So wähnte ich mich denn an diesem Mittag zwar um vieles glücklicher, doch um nichts klüger als am Morgen. Wir nahmen kurz, doch zärtlich voneinander Abschied.
»Ich werde dir meine Dienerin schicken, wenn ich dich wieder empfangen kann«, versprach mir Klara.
»Und ich werde jeden Tag vors Kloster gehen und nach ihr Ausschau halten«, rief ich hoffnungsfroh.
Dann ging ich langsam die Stiege hinab, während meine Geliebte oben im Rahmen der geöffneten Tür stehen blieb und mir nachsah. »Ranulfl«, rief sie, als ich schon an der Hinterpforte war. Ich drehte mich um.
»Ich weiß es wieder«, sagte Klara. »Erinnerst du dich, dass ich dir sagte, dass wir alles verbrannten, was die ›Kreuz der Trave‹ nach ihrer unglückseligen Fahrt an Bord gehabt hatte?«
Starr blieb ich stehen. Mein Mund war plötzlich trocken, als wäre ich durch Ägyptens Wüste gezogen. Unfähig war ich, auch nur ein Wort hervorzustoßen. So nickte ich nur.
»Nun«, sagte Klara. »Wie ich dir erzählt habe, verbrannten wir auch einige Bögen Pergament. Was darauf war, weiß ich nicht, denn ich habe sie mir nicht genau angesehen. Doch an ein Blatt erinnere ich mich, da es mir aufgefallen war, als ich es in die Flammen schleuderte. Denn in großer, steiler Schrift — so, als ob jemand in aller Eile oder höchster Erregung etwas hatte festhalten wollen, jemand zudem, der womöglich nicht allzu häufig zur Schreibfeder griff - standen dort nur zwei Worte quer über der Seite.«
»Terra perioeci«, keuchte ich. »Terra perioeci«, antwortete meine Geliebte.
Wie gerne wäre ich die Treppe wieder hinaufgeeilt, um Klara nach Einzelheiten zu fragen! Doch in diesem Moment vernahm ich Geräusche, die vom anderen Ende des Hauses bis zu mir drangen. Dann sah ich am Ende eines dunklen Flurs das Gesicht der Dienerin. Sie sah mich erschrocken an, dann hob sie warnend die Hand. Es war nicht schwer zu erraten, dass Richard Helmstede soeben sein Haus betreten haben musste. Also schlich ich mich wie ein Dieb — der ich in gewisser Weise ja auch war — durch die Hinterpforte hinaus, während der Reeder vorne durchs Portal pompösen Einzug hielt. Wann würde ich Klara Helmstede wiedersehen? Draußen auf der Gasse blieb ich nicht lange, aus Angst, Richard Helmstede könnte zufällig aus einem Fenster blicken und mich erkennen. Er mochte vielleicht nicht vermuten, dass ich der Liebhaber seiner Gattin war, doch würde er womöglich glauben, dass ihm ein Inquisitor hinterherspionierte.
Erst als ich am Ufer der Seine war, verlangsamte ich meinen Schritt. Auf dem Grand Pont hörte ich zwei Marktweiber, die sich laut über die Seuche unterhielten. Glaubte man den beiden Schwätzerinnen, dann war sie schon in Orleans. Als ich den Namen dieser Stadt vernahm, dachte ich jedoch weniger an den Schwarzen Tod als vielmehr an die Schönfrau Jacquette, der Meister Philippe zur Strafe das Kloster dort angedroht hatte.
Jacquette, Klara Helmstede, Lea … Mir schien, dass die Schicksale dieser drei Frauen, die meiner Seele teuer waren, auf rätselhafte Weise mit meinem Geschick verwoben waren: Löste ich alle mir gestellten Aufgaben, so wären sie wohl behütet. Scheiterte ich, bedeutete es ihren Untergang.
Welch böser Scherz Satans, dass ausgerechnet ich, ein Mann des Glaubens und des Klosters, gleich drei Töchtern Evas beistehen musste, und dass ich glaubte, dies am besten tun zu können, indem ich gegen fast alle Regeln meines Ordens und der Inquisition verstieß! Ich lenkte meine Schritte zur Rue Coupe-Gueule, bis zur Universitas magistrorum et scolarium parisiensum, dem Kollegium des Robert de Sorbon.
Es war ein großer, finsterer Bau, mit wuchtigen Säulen und schmalen, hohen Fenstern. Auf dem Weg dorthin hatte ich mir bereits überlegt, wie ich mir Zugang zur Bibliothek verschaffen könnte. So ging ich nun selbstsicheren Schrittes auf einen Studenten zu, der am Eingang den Dienst als Pförtner versah. Er war ein junger Augustinermönch, der mich nicht eben freundlich musterte, als er meiner gewahr wurde. Die Brüder anderer Orden lieben uns Dominikaner nicht - doch ich gedachte, mir genau jene Mischung aus Abneigung und widerwilligem Respekt zunutze zu machen. »Fax vobiscum. Mein Name ist Ranulf Higden vom Kloster der Dominikaner in der Rue Saint-Jacques«, begann ich meine in Gedanken vorbereitete Rede. Ich bemühte mich, Respekt in meiner Stimme anklingen zu lassen, denn meist fühlen sich die Mönche anderer Orden von uns gering geschätzt.
»Pax vobiscum«, antwortete der Augustiner und deutete eine Verbeugung an. Sein Gesicht zeigte bereits freundlichere Züge. »Willkommen in unserem Kollegium. Womit kann ich dir dienen?«
»Der Inquisitor von Paris schickt mich, Meister Philippe de Touloubre«, log ich. »Ich soll in seinem Auftrag ein Buch studieren, das unsere Bibliothek nicht hat. Er glaubt, dass ich es hier finden könnte.«
Bei der Nennung von Meister Philippe war der junge Mönch blass geworden. Er verneigte sich. »Folgt mir zur Bibliothek, Bruder«, sagte er und sprach dabei unziemlich rasch. Fast war es mir, als wolle er mich so schnell wie möglich loswerden — so als glaube er, dass ich ihm Unglück bringe.
Wir eilten einen düsteren Gang hinunter, der auf einen schönen Innenhof führte, wo ein Springbrunnen murmelte und Rosen in mannshohen Büschen wuchsen. Am Ende dieses Hofes öffnete der Augustiner eine Pforte — und wir traten in einen hohen Raum ein: die Bibliothek.
Zu meiner Rechten, an einer der beiden Schmalseiten der langgestreckten, überwölbten Bibliothek, standen wohl zwei Dutzend eichene Schreib- und Lesepulte im rechten Winkel zu hohen Fenstern, sodass viel Licht auf sie fallen konnte. Bei ungefähr einem Viertel der Raumlänge trennte eine hohe, mit allerlei kundig ausgeführtem Schnitzwerk verzierte Schranke diesen vorderen Arbeitsbereich ab. Dahinter erblickte ich in langen Reihen Kisten über Kisten, mehr, als ich zu zählen vermochte. Alle waren mit schweren Beschlägen und großen Schlössern gesichert — und alle enthielten sie Dutzende Bücher. Hunderte Werke mussten hier liegen, vielleicht sogar ein paar Tausend.
Oh, es war der Himmel der Bücherfreunde, der sich so plötzlich vor mir aufgetan hatte! Endlich war ich im Kollegium des Robert de Sorbon — wenn auch aus ganz anderen Gründen, als ich sie mir erträumt hatte, seit mein Prior mir in Köln eröffnet hatte, dass ich nach Paris gehen durfte.
Ein älterer Mönch, ebenfalls im Habit der Augustiner, stand an einem der Pulte und studierte einen alten, schweren Folianten. Er würdigte mich keines Blickes, so versunken war er in den Text. An einem anderen Pult arbeitete ein junger Franziskaner. Er hatte ein Brevier aufgeschlagen und sich dazu einige Blätter Pergament bereitgelegt. Nun kopierte er den Text des Büchleins - ob er das ganze Werk abschrieb oder nur einige Sentenzen, das vermochte ich nicht zu sagen. Der Franziskaner starrte mich neugierig an, blickte dann jedoch rasch wieder auf sein Pult, als er bemerkte, dass ich ihn ebenfalls musterte.
Ein kleiner, hagerer, hinkender Mann unbestimmbaren Alters öffnete eine Tür in der Schranke und kam aus dem hinteren Teil des Raumes bis zu mir, der ich respektvoll an der Pforte gewartet hatte. Der Mann trug schlichte, schwarze Kleidung, gehörte jedoch nicht zum geistlichen Stand.
Der junge Augustiner an meiner Seite verneigte sich. »Magister Jean Froissart, der Bibliothekar unseres Kollegiums«, stellte er ihn mir vor. Dann zog er sich zurück und bemühte sich nicht länger, seine Erleichterung zu verbergen, meiner Gegenwart entkommen zu sein. Ich wiederholte meine Lüge und fragte dann höflich, ob ich ein Buch sehen dürfe.
»Selbstverständlich, Bruder Ranulf. Es ist mir eine Ehre, der Inquisition zu dienen«, antwortete Froissart.
Seine Stimme klang hoch und gebrochen. Ich hatte sofort den Verdacht, dass er lauter sprach als notwendig gewesen wäre, um den anderen beiden Mönchen anzuzeigen, dass nun ein Inquisitor im Raum sei.