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»Seekarten?«

Sie lächelte mich an. »Bruder Ranulf, ihr seid gelehrt. Ihr wisst, dass Jerusalem der Mittelpunkt des Erdenrundes ist. Doch zeichnet man unsere Welt mit der Heiligen Stadt im Zentrum, dann, so erinnert Euch, sind Nord- und Ostsee kaum mehr als blaue Tintenkleckse irgendwo am linken Rand der Weltenscheibe. Das ist so, denn es ist GOTTES Wille, dass sie unbedeutende Meere nur sind. Doch einem Kapitän, der auf diesen vielleicht unbedeutenden, doch stürmischen und gefährlichen Meeren fährt, dem nützt eine Karte wenig, wie sie wohl einem Mönch im Kloster gefiele. Was soll ein Seemann, der von Lübeck über die Ostsee bis Gotland segelt, mit einer Karte anfangen, welche alle Straßen um Jerusalem zeigt und alle Burgen der Kreuzritter im Heiligen Land und die Mauern von Rom und wohl auch noch die Kirchen von Paris — aber nicht eine einzige Insel in der Ostsee?

So sind einige Gelehrte aus Genua, die ein ähnliches Problem plagt, wiewohl sie das Mittelmeer befahren, als Erste auf die Idee gekommen, Karten zu zeichnen, die nichts anderes zeigen als die Küsten eines Meeres sowie alle Häfen, Inseln und sogar tückische Riffe und Sandbänke.

Mit ihnen - sofern man sie zu lesen versteht, doch das lernt sich recht schnell — ist es nun nicht mehr notwendig, alle Küsten im Kopf zu haben. Man kann ja nachsehen, wo jener Hügel liegt, den man gerade erblickt hat, oder dieser Kirchturm. Ist er noch zehn Meilen von meinem Hafen entfernt oder gar einhundert? Auch dies muss man sich nicht länger merken — ein Blick auf die Karte genügt, dann kennt man die Distanz.

Das, was die Italiener seit einigen Jahren umtreibt, ist keine geheime Kunst. So haben es die Spanier von ihnen gelernt und haben nicht nur das Mittelmeer gezeichnet, sondern auch den jenseitigen, großen Ozean sowie das Meer zum Norden, zwischen Frankreich und England, weil auch dort ihre Schiffe kreuzen. Und dann haben sie einfach weitergemacht - da Männer wie mein Gatte den Wert dieser Karten erkannt haben und ihnen gutes Geld dafür bieten. Wir haben selbst einige unserer erfahrensten Kapitäne nach Barcelona und Sevilla geschickt und sogar auf die Insel Mallorca, wo die besten Kartografen arbeiten. Unsere Schiffsführer haben alles berichtet, was sie von der Ostsee und der Nordsee wissen - und sie sind mit Karten zurückgekehrt, auf denen Ihr genau sehen könnt, wie Ihr Euren Kurs abzustecken habt, wollt Ihr von Lübeck nach Gotland segeln.« Endlich dämmerte es mir, warum mich Klara Helmstede so bewundernd angestarrt hatte. »Diese spanischen Kartenzeichner«, hub ich an, »sind Juden?«

»Sie verstehen sich aufs Zeichnen besser als so manche Christen, die einfach nicht einsehen wollen, warum wir Jerusalem nicht in der Mitte unserer Karte haben wollen.«

»Es riecht nach Ketzerei«, flüsterte ich.

Klara Helmstede lachte. »Das mag sein, Bruder Ranulf. Deshalb ist es den Juden, deren Seelen sowieso verdammt sind, vielleicht gleichgültig. Mein Mann denkt zumindest in diesem einen Punkt genauso wie die Juden: Wenn es einem Kapitän hilft, seinen Hafen zu finden, dann kann es keine Sünde sein.«

»Kennt Ihr die jüdischen Zeichner aus Spanien?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nie einen zu Gesicht bekommen, doch Namen habe ich schon gehört. Mein Gatte sprach bewundernd von einem Meister mit Namen Angelino Dulcert aus Mallorca. Und von einem Abraham Cresques, einem jungen Mann, der mit feinem Strich arbeitet.«

»Habt Ihr von einem Nechenja ben Isaak gehört?« Ich wagte kaum, diese Frage zu stellen.

Klara Helmstede dachte kurz nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, nie. Wer soll das sein?«

»Das ist gleichgültig. Es war nur so ein Gedanke«, antwortete ich rasch und bemühte mich, meine Stimme nicht allzu enttäuscht klingen zu lassen.

Klara Helmstede musterte mich aufmerksam. »Bruder Ranulf, darf ich zur Abwechslung auch an Euch eine Frage stellen?« Ich machte eine vage Geste. »Stellt Eure Frage, Frau Helmstede.«

»Wohin will mein Gatte reisen?«

Verblüfft starrte ich sie an. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich verstanden hatte, was sie von mir wissen wollte. »Ich dachte, das könntet Ihr mir erklären!«, rief ich dann.

Da lachte Klara Helmstede. »Mein Gatte ist in den letzten Tagen ständig in Paris unterwegs. Ich weiß nicht, was er tut, oder wo er hingeht. Selbstverständlich sehe ich, dass die ›Kreuz der Trave‹ für eine Fahrt bereit gemacht wird - für eine sehr lange Fahrt, wie mir scheint-, doch mein Gatte redet nicht mit mir darüber. Ich kenne nicht einmal den Tag unserer Abreise, auch wenn ich vermute, dass er nicht mehr allzu fern ist.«

Ich schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich muss Euch gestehen, dass ich in diesen Dingen um nichts klüger bin als Ihr«, antwortete ich betrübt. »Warum glaubt Ihr, dass er nicht einfach nach Lübeck zurückkehren will?«

»Wir laden mehr Vorräte, als wir für eine solche Reise eigentlich an Bord haben müssten. Wir könnten doch unterwegs in vielen Häfen anlegen, um Wasser und Speisen aufzunehmen, so wie wir es auf der Hinfahrt auch getan haben.«

»Das könntet Ihr nicht, Frau Helmstede«, sagte ich. »Die Seuche, von der alle Menschen sprechen, wütet in Frankreich und in vielen anderen Ländern der Christenheit. Vielleicht erscheint es Eurem Gatten da sicherer, Paris zu verlassen und nirgendwo anzulegen, bis Ihr Lübeck erreicht habt.«

Und, doch das verriet ich der Reedersgattin nicht, schneller war es obendrein: Bereitete Richard Helmstede seine Flucht vor? Fürchtete er Verfolger, die ihn in einem Hafen einholen und stellen könnten? Würde er sich überhaupt nach Norden wenden, nach Lübeck? Wer könnte ihn, hätte er erst einmal die hohe See erreicht, daran hindern, gen Süden zu segeln? Nach Spanien etwa, zu den jüdischen Kartografen? Würden ausgerechnet Juden, die ketzerische Seekarten zeichneten, einen Mann - und guten Kunden - wie Richard Helmstede an die Inquisition verraten?

Mir schwindelte bei diesen Gedanken und ich griff nach dem Wein, den Klara Helmstede mir bereitwillig reichte. Sie schien erleichtert zu sein.

»Ich danke Euch, Bruder Ranulf«, sagte sie freundlich. »Nie zuvor ist ein Kapitän von Frankreich bis nach Lübeck — oder irgendeinen anderen Ostseehafen - gesegelt, ohne unterwegs gar manchen Hafen anzulaufen. Deshalb habe ich an eine solche Möglichkeit gar nicht gedacht. Sicherlich will mein Gatte die ›Kreuz der Trave‹ ungestört nach Lübeck bringen, auch wenn ich noch immer nicht zu sagen vermag, warum er dann mir gegenüber so verschlossen ist. Ich hatte bislang, zumal er so schweigsam war, befürchtet, er könnte«, sie schien einen Augenblick lang nach den richtigen Worten zu suchen, »nun, um es frank und frei zu sagen: Ich hatte Angst, dass mein Mann dorthin reisen will, wohin auch sein Bruder gereist ist. Zum Land der Teufel.«

Ich verschluckte mich am Wein und hustete. »Selbst wenn es ein solches Land gäbe — und warum sollte GOTT dies zulassen? —, so wüsste Euer Gatte doch nicht, wo es liegt.«

»Bruder Heinrich hätte es ihm sagen können«, antwortete Klara Helmstede knapp.

»Er hat dem sterbenden Kapitän die Beichte abgenommen!«, rief ich empört. »Niemals würde ein Dominikaner das Beichtgeheimnis verletzten, schon gar nicht …« Ich verstummte.

»Schon gar nicht einem Laien gegenüber, der zudem bloß ein Krämer ist«, vollendete die Reedersgattin und lachte. »Da habt Ihr wohl recht gesprochen, Bruder Ranulfl Ich danke Euch noch einmal. Ihr habt eine große Last von meiner Seele genommen, die mich all die letzten Tage bedrückte. Doch nun glaube ich, dass mein Gatte nicht finsteren Ländern entgegensteuern will, sondern, im Gegenteil, meiner Heimatstadt. In den nächsten Wochen oder vielleicht nur Tagen werden wir Paris verlassen.«

Ich sagte nichts dazu und neigte nur leicht mein Haupt. So sicher war ich mir nicht, dass Richard Helmstede bald aus der Stadt verschwinden konnte. Ich würde mit Meister Philippe reden müssen. Außerdem, auch wenn ich mich verzweifelt bemühte, nicht daran zu denken, versetzte es meinem Herzen doch einen Stich, wenn ich mir vorstellte, dass ich Klara Helmstede womöglich niemals mehr wiedersehen würde.