»Ihr kennt es nicht?«, erwiderte ich enttäuscht. »Ich habe nie davon gehört.« Nun floss der Schweiß in dicken Strömen von seinem Haupt. »Sagt, ist dies das Land des Satans?«
»Nein«, rief ich hastig und schlug nun meinerseits das Kreuz. »Das glaube ich nicht. Ich hatte nur gehört, dass es ein fernes Land sei. Und da die ›Kreuz der Trave‹ für eine weite Reise vorbereitet wird, dachte ich, dass ihr Ziel vielleicht dort läge. Es war nur so ein Gedanke von mir, der ich noch nie zur See gefahren bin.«
Der Steuermann schüttelte den Kopf. »Ich habe von Meerjungfrauen gehört und von riesigen Kraken, die aus den Tiefen emporsteigen und Schiffe verschlingen. Von bretonischen Fischern hörte ich, die Wale jagen und mitten im Ozean tote Ratten treiben sahen. Und von Gras, das auf den Wogen wächst und Segler festhält, bis die Mannschaft an Bord verdurstet ist.
All dies habe ich selbst noch nie gesehen und hoffe auch, es niemals zu erleben. Doch gehört habe ich schon davon. Das Land der Periöken aber kenne ich nicht. Noch nie hat jemand zu mir von diesem Land gesprochen«, versicherte er erneut. »Und ich glaube nicht, dass Schiffe dorthin segeln. Zumindest keine Schiffe der Christenheit.« Ich nickte und dankte ihm. Niedergeschlagen wollte ich schon die Kogge verlassen, weil sich wieder eine Spur, der ich zu jenem geheimnisvollen Land der Periöken gefolgt war, in Nichts aufgelöst hatte.
Dann, einer Eingebung folgend, drehte ich mich an der Planke noch einmal um und rief den Steuermann mit einer Geste zu mir. »Traut Ihr mir, Gernot?«, fragte ich ihn mit leiser Stimme, sodass uns niemand belauschen konnte.
»Ja, Herr«, versicherte der vierschrötige Steuermann eifrig und nickte dabei so stark, dass sein wallendes, rotes Haar am Kopf züngelte wie Flammen.
»Gut, dann müsst Ihr mir etwas versprechen.«
»Alles, was Ihr befehlt, Herr!«
»Sorgt Euch nicht«, beruhigte ich ihn. »Ich möchte nur, dass Ihr mir eine Botschaft zukommen lasst, sobald Euch Herr Helmstede sagt, wann die Reise losgeht — und wohin sie Euch führen soll. Könnt Ihr nicht selbst kommen, dann schickt mir Euren vertrauenswürdigsten Matrosen. Der Segen des HERRN wird auf dieser Fahrt ruhen, wenn Ihr Euch nur rechtzeitig offenbart.«
»Das werde ich«, versprach Gernot der Steuermann und legte zur Bekräftigung seine massige Hand auf das Herz.
*
Müde schlich ich schließlich zurück zum Kloster in der Rue Saint-Jacques. Ermattet war ich von den Spielen der Sünde, zu denen mich Klara Helmstede verführt hatte; erschöpft an Geist und Seele von den immer neuen Rätseln, die sich mir auftaten; niedergedrückt von der Hitze und der Angst und dem Zorn, die in den Straßen herrschten. Doch später, in meiner Zelle, wollte ich keinen Schlaf finden. Ich hatte mich mit Wasser und Brot gestärkt und mit meinen Brüdern die vorgeschriebenen Gottesdienste besucht. Den Staub hatte ich mir von den Füßen gewaschen. Bruder Malachias hatte mir in Augen und Rachen geblickt und mich für wieder vollständig genesen befunden. Meister Philippe war nirgendwo zu sehen, niemand wusste, wo er sich befand. Ich hätte mich ohne schlechtes Gewissen auf meine Pritsche legen und meine müden Glieder ausstrecken können. Doch ich fand keine Ruhe. Während draußen das Dunkel der Nacht wie eine Decke Paris überwölbte, lauschte ich nach verdächtigen Geräuschen. Das Kloster jedoch schlief und war still wie eine Gruft. Ich dachte an die Reedersgattin und erinnerte mich unserer Stunden der Wollust. Doch selbst dies vermochte meinen unruhigen Geist nicht abzulenken. Ständig quälte mich die eine Frage: Was bedeutet terra perioecp.
Seeleute, so viel glaubte ich nun sicher zu wissen, kannten dieses Land nicht. War es also ein Reich, das nur in der Fantasie existierte? Aber warum hätte es dann jemand aus einem alten Manuskript tilgen sollen? Warum sollte ein sterbender Mönch gerade diesen Namen mit seinem Blut schreiben? Doch wenn es kein Land war, das Seeleute ansteuern konnten — was mochte sich dann dahinter verbergen? War es ein Rätselwort? Musste ich nur die Buchstaben anders ordnen, um zur wahren Bedeutung vorzustoßen?
Ich folgte diesem Gedanken eine Zeit lang und schrieb in meinem Geist wohl eine Stunde oder mehr die Buchstaben der beiden Wörter in immer neuer Reihenfolge nieder — vergebens. Schließlich wusste ich mir keinen anderen Rat, als zu hoffen, in anderen Büchern eine neue Spur zu entdecken. Wie viele Werke über Geografie mochte es geben? Ich hatte mich stets für die Theologie interessiert, weniger für die Beschaffenheit dieser Welt. So konnte ich die Zahl gelehrter Werke in diesem Feld nicht schätzen. Mochten es Dutzende sein? Hunderte?
Die Bibliothek des Nechenja ben Isaak, der solcherart Bücher, wie seine Tochter mir verraten hatte, zu schätzen wusste, umfasste wohl mehr als einhundert Folianten. Gerne wäre ich zu ihm gegangen und hätte sie in aller Ruhe studiert. Doch konnte ich es wagen, jetzt, da die Bürger jeden Juden mit mehr als nur dem althergebrachten Hass verfolgten, bei einem jüdischen Geldwechsler einzukehren? Was mochte geschehen, wenn mich jemand sähe?
Hätte ich eine offizielle Begründung gehabt, es wäre sicherlich einfach gewesen. Als Inquisitor hätte ich sagen können, dass ich weitere Spuren in den Todesfällen verfolgte. Doch ich hatte ja gerade versprochen, den Geldwechsler und seine Tochter, wenn es mir irgendwie möglich war, von den Händen der Inquisition fernzuhalten. Nein, ich durfte Lea und ihren Vater nicht gefährden. Also blieb mir nur, zum Kollegium de Sorbon zurückzukehren. Auch dort mochten wohl viele Werke über Geografie zu finden sein. Vielleicht, so hoffte ich, würde eines von ihnen mir einen neuen Hinweis enthüllen.
Es war wohl schon beinahe Mitternacht, da ich endlich Ruhe im Geiste fand. Ich griff zur Heiligen Schrift, um die Worte des HERRN in meine Seele zu lassen, bevor meine Augen sich schlössen. Über der Offenbarung des Johannes schlief ich endlich ein. Ich weiß noch, welche Sätze es waren, denn ich träumte gar viel von ihnen in jener Nacht. Da ich nicht an Zufälle glaube, war es sicherlich ein Zeichen GOTTES, das er mir sandte. Ich aber war blind und erkannte es damals nicht, obwohl es mir doch heute so deutlich scheint wie die Sonne am helllichten Tag:
Et vidi alium angelum fortem descendentem de caelo amictum nube et iris in capite eins etfacies eins erat ut sol et pedes eins tamquam columna ignis et habebat in manu sua libellum apertum et posuit pedem suum dextrum supra mare sinistrum autem super terram et clamavit voce magna quemadmodum cum leo rugit et cum clamasse locuta sunt septem tonitrua voces suas.
12
DER ENGEL DER FINSTERNIS
Mein Plan, am nächsten Tag in Büchern nach dem Land der Periöken zu suchen, ging wieder nicht auf. Stattdessen musste ich durch Ströme von Blut waten. Nach dem Morgenmahl erblickte ich endlich wieder Meister Philippe. Der Inquisitor eilte auf mich zu; seine Kutte war staubbedeckt, sein Gesicht gerötet.
»Fühlst du dich wieder wohl, Bruder Ranulf?«, fragte er mich. »Ja«, antwortete ich. Freude und Schrecken zugleich durchfuhren mich. Freude, da ich ahnte, dass ich endlich wieder mit Meister Philippe auf die Jagd nach dem Verbrecher gehen durfte. Schrecken, weil es inzwischen so viele Dinge zu verheimlichen galt, dass ich mich schon fürchtete, mit dem Inquisitor zu sprechen — aus Angst, dass mich ein unbedachtes Wort verraten könnte.
Sollte ich ihm von der terra perioeci berichten? Doch wie ich es auch in meinem Geiste wenden mochte, mir fiel keine Geschichte ein, mit der ich ihm zwar von jenem geheimnisvollen Land hätte berichten können, gleichzeitig jedoch jede Anspielung auf die Tochter des Geldwechslers oder gar die Gattin des Reeders vermieden hätte. Es stellte sich allerdings sogleich heraus, dass ich auch gar keine Zeit hatte, mir eine Ausrede einfallen zu lassen. Denn der Inquisitor nickte nur erfreut und fasste meinen Arm, um mich aus dem Speisesaal zu drängen.