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Im wirren Licht des Blitzes sah ich, dass ich nicht mehr allein war auf dem Platz vor Notre-Dame.

Der Schattenmann war da. Der Unbekannte, von dem Jacquette mir erzählt hatte.

Satan.

Das fahle Licht im Turm zu Notre-Dame bekümmerte mich nicht mehr. Ich dachte nur noch an die Todsünde, die ich kurz zuvor mit Klara Helmstede begangen hatte. Ich fürchtete, dass der Antichrist mich nun holen würde, gleich jetzt, um mich in die Hölle zu reißen. Und ich Narr - ich floh!

Die ersten schweren Regentropfen klatschten auf das Pflaster, dann mehr und immer mehr, bis dichte Schleier aus Wasser vom Himmel fielen und die Johannisfeuer zischend verdampften.

Ich rannte und rannte. Ich blickte mich nicht um, ich achtete kaum meines Weges. Einfach nur weiter und weiter! Ich wäre bis ans Ende der Welt gerannt, nur um dem Unbekannten zu entkommen.

Der Regen trieb aber auch das Volk zur Flucht. Plötzlich drängten sich Männer und Frauen auf den Gassen, ernüchtert, furchtsam nach oben blickend, wo Donner und Blitz vom Himmel hernieder fuhren, als wollte GOTT Paris für seine Sünden strafen.

Ich drängte mich durch die Menschenmassen hindurch, stieß Gestalten um mit einer Kraft, von der ich bis dahin nicht wusste, dass sie in mir schlief, und rannte und rannte. Irgendwann, ich weiß nicht, auf welchen Wegen ich dorthin gelangte, stand ich mit schmerzenden Lungen vor der Pforte des Klosters in der Rue Saint-Jacques. Rote Schleier tanzten vor meinen Augen, mein Herz raste. Zitternd stand ich so da, ließ den Regen auf mich niederprasseln und drehte mich dann langsam, ganz langsam um.

Einen Augenblick glaubte ich, dass der düstere Unbekannte direkt hinter mir stünde, um mich zu holen. Doch da war niemand. Langsam atmete ich aus.

Dann weinte ich, weinte so hemmungslos wie ein kleiner Junge. Meine Tränen vermischten sich mit dem Regen und ich hörte nicht auf, bis die Quelle meiner Tränen in meinem Innern versiegt war. Ich wusste nicht, ob ich dem Düsteren entkommen war oder ob er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, mich zu verfolgen. Ich dankte GOTT nur dafür, dass er mich vor dem Unbekannten bewahrt hatte. Für diese Nacht wenigstens.

*

Nach all den Abenteuern jener Stunden war es dann geradezu ein Kinderspiel, wieder in das Kloster zu schlüpfen. Der Portarius hatte, wohl angesteckt von der Ausgelassenheit der Johannisnacht, einen Weinschlauch mit in seine Stube genommen. Nun schlief er tief im Rausch und zuckte nicht einmal, als ich das leise knarrende Portal aufdrückte, hineinglitt und das schwere Schloss hinter mir vorsichtig wieder zuschnappen ließ.

Ich schlich in meine Zelle und streifte den grauen Umhang ab, den mir Klara gegeben hatte. Er hatte mich nicht vor dem Regen geschützt, denn auch meine Kutte darunter war nass. Doch ich fröstelte nicht, zu heftig klopfte mir das Herz. Ich hatte schon auf der Straße kurz daran gedacht, den Umhang einfach irgendwo wegzuwerfen — doch dann hatte ich mir gesagt, dass ich ihn vielleicht wieder benötigen würde. Ich muss nicht niederschreiben, an welche heimlichen Treffen ich dabei dachte. Also drückte ich nun den nassen Wollumhang zu einem kleinen Klumpen Stoff zusammen und schob ihn so tief wie möglich unter meine Pritsche. Das mochte gehen.

Ich zuckte zusammen, als ich eine dünne Glocke erklingen hörte: Nocturnes, das Nachtgebet!

Mit den vielen Dominikanern, die vor der Seuche geflohen waren, hatte sich die Zahl unserer Brüder im Kloster erhöht. Niemand wusste genau zu sagen, wie viele Mönche zur Kirche gehen konnten und wie viele gerade zu krank oder geschwächt waren, um zum Hause GOTTES zu kommen. So mochte meine Abwesenheit bei den Kirchgängen des Nachmittages und Abends niemandem aufgefallen sein. Auch jetzt würde man mich wohl kaum vermissen. Doch ich wollte kein unnötiges Risiko mehr eingehen. So trat ich denn aus der Zelle und schloss mich den Reihen der Mitbrüder an. Ich sang die Hymne und murmelte das Gebet. Doch während ich noch die vertrauten Worte sprach, erschrak ich. Denn wie ich demutsvoll zu Boden blickte, da erkannte ich im flackernden Licht der Kerzen, dass der Regen nun aus meiner Kutte tropfte. Eine kleine Wasserlache hatte sich rings um mein Gewand gebildet. Schwitzend stand ich da und wagte kaum zu atmen. Hatte jemand ein Auge auf mich? Wurde ich beobachtet? Alle Mönche hielten den Kopf gesenkt und beteten.

Nach einer kleinen Ewigkeit kam endlich der Segensspruch und wir wandten uns dem Ausgang zu. Ich suchte in den Reihen der verhüllten Mönche nach Meister Philippe, konnte ihn jedoch nicht erkennen. Doch ich war mir sicher, dass dem Inquisitor die Wasserlache zu meinen Füßen nicht entgangen war.

10

DAS LAND UNTERHALB DES PARADIESES

Am nächsten Morgen wachte ich in aller Frühe auf, noch vor der Prim. Es war der Tag des heiligen Johannes des Täufers - ob er mich wohl mit dem Wasser des Jordan besprengt hätte, um mir meine Sünden abzuwaschen?

Ich wusste, dass ich mich gegen SEINE Gebote vergangen hatte. Hatte nicht sogar Jesus am Berg viel lässlichere Vergehen getadelt? Audistis quia dictum est antiquis non moechaberis. Ego autem dico vobis quoniam omnis qui viderit mulierem ad concupiscendum eam iam moechatus est eam in corde suo.

Auch hatte ich lange genug studiert, um die Bußbücher, in denen jede Sünde verzeichnet war, und auch, wie sie zu sühnen sei, zu kennen. Regino von Prüm etwa, der strenge Zuchtmeister, hatte in seinem Werk für die schlimmsten Formen der Wollust sieben Jahre Buße gefordert - genauso viel wie für denjenigen, der einen anderen Menschen erschlagen hatte.

Als wir im Kloster das Buch studierten, da wiesen uns die älteren Mitbrüder besonders auf die Gefahren der Sodomie hin und auf die Sünde Onans, denn diese beiden Formen der Wollust sind es ja vor allem, welche uns Mönche bedrohen.

Doch an jenem Morgen erinnerte ich mich, dass Regino von Prüm auch flammende Worte wider Mann und Weib gefunden hatte, wenn sie sich nicht der Natur gemäß vereinten. Wenn die Frau etwa in den Mund nahm, was nicht für den Mund bestimmt war, dann forderte das Buch sieben Jahre Buße. Auch wenn das Weibe auf dem Manne lag, wenn also zur Sünde der Wollust noch die schändliche Umkehrung der Verhältnisse zwischen Herrscher und Beherrschter hinzukam, musste man sich sieben Jahre kasteien, musste pilgern und fromme Werke tun.

Danach hätte ich schon nach dieser einen Nacht mindestens zweimal sieben Jahre Buße tun müssen. Und doch dachte ich,-wenn ich mich der Sünden erinnerte, die Regino von Prüm so sehr geißelte, mit wohligem Schauer zurück. Fast vermeinte ich gar, wieder den Duft von Klaras Haut zu atmen und zu entflammen unter ihren erfahrenen Liebkosungen.

Und trotzdem: Ein Teil meiner Seele wurde zerfressen von Reue und Scham. Ich fragte mich, ob ich beichten sollte, wagte es dann aber doch nicht. Als ich endlich zur Prim schritt, da blickte ich nicht einmal auf zum Altar, aus Angst, von IHM auf der Stelle zerschmettert zu werden.

Auch an die düstere Gestalt dachte ich, vor der ich letzte Nacht geflohen war. Wer sonst mochte es sein, denn Satan? War ich nicht für immer verloren? Wandelte ich nicht schon mit einem Fuß im Reich der Finsternis?

Doch noch während meine Seele sich in Qualen wand, gaukelte sie mir Bilder vor von Klara, von ihren blonden Locken, die auf helle Haut fielen. Meine Fingerkuppen zitterten, weil ich wieder die Brüste zu spüren vermeinte, die ich noch vor wenigen Stunden umfasst hatte. Hatte sie nicht versprochen, mich wiederzusehen? Wann würde sie mich wieder beglücken?