Während ich mich rasch umwandte, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und Meister Philippe und dem Prévôt folgte, fragte ich mich, was uns der Bader wohl verschwiegen hatte. Und warum er dies getan haben mochte.
Durant de Brie erregte, kaum dass er uns die Pforte seines armseligen Hauses geöffnet hatte, meinen Widerwillen. Der HERR möge mir mein rasches und ungerechtes Urteil verzeihen, doch traf ich nur selten in meinem Leben einen Menschen, der mir schon beim ersten Anblick so wenig Vertrauen einflösste wie er.
Der Färber war unbestimmbaren Alters, doch sicherlich schon jenseits der dreißig. Er war weder groß noch klein, dazu sehr hager, außerdem ging er gebeugt und hinkte. Nur wenige, fahle Haarsträhnen klebten an der schrundigen Haut seines Schädels; seine Stirn war niedrig, die Augen schienen so hellblau, dass sie fast durchsichtig wirkten und ihm das Aussehen eines Blinden oder gar eines Toten gaben. Seine Nase war lang und schmal, seine Lippen warfen sich auf, die meisten Vorderzähne fehlten. Betrachtete ich sein Gesicht, so musste ich unwillkürlich an ein Wiesel denken.
»Willkommen in meinem bescheidenen Heim, ihr Herren!«, rief er und verbeugte sich tief. Seine Stimme klang brüchig wie das Rascheln schlecht gepflegten Pergaments. Er stank nach Urin und anderen scharfen Gerberstoffen.
Durant de Brie führte uns in eine Stube, die mit einigen schiefen Holzstühlen, einer Bank und einem wackeligen Tisch nur kärglich eingerichtet war. Geistesabwesend schlug er nach einer großen Kakerlake, die an einer Wand hochkroch, während wir eintraten. Ich betrachtete den dunklen Fleck, den das tote Tier auf der schmutzigen Wand hinterlassen hatte.
»Warum, HERR, hast du diesen Menschen geschickt, als Jacquette in der Stunde der größten Not war? Warum ihn? Warum nicht mich? Hätte ich ihr denn nicht viel besser beistehen können als jener elende Färber?«
Dann ermahnte ich mich, dass diese meine Gedanken die Sünde des Hochmutes in sich trugen. War ich, der wollüstige und lügnerische Mönch, nicht viel nichtswürdiger, als es jener Färber je sein könnte? War nicht Jesus Christus bei jenen Menschen eingekehrt, die von allen anderen verachtet wurden? War ich nicht wie ein Pharisäer? So ermahnte ich mich, nicht meinem Kleinmut und meinem düsteren, doch vorschnellen Urteil nachzugeben — und stattdessen Durant de Brie so aufmerksam und großherzig zuzuhören, wie es einem jeden Menschen geziemt.
Meister Philippe stellte sich und uns nur kurz vor, hielt sich ansonsten jedoch nicht lange mit Vorreden auf. »Was hast du in der letzten Nacht gesehen?«, fragte er.
»Gesehen habe ich zunächst nichts, Herr«, antwortete der Färber und rang verlegen seine Hände. Er hatte uns gebeten, Platz zu nehmen, doch niemand von uns wollte sich auf die schmutzigen Stühle niedersetzen. So standen wir denn alle in der kleinen Stube. »Ich konnte in der letzten Nacht wegen der drückenden Hitze nicht einschlafen«, fuhr Durant de Brie fort. »Ich lag am offenen Fenster, um wenigstens einen Hauch frischer Luft zu atmen. Da hörte ich einen schrecklichen Schrei.«
»Wann war das?«, unterbrach ihn Meister Philippe. »Das kann ich nicht sagen. Es war noch ganz dunkel draußen. Es muss Mitternacht gewesen sein oder noch später.« Der Färber leckte sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und sprach dann nur zögernd weiter. Man sah ihm an, dass er sich noch immer fürchtete, wenn er an die letzte Nacht dachte.
»Ich stand auf«, sagte er leise, »und trat zum Fenster. Meine Schlafstube liegt im Obergeschoss. Zunächst konnte ich nichts erkennen. Ich wollte mich schon wieder hinlegen, da brach der Mond zwischen zwei Wolken hervor. Sein fahles Licht fiel auf die Stadtmauer und da …« Er verstummte.
»Da sahst du, wie die Schönfrau niedergestochen wurde?«, fragte der Inquisitor.
Der Färber schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein. Ich sah die Frau am Boden liegen. Auf dem Rücken. Blut entströmte ihrer Brust, so viel Blut. Oh, es war schrecklich anzusehen!«
»Und bist du nicht nach draußen geeilt, um ihr zu helfen?«, fragte ich empört.
»Ich fürchtete mich«, gestand der Färber und blickte zu Boden. »Denn im Zwielicht an der Mauer sah ich noch jemanden …«
»Wen?«, fragten Meister Philippe, der Prévôt und ich gleichzeitig. »Den Teufel!«, flüsterte Durant de Brie und bekreuzigte sich.
Wir prallten zurück, als hätte er uns allen einen Schlag versetzt. Die Wachen, die dem Prévôt bis zum Eingang der Stube gefolgt waren, schlugen das Kreuz und flüsterten. Der Inquisitor blickte den Färber mit strenger Miene an.
»Du willst Satan gesehen haben?«, fragte er. »Woran hast du ihn erkannt?«
»Es war ein Schatten da«, die Stimme de Bries war so schwach geworden, dass wir ihn kaum noch verstehen konnten. Trotzdem fuhr mir ein kalter Schauder in den Leib, kaum, dass ich diese Worte vernommen hatte.
»Ein Schatten«, fuhr er fort, »groß wie ein Mann, doch ohne Gesicht. Er verharrte kurz am Rand der Mauer, dann war er im Dunkel der Nacht verschwunden. Oh, wie zitterte und zagte ich! Ich wagte nicht, mich zu rühren, bis dass der Tag angebrochen war. Dann rief ich einen Sergeanten. Dieser Schatten muss der Engel der Finsternis gewesen sein! Ich spürte ihn, den kalten Hauch des Todes und auch die Schrecken der Hölle.«
»Das heiße Eisen des Folterknechtes wird dir den kalten Hauch schon wieder aus den Knochen treiben und die Schrecken der Hölle werden dir wie das Paradies erscheinen, liegst du erst einmal auf der Streckbank!«, polterte da Ambroise de Lore los. Die Zornesröte hatte das Gesicht des Prévôt entflammt. »Was redest du da vom Teufel?« Dann wandte er sich an den Inquisitor. »Das fehlt mir noch, dass jemand vom Satan faselt, der durch die Straßen von Paris schleicht und Frauen niedersticht! So viele schädliche Gerüchte laufen schon um in der Stadt. Ein falsches Wort genügt und Paris wird brennen! Und da erzählt mir dieser stinkende Färber etwas vom schwarzen Engel der Finsternis!«
Der Prévôt trat nahe an Durant de Brie heran, der sich vor Schreck duckte und einen Schritt nach hinten auswich. »Eher vermute ich, dass du selbst diese junge Dirne geholt hast, um deine schlaflose Nacht zu versüßen, und ihr danach eigenhändig ein Messer in die Brust gestoßen hast, als dass ich glaube, der Teufel höchstselbst habe sich hierher bemüht, bloß um eine elende Hure in sein finsteres Reich zu holen!«
Ambroise de Lore winkte zwei Sergeanten zu sich. »Führt diesen Kerl ab. Wir wollen sehen, ob er auch im Kerker noch vom Teufel faselt!«