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Auch ich schüttelte die Vision ab und folgte dem Inquisitor in die Rue de la Juiverie, die vom Uferkai abzweigte.

Die Gasse war ungewöhnlich eng und nur ein paar Dutzend Schritte lang. Das Haus »Zum bunten Ochsen« war leicht zu finden. Schlicht war es und schmucklos; nur ein geschnitzter, farbig bemalter Ochsenkopf wies auf den Namen hin.

Der Inquisitor trat energisch auf die Tür des Gebäudes zu. »Dann wollen wir mal zum Juden gehen«, sagte er grimmig. »Möge GOTT, dass es uns besser ergeht als dem letzten Dominikaner, der hier eingetreten ist!«

Ich schlug das Kreuz und folgte ihm.

Der Raum zur Straße hin war weiß gekalkt, schmucklos, sauber und im Übrigen fast so eingerichtet wie jener im Hause des Pietro Datini. Man hätte denken können, dass hier Christenmenschen arbeiteten — wenn nicht die beiden Gehilfen, die gerade am großen Tisch Münzen abwogen, den gelben, aufgenähten Flicken an ihren Gewändern getragen hätten. Den gelben Stoff hatte Seine Heiligkeit Innozenz III. vor über einhundert Jahren den Juden als Kennung befohlen. Er symbolisiert, wie jedermann weiß, die Geldstücke, die diesem Volk mehr bedeuten als uns Christenmenschen. So dachte ich damals zumindest. Doch was geschrieben steht, das gilt, so glaube ich heute, für alle Seelen: Vendite quae possidetis et date elemosynam facite vobis sacculos qui non veterescunt thesaurum non deficientem in caelis quo für non adpropiat neque tinea corrumpit.

Die beiden jüdischen Geldwechslergehilfen erbleichten vor Furcht, als sie unserer ansichtig wurden. Der ältere der beiden, der uns ins Hinterhaus führte, zitterte am ganzen Leib, der jüngere, der zurückblieb und eilig hinter uns die Türe verriegelte, auf dass kein Kunde hineinkam und uns erblickte, verzog sein Gesicht, als wolle er gleich in Tränen ausbrechen. Meister Philippe war kalt und höflich und richtete nur wenige Worte an die beiden. Ich schwieg. Im Hinterhaus wurden wir eine Stiege hinaufgeführt, dann betraten wir eine große Bibliothek. Erstaunt blieb ich an der Türschwelle stehen und hätte wohl auch einen Ruf der Verwunderung, ja des Lobpreises ausgestoßen, wenn mir nicht im letzten Augenblick bewusst geworden wäre, wo ich mich befand.

An der dem Eingang gegenüberliegenden Seite waren drei schmale, jedoch sehr hohe Fenster in die Wand eingelassen. Durch das Glas ging der Blick ungehindert über die Dächer einiger ärmlicher Häuser und die oberen Geschosse des Hotel Dieu bis zum gewaltig aufragenden, im Nachmittagslicht rot leuchtenden Steingebirge der Kathedrale Notre-Dame.

»Ein Ausblick, welcher der Residenz eines Prälaten würdig wäre!«, rief auch Meister Philippe aus, der im hell hereinflutenden Sonnenlicht die Augen zu Schlitzen zusammengezogen hatte. »Deine Worte ehren mich, Herr!«, antwortete ein Mann, der hastig von einem Lehnstuhl aufgesprungen war, als er uns erblickt hatte. Nechenja ben Isaak war vielleicht vierzig Jahre alt; ein kurzgewachsener, rundlicher Mann in ledernem Wams und wollenen Beinkleidern. Hätte nicht auch er den gelben Flicken getragen, ich hätte ihn nicht von einem Christenmenschen unterscheiden können. Doch kaum hatte er erkannt, wer wir waren, da überzogen hektische rote Flecken sein Gesicht und der Schweiß trat ihm aus allen Poren, dass er ein Spitzentaschentuch hervorziehen musste und sich damit über das Gesicht fuhr.

Der Inquisitor bemerkte dies wohl und lächelte dünn. »Keine Sorge, mein Freund«, fuhr er fort. »Ich möchte dir nur ein paar Fragen stellen.«

»Gerne beantworten wir diese, Ihr Brüder vom Orden des heiligen Dominicus«, kam da eine Stimme aus einer links neben der Tür eingelassenen Wandnische. Eine Frauenstimme.

Erschrocken fuhr ich herum und erblickte dort, an einem fein geschnitzten Lesepult stehend, eine sehr junge Frau, fast noch ein Mädchen. Ihr Gesicht war schmal und fein, ihre Augen glänzten dunkel wie Opale und ihr langes, schwarzes, lockiges Haar ließ sich nur widerwillig von einer golddurchwirkten Spitzenhaube bändigen. Sie trug ein langes, gegürtetes blaues Gewand aus edlem Florentiner Tuch, das ihr vom schlanken Hals bis zu den Füßen reichte. Ein schlichtes und doch würdevolles Kleid, das jedem Edelfräulein angemessen gewesen wäre, wäre da nicht dieser gelbe Flicken mitten auf der Brust gewesen, der die dünne blaue Wolle verunstaltete wie eine Wunde. Nun war es an mir, zu erbleichen und vor Angst zu zittern, denn es kam mir vor, als hätte mich diese junge Frau, die uns furchtlos anblickte, hinterrücks überfallen. Oh, ich Narr! Ich suchte den Mörder eines Mönches - und fand doch, wo ich auch hinblickte, bloß Frauen, die meine Sinne betörten und meinen Geist verwirrten. »Das ist Lea, meine Tochter«, murmelte der jüdische Geldwechsler und ich konnte sehen, wie unangenehm es ihm war, dass wir ihrer ansichtig wurden.

Wir verneigten uns, das Lächeln auf Meister Philippes Zügen wurde eine Spur milder.

»Was hat unseren so tragisch verstorbenen Bruder Heinrich von Lübeck in dieses Haus geführt?«, fragte der Inquisitor dann unvermittelt. Er machte sich nicht die Mühe nachzufragen, ob jener unbekannte Dominikaner überhaupt der unglückselige Mönch aus Deutschland gewesen war.

Und richtig, Nechenja ben Isaak schluckte und nickte. »Er wollte, er kam zu mir, der Mönch suchte …« Der Geldwechsler brach seine unruhige Rede ab, sammelte sich und hub dann von vorne an. »Heinrich von Lübeck wollte von mir wissen, zu welchen Bedingungen er Geld von mir haben könne.« Er schwitzte wieder so stark, dass er zum Taschentuch greifen musste.

Da, zu meiner großen Enttäuschung und meinem fast ebenso großen Schrecken, nickte Meister Philippe kurz und sagte: »Nechenja ben Isaak, wir wollen uns zurückziehen und unter vier Augen darüber sprechen.«

Einen Moment später waren die beiden durch die Tür verschwunden. Ich blieb ratlos zurück, gedemütigt wie ein Novize — und allein mit Lea.

Scham ließ mein Gesicht glühen, auch wenn ich mir sagte, dass mir dies recht geschehe und mir eine Lehre sein sollte. Hatte ich nicht vor Meister Philippe von meinen Abenteuern geschwiegen? Hatte ich ihm so nicht gezeigt, dass es Gründe gab, mir nicht in allen Dingen zu vertrauen? Jetzt bekam ich die Rechnung dafür präsentiert. Der Inquisitor machte mir deutlich, dass er nicht gewillt war, sein Wissen mit mir zu teilen.

Während mir diese Gedanken durch den Kopf schössen, bebte allerdings auch eine Art freudiger Schrecken in mir. Mir war sehr wohl bewusst, dass die junge Jüdin in der Bibliothek zurückgeblieben war und mich aufmerksam musterte.

Doch was sollte ich nun tun? Wie lange mochte es dauern, bis Meister Philippe und der Geldwechsler zurückkehrten? Welche Worte sollte ich an Lea richten? Sollte ich sie befragen? Oder war es nicht vielmehr unschicklich, überhaupt ein Wort an sie zu richten? War es nicht gar schon eine Sünde, in ihrer Gegenwart auszuharren? Wenn man bedenkt, dass mich meine Mutter wahrscheinlich direkt nach meiner Geburt an jenem Abtritt ausgesetzt hatte, kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich bis zu jenem Nachmittag im Haus in der Rue de la Juiverie noch nie in meinem Leben mit einer Frau allein war. Selbst an jenem Tag auf dem Grand Pont, da mich die Frau des Reeders angesprochen hatte, war zwar glücklicherweise niemand dabei gewesen, der uns kannte, doch waren Dutzende, vielleicht Hunderte Menschen an uns vorbeigegangen. Nun aber war ich allein. Mein Hals war wie zugeschnürt, ich wusste nicht, wo ich meine Hände lassen sollte, und mein Gesicht glühte, als quälte mich ein Folterknecht mit seinem Marterwerkzeug. Es war Lea, die meine Pein zwar nicht vertrieb, doch linderte, indem sie meine Starre löste. Denn sie richtete das erste Wort an mich - mit einer Frage, die mir seltsam dünkte. »Ihr seid sehr gelehrt, nicht wahr, Bruder?«