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Wir bekreuzigten uns beide.

»Außerdem gibt es ja nichts, was ein Schiff jetzt in Paris laden könnte«, fuhr der Alte fort. »Getreide und Wein brauchen wir selbst für all die Menschen in unseren Mauern. Und feine Stoffe und edles Geschmeide, wie es unsere hochmütigen Gildenmeister fertigen? Wer sollte dies jetzt noch kaufen wollen? Nein«, er schüttelte entschieden den Kopf, »es gibt nichts, was jemand aus Paris bringen könnte in diesen Tagen.

Wenn Ihr mich fragt, Bruder: Der Kapitän der »Kreuz der Trave« will hier verschwinden. Vielleicht hat er Angst vor der Seuche und will nicht warten, bis sie auch Paris erreicht. Wenn er deshalb flieht, wäre dies allerdings dumm von ihm. Denn er muss ja durch ein Land fahren, in dem die Krankheit schon wütet. Oder aber …«

»… er flieht aus Paris, weil jemand hinter ihm her ist«, vollendete ich und erschauderte.

Was sollte ich tun? Meister Philippe alarmieren? Doch wo mochte er sein? Auf die Kogge eilen und die Abreise verbieten? Mit welcher Autorität? Mit welcher Begründung? Würde jemand auf mich hören? In meiner Ratlosigkeit fiel mir schließlich nichts anderes ein, als zum »Haus zum Hahn« zu eilen. Richard Helmstede hatte ich nicht auf Deck der »Kreuz der Trave« erblickt. Vielleicht, so hoffte ich, war er noch in seinem Anwesen in Paris. Dort wollte ich sehen, ob ich das Rätsel der Abreise zu lüften vermochte. So dankte ich denn dem Alten, segnete ihn und eilte davon.

Zunächst wandte ich mich zur Rue Saint-Denis, schließlich bog ich ab zum Katzenplatz. Dort, wo noch ein paar Wochen zuvor die Trödler aus ganz Frankreich ihre schäbigen Waren feilgeboten hatten, hatten sich nun Bauern, fahrendes Volk und wohl auch viele Bürgersleute aus anderen Städten niedergelassen. Mann und Weib, Alt und Jung lagerte hier ohne Rücksicht auf den Stand und die Schicklichkeit. Decken, leere Getreidesäcke und altes Stroh dienten überall als Schlafstatt, dazwischen standen Handkarren und abgespannte Ochsenwagen, hoch beladen mit Säcken, Kisten und allerlei Mobiliar. Es stank nach Kot, Urin und all den anderen Ausdünstungen von Menschen, die sich seit Tagen in der Sommerhitze nicht mehr vom Fleck gerührt hatten. Kleine Kinder schrien, ich hörte Dirnen lästerlich fluchen und Männer aufrührerische Reden schwingen. Doch noch machte jedermann mir Platz, als ich mit wehender Kutte durch die Menge eilte.

Hinter einem der mit Habseligkeiten überladenen Karren blieb ich stehen und beobachtete das »Haus zum Hahn«. Prachtvoll stand es da wie eh und je — so, als könne das menschliche Gewühl und Elend vor seinen Mauern ihm nichts anhaben. Ich hatte erwartet, Diener und Matrosen hinein- und hinauseilen zu sehen, beladen mit Vorräten und vielleicht sogar schon dem Gepäck des Reeders und seiner Gattin. Ich hätte, so hatte ich es mir auf meinem Weg vom Hafen kommend zurechtgelegt, einen dieser Diener auf dem Platz angesprochen, ihn unauffällig an einen Ort geführt, wo uns niemand sah, und mit der Strenge des Inquisitors befragt.

Doch nun stand ich ratlos hinter dem Karren und wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Da mir nichts Besseres einfiel, nahm ich mir vor, zunächst einmal zu warten. Hätte ich nur Geduld, würde ich früher oder später sicherlich jemanden erblicken.

Doch es kam genau andersherum: »Seht an, der junge Mönch! Wie freue ich mich, Euch endlich wiederzusehen, Bruder Ranulf!«, ertönte eine Stimme hinter mir.

Erschrocken fuhr ich herum — und stand vor Klara Helmstede. Die Reedersgattin hatte sich einen schlichten, braunen Schleier übergeworfen, sicherlich deshalb, um auf dem Katzenplatz kein unnötiges Aufsehen zu erregen mit prachtvollen Gewändern und funkelndem Geschmeide. Sie war wieder allein unterwegs, kein Diener, keine Magd war bei ihr. Unter dem Schleier drängte sich machtvoll ihr blondes Haar hervor, ihre blauen Augen blitzten mich spöttisch an und ihr weites Gewand trug sie so locker, dass ich unwillkürlich auf die helle Haut unterhalb ihres Halses starren musste. »Pax vobiscum«, murmelte ich verwirrt.

Da lachte sie wieder, so laut, dass es mir peinlich war, hier auf dem Platz, wo uns doch jeder sehen mochte. »Frieden, ja Frieden hätten wir alle gerne!«, rief sie.

Ich beschloss, mich weder zu rechtfertigen, noch lange um den heißen Brei herumzureden. »Warum wollt Ihr Paris verlassen?«, fragte ich. »Und wohin?«

»Immerhin«, erwiderte sie und wurde ernst, »das ist Euch nicht entgangen.«

Dann blickte sie mich forschend an. »Ihr seid nicht zufrieden mit dem, was Ihr schon wisst, junger Inquisitor, habe ich Recht? Ihr wollt mehr wissen von meinem Gatten, von meinem Schwager und seiner letzten, verfluchten Fahrt auf dieser Kogge - und von unserem neuen Ziel.«

Ich neigte mein Haupt und verzichtete auf eine Antwort. »Nun gut«, sagte sie. »Erweist mir die Ehre und nehmt ein frühes Abendmahl im ›Haus zum Hahn‹ mit mir ein, dann werde ich Euch ein paar Geschichten erzählen, die Euch gewiss zu denken geben werden.«

»Ich soll mit Euch ins Haus kommen?«, stammelte ich - zu verblüfft, um in diesem Moment an meine Würde zu denken. Da lachte Klara Helmstede wieder ihr beunruhigendes, fröhliches, auffälliges Lachen. »Ja, Bruder, Ihr sollt mit mir ins Haus kommen! Oder wollt Ihr, dass ich Euch hier auf dem Katzenplatz alles erzähle? Oder dass wir uns in die nächste Taverne setzen, um sauren Wein und die Blicke des fahrenden Volkes zu genießen?«

So zögerte ich nur kurz — dann schlug ich meine Kapuze hoch und folgte Klara Helmstede zum Haus. Der Drang, endlich das Geheimnis der Kogge zu ergründen, trieb mich. Das zumindest redete ich mir ein. Doch selbstverständlich - der HERR wusste es längst - trieb mich auch noch etwas ganz anderes.

*

Klara Helmstede führte mich in eine Stube im ersten Geschoss, wo ein eichener Tisch direkt an einem Butzenfenster stand, durch das man auf den Katzenplatz hinunterblicken konnte. Sie läutete nach einer Dienerin und wies sie an, aufzudecken. Die Dienerin, eine junge Magd, mied meinen Blick.

Auch mir war es unangenehm, dass ich vor einer Zeugin mit der Gattin des Reeders zusammensaß. Noch peinlicher berührt war ich allerdings, als ich sah, dass die Magd nur zwei Teller auf den Tisch stellte.

»Euer Gatte speist nicht mit uns?«, fragte ich und hörte dabei, wie meine Stimme zitterte.

Da lachte Klara Helmstede wieder. »Er hat dringende Geschäfte in Paris zu erledigen. Fragt mich nicht, Bruder, welche Geschäfte das sind!«

»Uxori vir debitum reddat«, murmelte ich.

So sicher war ich mir, dass die Reedersgattin kein Latein verstand, dass ich vor Scham am liebsten in den Boden versunken wäre, als sie antwortete: »Similiter autem et uxor viro. Mögt Ihr ein wenig Wein, Bruder? Kostet diesen hier, ein weißer Burgunder, eisgekühlt. Das Richtige bei einer Hitze wie heute. Ihr zittert ja und Schweiß perlt auf Eurer Stirn. So nehmt doch wenigstens Eure Kapuze ab!« Ich kostete, verschluckte mich und hustete, denn ich trank selten Wein - und sicherlich niemals einen so edlen wie an jenem Abend. Verlegen sah ich mich in der Stube um, während die Dienerin die Speisen brachte. In einer Ecke des Raumes stand die Statue eines Heiligen: Sie war aus Holz geschnitzt und fast mannshoch, doch so grob ausgeführt, dass ich nicht erkennen konnte, wer dargestellt sein sollte.

»Das ist der heilige Nikolaus«, sagte Klara, die sich gesetzt hatte und meinem Blick gefolgt war. »Der Patron der Seefahrer. Mein Gatte hat die Figur von seinem Vater geerbt. Er nimmt sie immer mit, wenn er eine längere Reise tut, auf dass der Heilige ihn alle Zeit beschützen möge.«

Ich deutete auf einen kleinen Ledersack, der an den rechten Arm der Statue gehängt worden war. »Ist dies auch ein Erbstück Eures Schwiegervaters?«

Da lachte Klara Helmstede und schüttelte den Kopf. »Nein, diesen Brauch habe ich in die Ehe mitgebracht: Ein Säckchen, gefüllt mit Alraunenwurzeln. Das schützt mich.«

Hastig schlug ich das Kreuz. »Aber das ist Magie. Wenn nicht Hexerei!«, rief ich empört.