helmstede denken und fragte mich, ob auch sie mehr mit Schiffen und Waren zu tun hatte, als ich bislang glaubte. Zögernd nickte ich. »Wo finde ich ihn, diesen Juden?«

»Nechenja ben Isaak wohnt im Haus ›Zum bunten Ochsen‹ in der Rue de la Juiverie, wie alle Juden. Im gleichen Haus hat er auch seine Wechselstube. Es steht direkt neben der kleinen Kirche Saint-Denis-de-la-Chattre. Ihr könnt es kaum verfehlen, Bruder. Saint-Denis-de-la-Chättre liegt auf der Cite, am Nordufer der Insel. Nur wenige Schritte vom Grand Pont entfernt.«

»Und wenige Schritte von Notre-Dame«, murmelte ich düster. Nachdem ich mich von Messer Datini verabschiedet hatte, machte ich mich auf den Rückweg zum Kloster. Unterwegs hatte ich kaum Augen für die Stadt und widerstand auch der Versuchung, vom Grand Pont direkt in die Rue de la Juiverie zu gehen. Ich ahnte, dass die Verstrickungen, in die ich nun hineingeraten war, zu groß waren für einen jungen Mönch allein. Ich musste Meister Philippe meine Eigenmächtigkeit gestehen, sein Verzeihen erflehen und mit ihm zum Juden gehen.

Nachdem ich mich zu diesem Entschluss durchgerungen hatte, fiel mir eine Last von der Seele. Freier, ja fröhlich marschierte ich zurück in die Rue Saint-Jacques.

Nach der Vesper hätte ich mich gerne dem Inquisitor offenbart, doch es war der Prior, der uns, noch in der Kirche, zu sich zitierte. Bruder Carbonnet wartete vor dem Altar, bis die anderen Mönche lautlos das Haus GOTTES verlassen hatten. Der alte Prior sah müde aus und ungeduldig.

»Nun, Brüder«, begrüßte er uns, »ich hoffe, dass Ihr über der Barmherzigkeit, die Ihr den Flüchtlingen zuteil werden lasst und die der HERR ohne Zweifel gerne sieht, nicht den Tod Heinrichs von Lübeck vergessen habt.«

Ich erschrak. Hatte der Prior irgendwie von meinem Besuch bei Messer Datini erfahren? Warum sonst zitierte er uns ausgerechnet an diesem Tag zu sich?

Doch Bruder Carbonnet gab mir die Antwort, wiewohl unwissentlich, selbst. »Seit gestern«, so fuhr er fort, »lesen die Franziskaner vom ersten Glockenschlag am Morgen bis zum Läuten der Abendglocken pausenlos Messen. Die Cordeliers sind, wie Ihr wisst, im Volk beliebter als wir Dominikaner. Doch auch in das Kloster der Augustiner strömen viele Bürger von Paris. Selbst nach Saint-Julien-le-Pauvre, dem Priorat der Cluniazenser, das sich nur ein paar Schritte die Straße hinunter erhebt, zieht es Ritter und Bauern, Edelfrauen und Marktweiber. Unseren Beistand jedoch sucht kaum jemand, nicht einmal ein Ratsherr der Stadt.«