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Vielleicht war es dieser Trübsinn, vielleicht war es auch der Wein — ich war jedenfalls nicht so wachsam, wie es einem Mönch doch gerade in Gegenwart eines Weibes geziemt.

Klara Helmstede erhob sich vom Tisch, zum Zeichen dafür, dass das Mahl beendet sei. Hastig sprang auch ich auf und wollte schon Abschiedsworte murmeln, da neigte die Reedersgattin leicht das Haupt. »Erlaubt Ihr, Bruder Ranulf, dass ich Euch ein Stück weit des Weges zurück zum Kloster begleite?«

Als sie meinen entsetzten Blick sah, hob sie die Hände und lachte. »Oh, seid unbesorgt! Meine Dienerin wird uns weite Umhänge bringen, niemand soll uns erkennen. Ich werde Euch nicht lange begleiten, vielleicht nur bis zum Ende des Katzenmarktes. Ich glaube nur, dass ich noch einmal aus den Mauern dieses Hauses entkommen, dass ich die frische Luft - und seien es nur die Ausdünstungen der Stadt - atmen muss, bevor die Nacht anbricht. So befreit fühle ich mich jetzt, da ich glaube, das Ziel unserer baldigen Abreise zu kennen!« Und ich? In meiner Seele regte sich kein Widerspruch, nicht ein abweisendes Wort kam über meine Lippen. Nein, im Gegenteiclass="underline" Ich verneigte mich, murmelte meinen Dank und sagte, wie sehr ich mich freue, dass sie noch einige Schritte an meiner Seite gehen wolle. So kam es, dass die Dienerin, die mich nicht anblicken mochte, mir mit gesenktem Haupt einen weiten, grauen Umhang reichte, der meinen Mönchshabit vollkommen verbarg. Einen ebensolchen Umhang warf sich Klara Helmstede über, sodass man in ihr, sah man nicht allzu genau auf den Gang, nicht einmal eine Frau erkennen konnte. Wie zwei graue Schatten glitten wir aus dem Haus. Hinein in eine Nacht der Feuer.

*

Erst vor dem Haus fiel mir wieder ein, dass nun die Johannisnacht anbrach. Wobei »Nacht« noch nicht das richtige Wort war für jenen sommerlichen Dämmerzustand, da die Sonne zwar nicht mehr am Himmel stand, die Dunkelheit sich jedoch noch nicht einstellen wollte. Schwer und feucht stand die Luft in den Gassen und Straßen. Blassblau war der Himmel, wie ein verwaschenes Gewand. Schwärzliche und gräuliche Schwaden durchzogen ihn, denn überall loderten bereits die Feuer auf: In den Gassen, auf den Plätzen, an den Ufern der Seine, ja auf den Brücken selbst, obzwar diese aus Eichenbalken gezimmert waren, standen hoch aufgerichtete Scheiterhaufen. Auch auf dem Katzenplatz leckten die ersten Lohen an Reisig und Holz, als Klara Helmstede und ich das »Haus zum Hahn« verließen. »Lasst uns näher zum Feuer gehen, Bruder Ranulf, ich bitte Euch!«, rief die Reedersgattin. Und wahrhaftig, sie fasste meine Hand und zog mich mit. Welche sündige Wonne es war, ihre Hand in der meinen zu spüren!

Niemand achtete unser. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich so viele Menschen auf einem so engen Platz zusammengedrängt gesehen, wie in jener vom Gewitter bedrohten Nacht auf dem Katzenplatz hinter Les Halles in Paris. Die Bürger der Stadt waren wohl alle auf den Beinen, dazu Bauern aus dem Umland, fahrendes Volk und unzählige Flüchtlinge aus allen Städten und Provinzen des Reiches. Wir drängten uns an lachenden Männern und Frauen vorbei, an kreischenden Kindern und kläffenden Hunden. Es war, als habe jedermann beschlossen, in der Johannisnacht nicht an die Seuche zu denken, die irgendwo jenseits der Stadtmauern auf uns Sünder lauerte. Ich roch Ochsenbraten, heißes Fett und warmes Brot und die Weinschläuche kreisten von Mund zu Mund. Ich schloss meine Hand fester um die von Klara Helmstede.

So gelangten wir denn tatsächlich bis an den Rand des größten Holzstoßes, der sich mitten auf dem Platz erhob. Heiß waren die Flammen, rot und gelb loderten sie hoch, fast bis zu den Dachfirsten der Häuser am Rande. Funken stoben wie leuchtende Gespenster durch die Luft und erloschen mitten im Flug. Das Holz knackste und ächzte, als würde ein schwerer Sturm durch einen alten, müden Wald fahren.

Ein paar Vaganten spielten mit Fidel, Laute und Schalmei auf. Ich blickte mich flüchtig um, ob ich wohl die mächtige Gestalt des Pierre de Grande-Rue ausmachen könnte, doch sah ich niemanden, der ihm ähneln mochte. Die lustigen Weisen vermischten sich mit dem Prasseln des Feuers, mit den Rufen und Gesängen der Feiernden. Mir schwindelte.

Ich weiß nicht, wie lange Klara Helmstede und ich dort standen am Rande des Feuers, das brannte und brannte und doch das Holz nicht zu verzehren schien. Immer lauter wurden Musik und Geschrei, immer dunkler wurde der Katzenplatz, denn endlich kam die Nacht über die Stadt wie ein heimlicher Besucher und legte ein schwarzes Tuch über die Dächer von Paris — ein Tuch, in das unzählige Scheiterhaufen rote Löcher hineinbrannten.

Plötzlich kam von irgendwoher wie ein Windhauch, der an einem Sommertag die Oberfläche eines stillen Sees kräuselt, Bewegung in die Menge, die dicht gedrängt am Feuer stand. Lauter spielte nun die Musik und schneller, immer schneller. Und dann tanzten die Menschen. Zuerst waren es nur einige Männer und Frauen, die sich die Arme um die Schultern legten und einen kleinen Kreis formten. Dann wurden es mehr und immer mehr. Auch ich spürte an meiner rechten Schulter plötzlich einen fremden, weichen Arm mit duftender Haut: Es war eine Magd oder Bäuerin, nicht mehr jung, doch fröhlich und mit erhitztem Gesicht. Sie wollte tanzen, doch blickte sie mich kaum an, war vielleicht auch schon verwirrt vom Wein, sodass sie selbst dann nicht den Mönch in mir erkannte, da sie sich an mich drückte. Da legte Klara Helmstede ihren Arm um meine andere Schulter und lachte hell. Ihren zweiten Arm hatte sie um einen jungen Burschen in einem roten Wams geschlungen.

So fand ich mich, der Dominikaner und Gehilfe eines Inquisitors, auf einmal gefangen in einem wilden Reigen. Nach rechts tanzte die Menge, dann nach links, dann wieder nach rechts. Große, wogende Kreise bildeten die Menschen um das Feuer und sangen Weisen, deren wilde Worte ich nie zuvor vernommen hatte. Sie dünkten mir wolllüstig, sündig, ja heidnisch - und doch berauschte ich mich am Wogen der Leiber, am Gesang, an der wilden Musik, am Feuer. Tanzen konnte ich nicht, doch stolperte ich mit, mal ein paar Schritte nach rechts, dann wieder einige Schritte nach links, hin und her, hin und her, bis ich nicht mehr wusste, wo ich eigentlich war. Mein einziger Halt war der warme, anschmiegsame Körper der Reedersgattin, die ich nun fest im Arm hielt. Aus dem Schreien und Toben und Singen hörte ich stets das helle Lachen von Klara Helmstede heraus. Schließlich, es mag wohl schon zur elften Stunde gewesen sein, drängten wir uns hinaus aus dem tobenden Reigen der Feiernden. Ich vermag heute nicht mehr zu sagen, wie dies vor sich gegangen sein mag. Klara Helmstede und ich sprachen kein Wort miteinander - dazu war es auch viel zu laut -, doch wie durch einen geheimnisvollen Zauber wussten wir beide, dass es nun genug war mit Tanz und Musik. Wir strebten vom Katzenmarkt Richtung Les Halles und ich, verblendeter Narr, der ich war, glaubte, dass mich die Reedersgattin nun vielleicht doch bis zum Ufer der Seine begleiten und mir dann Lebwohl sagen würde. Schon der Gedanke, dass ich noch einige Schritte an ihrer Seite gehen durfte, machte mich glücklich und trunken. Doch ihr Sinn stand nicht nach einem nächtlichen Spaziergang. Als wir bei Les Halles waren, fasste mich Klara Helmstede bei der Hand und zog mich mit erstaunlicher Kraft in eine Sackgasse, die einige Schritte vom Marktplatz wegführte.

Auch bei Les Halles brannten hohe Feuer, doch ihr Lichtschein drang nur noch als rötliches Glimmen zwischen die Hauswände, welche die Gasse umschlossen. Ich erkannte, dass es fensterlose Speicher waren, deren Ziegelwände links und rechts und am Ende der Gasse fast bis zum Nachthimmel aufragten wie die Mauern einer Festung. Noch schwerer und feuchter schien mir die Luft hier zu drücken, ich glaubte, im Schacht eines großen Brunnens zu stehen. Wir waren nicht allein. Über die Musik der Spielleute und die Lieder der Tanzenden, die von Ferne zu uns hinüberwehten, hörte ich ein Wispern und Flüstern, ein Stöhnen und Stammeln, wie ich es nie zuvor vernommen hatte. Erschrocken blickte ich mich um: Die Laute schienen aus den fensterlosen Mauern selbst zu dringen. Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich gewahr wurde, dass die nächtlichen Stimmen nicht den Ziegeln entsprangen. Vor den Wänden, fast ganz verborgen im Schatten, erkannte ich zwei schemenhafte Gestalten, verschlungen in einem Ringen, von dem ich glaubte, dass es ein Kampf auf Leben und Tod sein müsse. Erschrocken wollte ich zurückweichen, doch dann erkannte ich, dass da nicht einer dem anderen an die Gurgel fassen wollte. Es war die Umarmung der Wollust, in der die beiden vereint waren — so vereint in ihrem sündigen Treiben, dass sie uns nicht einmal bemerkt hatten.