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»Wollt Ihr mich nun bei Meister Philippe denunzieren?«, fragte die Reedersgattin spöttisch.

Ich rang nach Fassung. Wieso hatte dieses Weib keine Angst, keinen Respekt? Sie schien sich ihrer Sache vollkommen sicher zu sein. Doch war sie das nicht auch? Ich müsste sie in der Tat anzeigen, denn dies war die Pflicht eines jeden Christenmenschen und eines Inquisitors noch viel mehr. Nur wie hätte ich Meister Philippe erklären sollen, was ich allein in einer Stube mit einer ehrbaren Frau gemacht hatte? Mit der Gattin eines Mannes zudem, der möglicherweise in den Tod eines Mönches verstrickt war — eine Schandtat, die wir Inquisitoren aufzuklären hatten? Denunzierte ich Klara Helmstede, so würde ich mich selbst denunzieren. Also schwieg ich und blickte auf meinen Teller.

Die Speisen, die uns von der Magd aufgetischt worden waren, sahen verführerisch aus und so gab ich mich der Sünde der Völlerei hin. Jakobsmuscheln und helles Brot ließ ich mir zum weißen Burgunder munden, ich hatte dergleichen noch nie gekostet. Dann trug die Dienerin zarten Rinderbraten in dunkler Soße auf. Als ich den ersten Bissen genommen hatte, war mir, als brenne Feuer in meinem Mund — ein Feuer jedoch, das Zunge, Gaumen und Lippen wollüstig kitzelt, das aufflammt, lodert und vergeht mit einem Schluck. Tränen sprangen aus meinen Augen und doch war ich glücklich. »Das ist Pfeffer aus dem Land der Feinde Gottes«, bemerkte Klara Helmstede, die sich nicht einmal bemühte, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken. »Mein Gatte lässt ihn aus Venedig kommen.«

»Pfeffer ist so kostbar, Ihr könntet ihn mit Gold aufwiegen«, keuchte ich, als ich wieder zu Atem gekommen war.

»Gold kann man nicht essen«, erwiderte die Reedersgattin und schenkte mir aus einem großen Zinnkrug kühles Starkbier ein. Ich wollte nur einen Schluck nehmen, doch der Pfeffer entzündete meinen Durst, sodass ich, kaum das ich mich versah, den Krug geleert hatte.

So aß ich das zarte Fleisch und trank das Bier aus Gerste und verbrannte mir den Mund an der dunklen Pfeffersoße. Später gab es Äpfel aus der Normandie, vom letzten Jahr zwar, doch kaum faltig und noch leidlich süß, dazu Honig und einen großen Krug Brombeerwein, der süßer noch war als die Frucht selbst und dunkel wie Blut.

In all der Zeit plauderte Klara Helmstede mit mir, der ich vor allem aß wie ein Verhungernder. Sie war freundlich, doch weiß ich heute nicht mehr zu sagen, über was sie eigentlich mit mir sprach. Erst nach dem Mahl, da ich meine Hände in Rosenwasser tunken durfte wie ein edler Herr und meinen Mund mit einem linnenen Tuch abwischte wie ein Kardinal, kam ich wieder zu mir. »Ich danke Euch für all diese Köstlichkeiten, Frau Helmstede«, so hub ich an, »doch nun verratet mir, seid so freundlich, was Ihr von der seltsamen Unglücksfahrt der Kogge wisst.«

»Verratet mir zunächst, warum Ihr so begierig seid, dies zu erfahren, Bruder Ranulf.«

Es lag mir schon auf der Zunge, ihr zu antworten, dass sich ein Inquisitor nicht rechtfertigen müsse, doch irgendeine Macht hinderte mich, diese Respekt heischenden Worte zu äußern. So erklärte ich ihr, dass Heinrich von Lübeck, wie sie sicherlich wisse, der Beichtvater des toten Kapitäns — ihres Schwagers — gewesen sei, und wir Inquisitoren müssten nun einmal allen Spuren nachgehen, so dunkel und abwegig sie auch erscheinen mögen. »Nun gut«, sagte die Reedersgattin schließlich, »ich erinnere mich noch genau an diese Fahrt, denn mein Gatte war natürlich aufs Höchste erregt, als er feststellte, dass sein Bruder nicht zurückkam.«

»Wann war das?«, fragte ich.

Klara Helmstede dachte einen Moment lang nach. »Die ›Kreuz der Trave‹ lief Anfang Mai des letzten Jahres aus Lübeck aus. Genau weiß ich dies nicht mehr zu sagen, denn zu diesem Zeitpunkt schien es ja noch eine normale Fahrt zu sein. Weder ich noch sonst jemand in unserem Hause machte sich Gedanken darüber. Doch aus dem Mai wurde Juni und aus dem Juni wurde Juli, und als dann immer noch kein Wort kam von der Kogge, da sandte mein Gatte Boten aus zu allen Häfen entlang der Nordsee und der Ostsee, bis nach England und nach Norwegen. Doch nirgends hatte jemand die ›Kreuz der Trave‹ gesehen. So gingen August und September dahin und wir gaben das Schiff und seine Besatzung verloren und ließen eine Messe lesen für den älteren Bruder meines Gatten und die Seeleute, die mit ihm gefahren waren.

Doch Anfang Oktober — es war der Tag des heiligen Franziskus, ich erinnere mich genau — schleppte sich die ›Kreuz der Trave‹ in den Hafen von Lübeck.

Man sah der Kogge an, dass sie eine lange Reise getan haben musste. Niemand war mehr an Bord, nur Otto Helmstede, mein Schwager, war noch am Leben — wenn auch bloß für wenige Stunden.«

»Habt Ihr noch mit ihm sprechen können?«, fragte ich. »Nein«, sie schüttelte den Kopf, »auch wenn ich dies gern getan hätte.« Aufrichtiges Bedauern schwang in ihrer Stimme mit. Ich wunderte mich, ob es der enttäuschten Neugier entsprang, nicht mehr von der rätselhaften Fahrt erfahren zu haben, oder ob sie in echter Anteilnahme um ihren Schwager trauerte.

»Otto Helmstede«, fuhr sie nach einer Pause mit ihrem Bericht fort, »lag am Heck zusammengesunken an der Steuerpinne, seine Hände waren fest ins Holz gekrallt. Seine Sinne waren fast geschwunden — doch noch war er so klar im Geiste, dass er jeden, der sich ihm nähern wollte, mit müder Geste und leisen, doch schrecklichen Verwünschungen fortscheuchte.

Nur Bruder Heinrich ließ er zu sich kommen. Der Mönch kniete neben meinem Schwager, flüsterte wohl eine halbe Stunde lang mit ihm, bis dem Kapitän die Sinne schwanden und er sein Leben in den Armen seines Beichtvaters aushauchte. Erst dann durfte ich hinzutreten und Bruder Heinrich bat einige Matrosen, den Leichnam meines Schwagers von Bord zu tragen.«

Klara Helmstede verstummte und starrte lange aus dem Fenster. »Wie auch immer«, sagte sie schließlich, als müsse sie sich zwingen, ihre abschweifenden Gedanken wieder auf unser Gespräch zu lenken, »ich bat Bruder Heinrich, mir Bericht zu erstatten, doch er verriet mir nicht, was ihm der sterbende Kapitän gesagt hatte. Dann ordnete ich an, die ›Kreuz der Trave‹ an einen abgelegenen Pier zu schleppen.«

»Ihr tatet dies?«, hakte ich verwundert nach.

Sie lachte. »Wer denn sonst? Mein Gatte war doch, wie er Euch sagte, nicht in Lübeck in jenen Tagen. Männer gehorchen meinen Worten, glaubt mir das, Bruder.« Wieder lachte sie und mir lief ein Schauder über den Rücken.

»Warum ließet Ihr die Kogge so rasch an einen abgelegenen Pier bringen?«, wollte ich wissen.

»Weil das Gerede anfing, kaum dass die ›Kreuz der Trave‹ im Hafen lag. Ein ›verhextes Schiff sei sie, sie habe den Teufel selbst an Bord gehabt — was ja vielleicht auch stimmte.«

Ich nahm gerade einen Schluck Brombeerwein, als Klara Helmstede dies fast gleichmütig sagte, und musste husten vor Überraschung. »Wieso glaubt Ihr das?«, keuchte ich. »Ich habe die Ladung gesehen«, gab sie zur Antwort. Ich hustete wieder. »Aber Euer Gatte und der Steuermann Gernot sagten, dass das Schiff nichts geladen hatte!«

Klara Helmstede schüttelte den Kopf. »Die beiden haben nichts gesehen, das ist etwas anderes. Die Kogge hatte fast nichts geladen. Ein paar Matrosen, die das steuerlose Schiff beim Einfahren in den Hafen geentert hatten, um es unter Kontrolle zu bringen, führten mich hinunter in den Frachtraum. Dort lag«, sie zögerte kurz, »ein Fell.«

»Ein Fell?«

»Ja, ein Fell. Ich kenne mich aus mit Pelzen, glaubt mir Bruder! Hermelin und Fuchs schmücken meine Gewänder. Ich dachte zunächst, dass dieses Fell, das übrigens stank wie Aas und Schwefel, einem Bären abgezogen worden sei. So groß war es und braun, wie es das der Bären aus den Pyrenäen und aus Polen ist. Doch, denkt Euch, am Fell hingen lange Beine — mit einem Huf. Und ein langer Schwanz. Und auf dem wuchtigen Kopf, da wuchsen zwei Hörner!« Ich schlug das Kreuz und schluckte. Auch die Stimme der Reedersgattin zitterte.