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»Oh ja, es war, als habe jemand dem Leibhaftigen das Fell abgezogen! Die Matrosen flohen, als sie die Hörner und den Huf erkannten. Und ich«, ihre Stimme verlor sich. »Ich blieb unten, in jenem düsteren, stickigen Raum unter Deck, und betete. Da glaubte ich, eine Stimme zu vernehmen: ›Verbrenne es!‹, befahl sie mir.«

»Ihr habt das Fell verbrannt?«, fragte ich ungläubig. »Was hätte ich sonst tun sollen? Schon flogen Gerüchte durch die Gassen von Lübeck. Ich ließ eilig nach Bruder Heinrich schicken, der in die Kirche geeilt war, um eine neue Totenmesse - denn wir hatten ja schon vor langem eine abhalten lassen - vorzubereiten. Ich beriet mich mit ihm. Auch er glaubte, dass irgendwie - GOTT allein mag wissen, wie - ein Wesen der Finsternis an Bord gekommen sein muss.

Er befahl also auf der Stelle einigen Matrosen, noch am Pier einen Scheiterhaufen aufzuschichten. Da die Männer ihn liebten und fürchteten, überwanden sie ihre Angst, schleppten das scheußliche Fell hinaus und warfen es in die lodernden Flammen. Hinterher schworen alle, die dabei gewesen waren, dass sie eine schwärzliche Seele gesehen hatten, die schreiend aus den Flammen stob und in einer Spalte der Erde verschwand.

Ich habe meinem Gatten nichts davon erzählt. Ich wollte nicht, dass ihm noch mehr Schmerzen zugefügt werden, als er sie durch den Tod seines Bruders sowieso schon erdulden musste. Mag sein, dass er später trotzdem von der Geschichte erfahren hat. Die Seeleute haben sie sicherlich herumerzählt. Wir beide haben darüber jedoch nie ein Wort verloren.«

Wie betäubt saß ich da. Ich sollte fieberhaft nachdenken, doch irgendwie wollte es mir nicht gelingen, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

»Gab es noch eine andere Fracht?«, fragte ich schließlich, da mir nichts Besseres einfiel.

»Nein«, Klara Helmstede schüttelte den Kopf. »Das heißt, doch, ja, es gab da noch ein paar Säcke mit einem seltsamen Getreide. Einem Korn, so groß wie Erbsen, doch fahl und hart und ungenießbar. Wir warfen es auch ins Feuer, wie auch einige Lumpen und Papiere, die im Achterschiff verstreut herumlagen.«

»Sonst nichts?«

»Nichts.«

Ich starrte lange auf den Tisch und dachte nach. »Ich mag nicht glauben, dass die ›Kreuz der Trave‹ in die Hölle gefahren ist. Denn wäre es so gewesen, Satan hätte sie niemals mehr freigegeben«, murmelte ich. »Wenn sie allerdings auch nicht in einem Hafen der nordischen Länder der Christenheit war, wo war die Kogge dann all die Monate?«

»Ihr glaubt, dass Bruder Heinrich deshalb umgebracht worden ist, weil er von meinem Schwager, dem sterbenden Kapitän, das Ziel der Reise erfahren hat?«, fragte Klara Helmstede. »Aber vielleicht ist das alles nur ein tragischer Zufall und mein Gatte und seine Kogge haben nichts mit jener Untat zu schaffen.«

»Das mag wohl sein«, gab ich zu, doch ich erinnerte mich an die Nachricht, welche mir die Tochter des Geldwechsler zugesteckt hatte. Ich war leider nicht sehr geschickt darin, ein Gespräch zu führen - und bin es auch heute noch nicht —, schon gar nicht mit einer Frau wie Klara Helmstede, die einem die Sinne und den Geist verwirrte. So fiel mir denn keine unauffällige Äußerung ein, mit der ich unserer Unterhaltung eine neue Wendung hätte geben können. Stattdessen fragte ich schließlich rundheraus, auch wenn es grob war: »Hat Euer Gatte etwas mit den Juden von Lübeck zu schaffen? Gar mit ihrem Rabbiner?«

Aus den Augen der Reedersgattin schössen Blitze zu mir und einen Moment lang glaubte ich, sie würde mir einen Teller ins Gesicht schleudern oder meine Wange mit ihren langen, wohlgepflegten Fingernägeln zerkratzen.

»Seid Ihr von Sinnen, Bruder Ranulf? Wir sind gute Christen«, rief sie empört.

Dann jedoch stockten ihr die Worte. Sie dachte nach — und urplötzlich änderte sich, ich vermag es nicht anders zu beschreiben, das Blitzen ihrer Augen. Und ich, Narr, der ich war, sonnte mich auf einmal in ihrer Bewunderung. Sie, die mich stets mit einer Spur Hochmut behandelt hatte, dachte nun nicht mehr an Spott. »Jetzt weiß ich, Bruder Ranulf, warum Meister Philippe Euch zum Gehilfen erkor. Ihr werdet einen guten Inquisitor abgeben, nein, Ihr seid es schon!«, rief sie aus.

In gespielter Demut neigte ich mein Haupt, um meinen Hochmut zu verbergen - und meine Verlegenheit. Zwar schmeichelte mir die überraschende Bewunderung dieser Frau, doch warum sie meine so plumpe Frage dermaßen in Erregung versetzte - das wiederum vermochte ich nicht zu ergründen. Doch ich musste nicht lange auf die Aufklärung dieses Rätsels warten.

»Seekarten!«, rief sie nun. »Ihr spielt darauf an, Bruder Ranulf. Ja«, sie nickte, während sie weitersprach, »mein Gatte vertraut diesen neumodischen Dingen mehr als der überlieferten und erprobten Tradition und er befiehlt auch seinen Kapitänen, es so zu halten.« Ich blickte sie fragend an, doch verzichtete ich klugerweise darauf, etwas zu sagen.

»Wisst Ihr, Bruder Ranulf, wie ein Kapitän seinen Kurs findet?« Ich schüttelte den Kopf und schwieg.

»Es ist ein Ding der Erfahrung, der langen Jahre auf See, der unzähligen Fahrten entlang der Küsten. Irgendwann kennt ein Seemann — ein guter Seemann zumindest, einer, der das Zeug hat zum Kapitän - alle diese Küsten. Kennt jeden Hügel und jede Windmühle, jede Kirchturmspitze und jede Halbinsel, hat Tausende und Abertausende Ellen Küstenlinie im Kopf. Ein Blick genügt ihm und er weiß, wo er ist, bei Tag und selbst bei Nacht - vorausgesetzt, dass der Mond ein wenig Licht spendet.«

»Und wenn er einen entfernten Hafen ansteuern muss? Oder ihn ein ungünstiger Wind forttreibt? Was macht ein Kapitän, wenn die Küste hinter dem Horizont versunken ist?«

»Der Kapitän sieht auf das Wasser«, antwortete die Reedersgattin, die offenbar nicht nur in Dingen des Geldes mehr wusste, als einem Weibe anstand. »Mancherorts ist das Wasser tiefblau wie Eisen, andernorts schwarz oder grün oder braun wie eine helle Soße. Oft lässt er auch das Senkblei werfen. Das Meer, das uns doch immer gleich scheint, ist in Wahrheit an manchen Stellen bloß einige Klafter tief, an anderen hingegen Hunderte. Kennt ein Kapitän die Farbe und die Tiefe des Wassers, so mag er schon wissen, wo er sich befindet. Reicht ihm dies nicht, müssen ein paar Matrosen mit einem kleinen Eimer, der an ein festes Tau gebunden ist, Meeresgrund nach oben schöpfen. Denn mancherorts liegt gelber Sand in der Tiefe, an anderen Stellen ist es weißer, an wieder anderen Stellen sind es Steine oder schwarzer Schlamm oder brauner.«

»Also müssen Eure Kapitäne, Frau Helmstede, nicht nur die Küsten der Meere kennen, sondern auch ihren verborgenen Grund und die Farbe ihres Wassers.«

»Ja, und genau das plagt meinen Gatten: Denn um ein guter Kapitän zu werden, muss man jahrelang zur See gefahren sein. Wir jedoch handeln mit Hamburg und Bergen, mit Brügge, Stockholm, London, mit Danzig und Riga und mehr Häfen, als ich aufzuzählen vermag. Jahr für Jahr werden die Fässer, Säcke und Ballen, die unsere Koggen transportieren, zahlreicher und größer. Wir schicken Schiffe hinaus, mehr und immer mehr.«

»Das wird gut sein für das Geschäft«, warf ich ein und dachte in jenem Augenblick an die Münzen, die wir bei meinem toten Mitbruder gefunden hatten.

»Ja«, sagte Klara Helmstede, die kaum auf meinen Einwurf geachtet zu haben schien. »Gulden füllen unsere Kasse. Mit Gulden kann man neue Schiffe auf Kiel legen lassen und Seeleute anheuern, auf dass sie diese Schiffe auch bemannen. Aber Kapitäne? Die kann man sich nicht einfach kaufen: Es gibt nur wenige, denn Jahre dauert die Ausbildung, und auch von jenen, die diese lange Zeit zur See gefahren sind, sind viele nicht gut genug, um ein ganzes Meer in ihr Gedächtnis zu zwingen.

Also sann mein Gatte darüber nach, wie wir schneller Kapitäne ausbilden könnten. Es muss, so glaubt er, eine Möglichkeit geben, guten, wenn auch noch relativ unerfahrenen Männern ein Mittel an die Hand zu geben, auf dass sie die Häfen finden, die sie ansteuern sollen. Da hörte er von neuen Karten, die in Italien und Spanien gezeichnet werden. Von Seekarten.«